Anspruch auf Kryokonservierung von Samenzellen vor geschlechtsangleichender Behandlung von Mann zu Frau möglich

Das Bundessozialgericht hat am 28.08.2024 zum Aktenzeichen B 1 KR 28/23 R, dass ein Anspruch auf Kryokonservierung von Samenzellen vor geschlechtsangleichender Behandlung von Mann zu Frau möglich ist.

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für eine Kryokonservierung von männlichen Keimzellen.

Der 1999 geborene Kläger beantragte bei der beklagten Krankenkasse erfolglos die Übernahme der Kosten einer Kryokonservierung von ihm stammender Keimzellen (Sperma) wegen einer beabsichtigten Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau. Während des erfolglosen Widerspruchsverfahrens schloss der Kläger mit E., einem Anbieter von Kryokonservierungsleistungen, einen Vertrag über die Kryokonservierung und Lagerung von reproduktivem Ejakulat auf unbestimmte Zeit. Das Sozialgericht hat die ablehnenden Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Übernahme der Kosten der Kryokonservierung verurteilt. Es ist dabei von einem Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 693,77 Euro ausgegangen. Das Landessozialgericht hat auf die von ihm zuvor zugelassene Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Kryokonservierung nach § 27a Absatz 4 SGB V sowie der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Keimzellgewebe sowie entsprechende medizinische Maßnahmen wegen keimzell-schädigender Therapie (Kryo-RL) lägen nicht vor. Ein Anspruch auf Kostenübernahme einer Kryokonservierung bestehe danach nur, wenn auch die Voraussetzungen einer künstlichen Befruchtung erfüllt seien. Daran fehle es im Fall des Klägers. Eine Geschlechtsangleichung stelle auch keine keimzellschädigende Therapie im Sinne des § 3 Absatz 1 Kryo-RL dar. Insoweit fehle es auch an fachärztlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen dieser Vorschrift. Es könne offenbleiben, ob E. ein zugelassener Leistungsträger im Sinne der Kryo-RL sei.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 27a Absatz 4 SGB V.

Die Revision des Klägers hatte insoweit Erfolg, als der Senat das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen hat.

Ein Anspruch des Klägers auf Kryokonservierung ergab sich nicht aus § 27 Absatz 1 Satz 1, Satz 2 Nummer 1 und Satz 5 SGB V. Die Kryokonservierung des Spermas des Klägers soll der Verwirklichung eines zukünftigen Kinderwunsches dienen. Sie soll und kann nicht dessen natürliche Zeugungsfähigkeit nach Durchführung geschlechtsangleichender Maßnahmen wiederherstellen. Der Senat konnte nicht abschließend darüber entscheiden, ob im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung die Voraussetzungen des § 27a Absatz 4 SGB V in Verbindung mit der hierzu ergangenen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Keimzellgewebe sowie entsprechender Maßnahmen wegen keimzellschädigender Therapie erfüllt waren. Eine zur Unfruchtbarkeit führende Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau kann eine den Anspruch auf Kryokonservierung von Samenzellen begründende keimzellschädigende Therapie sein. Dem Anspruch des Klägers stand auch nicht entgegen, dass im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Kryokonservierung die Voraussetzungen einer künstlichen Befruchtung nach § 27a Absatz 1 SGB V noch nicht vorlagen. Erforderlich aber auch ausreichend ist, dass dies später noch möglich ist. Regelungssystem und -zweck gebieten es aber, dass nur solche Behandlungen einen Anspruch auf Kryokonservierung begründen, auf die die Versicherten nach dem SGB V einen Anspruch haben. Das ist bei geschlechtsangleichenden Behandlungen nach der jüngsten Rechtsprechung des Senats derzeit grundsätzlich nicht der Fall, weil es an der hierfür erforderlichen Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses fehlt (Urteil des Senats vom 16. Oktober 2023 – B 1 KR 16/22 R -). Dies hindert grundsätzlich auch den Anspruch auf Kryokonservierung. In Betracht kommt aber ein Anspruch des Klägers aufgrund von Vertrauensschutz. Ausreichend hierfür wäre, dass die geschlechtsangleichende Behandlung auf der Grundlage eines auch die Kryokonservierung einschließenden Behandlungsplans unmittelbar durch einen Leistungserbringer der gesetzlichen Krankenversicherung begonnen wurde. Hierzu und auch zu den weiteren Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs hat das Landessozialgericht – von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent – bislang keine Feststellungen getroffen.

Personen, die auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung eine geschlechtsangleichende Behandlung von Mann zu Frau durchführen, können einen Anspruch auf Kryokonservierung ihrer Samenzellen haben.

Der Kläger befindet sich in einer geschlechtsangleichenden Behandlung von Mann zu Frau, die von der beklagten Krankenkasse bezahlt wird. Diese Behandlung führt zur Unfruchtbarkeit. Um die spätere Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung mit seinen eigenen Samenzellen zu erhalten, beantragte der Kläger zuvor erfolglos die Übernahme der Kosten einer Kryokonservierung seiner Samenzellen. Das Sozialgericht hat die Krankenkasse zur Kostenübernahme verurteilt, das Landessozialgericht hat die Klage abgewiesen.

Das Bundessozialgericht hat nun entschieden, dass auch die geschlechtsangleichende Behandlung einen Anspruch auf Kryokonservierung von Samenzellen begründen kann. Das Gesetz räumt die Möglichkeit der Kryokonservierung vor keimzellschädigenden Behandlungen ein. Dies trägt dem Bedürfnis Rechnung, die eigene Fortpflanzungsfähigkeit zu erhalten und gilt unabhängig von der geschlechtlichen Identität. Den Anspruch haben daher auch Personen, die auf Kosten der Krankenkasse eine geschlechtsangleichende Behandlung von Mann zu Frau durchführen.

Quelle: Terminsbericht und Pressemitteilung des BSG