Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 08.07.2022 zum Aktenzeichen 7 L 647/22 in einem von Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. der Rechtsanwaltskanzlei JURA.CC vertretenen Fall entschieden, dass ein Anspruch auf Akteneinsicht in ein Verwaltungsverfahren im Widerspruchsverfahren besteht.
Im konkreten Fall ging es um Bescheide, die im Rahmen eines Antrags auf Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers bei der zuständigen Behörde durch den Arbeitgeber gestellt wurden und denen durch Fiktion stattgegeben wurde.
Rechtsanwalts wurde erst anschließend mandatiert und begehrte bei der Behörde für seinen Mandanten die Prüfung der Verwaltungsverfahren; die Behörde lehnte dies mit dem Abschluss der Verwaltungsverfahren ab.
Der Antragsteller kann auf einen Anordnungsanspruch verweisen. Er folgt aus § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Hinsichtlich der Erforderlichkeit kommt es dabei nicht auf die Auffassung der Behörde in Bezug auf entscheidungserhebliche Tatsachen und Rechtsnormen an. Es genügt vielmehr, dass die Akten für das Verfahren von Bedeutung sein können, also die Möglichkeit eines rechtlichen Interesses besteht, sodass man in der Regel davon ausgehen kann, dass die Behörde die Einsicht in die Akten gestatten muss. Der aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf Akteneinsicht findet seine Grenze nur in den Fällen offensichtlichen Rechtsmissbrauchs, wofür hier nichts vorliegt.
Der Antragsteller ist „Beteiligter“ der in den Akten dokumentierten Verwaltungsverfahren, da sie die (fiktive) Zustimmung des Antragsgegners zur Kündigung des schwerbehinderten Antragstellers betreffen. Zwar gehen die Bestimmungen über die Akteneinsicht von einem formellen Beteiligtenbegriff aus. Das bedeutet, dass sich die Stellung als Beteiligter eines Verwaltungsverfahrens ohne Rücksicht auf die materielle Betroffenheit durch den formellen Akt der Antragstellung oder eine förmliche Beteiligung im Verlauf eines Verwaltungsverfahrens ergibt.
Der Antragsteller dürfte sie bereits mit der (ungeklärten) Zustellung der Fiktionsbescheide vom 08.12.2021 erworben haben. Zumindest hat er sie aber mit den am 18.02.2022 erhobenen Widerspruch gegen die Fiktionsbescheide erlangt. Auf die Frage, ob dieser Aussicht auf Erfolg hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Die Ausübung des Rechts auf Akteneinsicht dient gerade der Vorbereitung einer Rechtsverteidigung. Zu einer Vorausbeurteilung ihrer Erfolgsaussichten sind weder die Behörde noch das Gericht befugt.
Vor diesem Hintergrund kann der Antragsgegner auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, das Verwaltungsverfahren sei abgeschlossen. Zum einen schließt der Ab-schluss des Verwaltungsverfahrens nicht generell ein Recht auf Akteneinsicht aus. Nach diesem Zeitpunkt steht es lediglich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, Akteneinsicht zu gewähren. Der Antragsteller hätte mithin in diesem Fall zumindest einen Anspruch auf fehlfreie Ermessensentscheidung über sein Einsichtsgesuch. Denn hieran fehlt es vorliegend. Zum anderen ist aber das Verwaltungsverfahren nicht abgeschlossen. Denn es ist erst mit der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts beendet. – 4 –
Der Klärung der Frage, ob diese eingetreten ist, dient gerade die Akteneinsicht. Sie unter Hinweis auf die Unanfechtbarkeit zu verweigern, liefe gerade auf eine unzulässige Vorausbeurteilung der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs hinaus.
Dem Antragsteller kann auch kein Rechtsmissbrauch entgegengehalten werden. Die Kenntnis der Verfahrensakten ist vielmehr für die Rechtsverfolgung essentiell. Zudem bleibt hervorzuheben, dass Sozialgeheimnisse Dritter nicht in Rede stehen, da der Antragsteller Einsicht in die ihn betreffenden Vorgänge begehrt.
Der Antragsteller kann auch auf einen Anordnungsgrund verweisen. Dieser ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass die Frage, ob die Fiktionsbescheide wirksam zugestellt wurden, angesichts des laufenden Widerspruchverfahrens aus Sicht des Antragstellers eine zeitnahe Klärung erheischt. Die mit einem Klageverfahren verbundenen zeitlichen Unwägbarkeiten sind ihm nicht zumutbar.
Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung steht schließlich auch nicht der Umstand entgegen, dass mit der Verpflichtung zur Gewährung von Akteneinsicht faktisch die Hauptsache vorweggenommen wird, da bei der gebotenen summarischen Prüfung der Erfolg in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist und anderenfalls ein Rechtsverlust in Bezug auf die Anfechtung der Fiktionsbescheide droht.