Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 19.12.2019 zum Aktenzeichen C-532/18 entschieden, dass eine Fluglinie für Verbrühungen durch im Flugzeug umgekippten heißen Kaffee haftet und es nicht erforderlich ist, dass ein solcher Unfall mit einem flugspezifischen Risiko zusammenhängt.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 163/2019 vom 19.12.2019 ergibt sich:
Im vorliegenden Fall verlangt ein junges Mädchen von der österreichischen Fluglinie Niki Luftfahrt GmbH (in Liquidation) Schadensersatz wegen Verbrühungen, die sie erlitt, als bei einem Flug von Palma de Mallorca nach Wien der ihrem Vater servierte und vor ihm auf seinem Abstellbrett abgestellte heiße Kaffee aus nicht geklärten Gründen umkippte. Die Fluglinie weist ihre Haftung zurück, weil es sich um keinen Unfall im Sinne des die Haftung von Fluglinien bei Unfällen regelnden Übereinkommens von Montreal (ABl. 2001, L 194, 39; dieses Übereinkommen ist integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung) handle. Der Begriff des Unfalls erfordere nämlich, dass sich ein flugspezifisches Risiko realisiere, woran es hier fehle. Tatsächlich konnte nicht festgestellt werden, ob der Kaffeebecher etwa wegen eines Defekts des ausklappbaren Abstellbretts oder durch ein Vibrieren des Flugzeugs kippte. Der Oberste Gerichtshof (Österreich) hat den Gerichtshof um Klarstellungen zum Unfallbegriff des Übereinkommens von Montreal ersucht, der darin nicht definiert wird.
Der EuGH hat entschieden, dass die Haftung einer Fluglinie für Verbrühungen, die dadurch entstehen, dass während eines Fluges heißer Kaffee aus nicht geklärten Gründen umkippt, nicht voraussetzt, dass sich ein flugspezifisches Risiko realisiert hat.
Nach Auffassung des EuGH ist die gewöhnliche Bedeutung, die dem Begriff „Unfall“ zukommt, die eines unvorhergesehenen, unbeabsichtigten, schädigenden Ereignisses. Mit dem Übereinkommen von Montreal sollte eine Regelung der verschuldensunabhängigen Haftung von Fluglinien eingeführt und gleichzeitig für einen „gerechten Interessenausgleich“ gesorgt werden. Daraus sei zu schließen, dass sowohl die gewöhnliche Bedeutung des Begriffs „Unfall“ als auch die Ziele des Übereinkommens von Montreal dagegen sprechen, die Haftung der Fluglinien davon abhängig zu machen, dass der Schaden auf das Eintreten eines luftfahrtspezifischen Risikos zurückgehe oder dass es einen Zusammenhang zwischen dem „Unfall“ und dem Betrieb oder der Bewegung des Flugzeugs gebe. Nach dem Übereinkommen von Montreal könne die Haftung der Fluglinien ausgeschlossen oder beschränkt werden kann. Eine Fluglinie könne sich nämlich ganz oder teilweise von ihrer Haftung befreien, indem sie nachweise, dass der Reisende den Schaden selbst verursacht oder dazu beigetragen habe. Außerdem könne sie ihre Haftung auf 100.000 „Sonderziehungsrechte“ (gemäß der Definition des Internationalen Währungsfonds (IWF); laut IWF entsprach Anfang Dezember 2019 ein Sonderziehungsrecht ungefähr 1,24 Euro) beschränken, indem sie nachweise, dass der Schaden nicht von ihr oder aber ausschließlich von einem Dritten verschuldet wurde.
Der EuGH hat daher dem Obersten Gerichtshof mithin geantwortet, dass der in Rede stehende Begriff „Unfall“ jeden an Bord eines Flugzeugs vorfallenden Sachverhalt erfasse, in dem ein bei der Fluggastbetreuung eingesetzter Gegenstand eine körperliche Verletzung eines Reisenden verursacht habe, ohne dass ermittelt werden müsste, ob der Sachverhalt auf ein luftfahrtspezifisches Risiko zurückgehe.