Der Bayerische Verfassungsgerichtshof München hat es am 01.12.2020 zum Aktenzeichen Vf. 90-IVa-20 abgelehnt, der Präsidentin des Bayerischen Landtags eine während der „Langen Nacht der Demokratie“ getätigte Aussage im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens künftig zu untersagen.
Aus der Pressemitteilung des Bay. VerfGH vom 04.12.2020 ergibt sich:
Gegenstand des Verfahrens ist eine Äußerung der Landtagspräsidentin. Am 02.10.2020 fand im Rahmen der bayernweiten Veranstaltungsreihe „Lange Nacht der Demokratie“, für die die Präsidentin des Bayerischen Landtags (Antragsgegnerin) die Schirmherrschaft übernommen hatte, eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Herausforderungen der Demokratie“ statt, an der die Antragsgegnerin teilnahm. Zu dieser Veranstaltung veröffentlichte der Bayerische Landtag auf seiner Internetseite einen Bericht. Darin wird folgende, von der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag (Antragstellerin) beanstandete Äußerung der Antragsgegnerin wiedergegeben: „Das Muster bei uns im Landtag ist durchgängig Provokation und Abgrenzung gegenüber den „Altparteien“, wie die AfD die anderen Fraktionen nennt […]. Einmal musste zum Beispiel unser Vizepräsident Alexander Hold einschreiten, als ein AfD-Mitglied aus Protest gegen die Maskenpflicht mit einer Gasmaske auftauchte. Es ist eine ständige Zwickmühle für die Parteien und auch für die Presse: Wie viel Aufmerksamkeit gibt man diesen Provokationen von rechts? Dabei verschwimmen manchmal die eigenen, pointierten Positionen der übrigen Parteien.“
Die Antragstellerin begehrt „im einstweiligen Rechtsschutz“ die Feststellung, dass die beanstandete Äußerung der Präsidentin gegen deren „Verpflichtung zur Neutralität, Sachlichkeit und organschaftlicher Treue“ gegenüber der Antragstellerin verstoßen hat; ferner soll die Antragsgegnerin verpflichtet werden, die Äußerung künftig zu unterlassen und zu widerrufen.
Der VerfGH München hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes bleibt dem Begehren der Antragstellerin in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich der Erfolg versagt. Ein Teil des von der Antragstellerin verfolgten Begehrens könne schon kein zulässiger Gegenstand einer Organstreitigkeit sein. In einem solchen Verfahren stelle der Verfassungsgerichtshof regelmäßig fest, ob die beanstandete Maßnahme gegen verfassungsmäßige Rechte verstößt. Soweit die Antragstellerin Unterlassung und Widerruf der beanstandeten Äußerung begehrt, sei ihr Antrag auf Rechtsfolgen gerichtet, die im Organstreitverfahren grundsätzlich nicht bewirkt werden können.
Die vorliegend gebotene summarische Prüfung führe zu dem Ergebnis, dass ein Antrag in der Hauptsache als unbegründet zu bewerten wäre. Die angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin und deren Veröffentlichung im Internet wären in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht zu beanstanden.
Aus Art. 13 Abs. 2, Art. 16a BV ergebe sich ein Recht der Oppositionsabgeordneten auf chancengleiche Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung, das auch eine Fraktion als Zusammenschluss von Abgeordneten für sich in Anspruch nehmen könne. Dem entspreche die Verpflichtung der Staatsorgane, gegenüber den Abgeordneten und den Fraktionen Neutralität zu wahren. Dies gelte insbesondere für die Antragsgegnerin, die zum einen als Präsidentin den Bayerischen Landtag, somit eines der obersten Staatsorgane, repräsentiere und der zum anderen in speziellen Bereichen eine eigenständige Organstellung zukomme. Im Rahmen dieser Tätigkeiten sei die Präsidentin zur parteipolitischen Neutralität und zur unparteilichen Amtsführung verpflichtet. Einseitig parteiergreifende Stellungnahmen ließen sich auch mit der Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit nicht rechtfertigen. Durch die Geltung des Neutralitätsgebots dürfe allerdings die Wahrnehmung der Aufgaben als Parlamentspräsidentin nicht infrage gestellt werden.
Es sei nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise von ihrer Amtsautorität Gebrauch gemacht habe. Das Auftreten bei der Podiumsdiskussion sei Teil der Öffentlichkeitsarbeit, die zu den Aufgaben der Parlamentspräsidentin gehöre. Thematisiert worden sei das Demokratieprinzip, einer der unabänderbaren Grundwerte der Bayerischen Verfassung, der als solcher jeder (parteipolitischen) Disposition entzogen sei. Ein maßgebliches Anliegen der Veranstaltung habe darin bestanden, die Bedeutung der Parlamente für das Staatswesen aufzuzeigen und in diesem Zusammenhang aktuelle Entwicklungen kritisch zu hinterfragen.
Soweit die Antragsgegnerin in Bezug auf die Antragstellerin geäußert habe, „[d]as Muster bei uns im Landtag ist durchgängig Provokation und Abgrenzung gegenüber den ‚Altparteien‘, wie die AfD die anderen Fraktionen nennt“, sei dies mit einem konkreten Beispiel untermauert. Die Antragsgegnerin habe auf einen Vorfall Bezug genommen, bei dem ein Abgeordneter der Antragstellerin in der Plenarsitzung am 07.07.2020 am Rednerpult und auf dem Hin- und Rückweg eine Gasmaske getragen habe. Diese offensichtlich als Protest gegen die Maßnahmen der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gedachte Vorgehensweise habe zu einer Rüge durch den Vizepräsidenten des Landtags geführt. Weder das Ergreifen von Ordnungsmaßnahmen im Rahmen der Sitzungsleitung noch die Kommunikation entsprechender Vorfälle aus einer öffentlichen Sitzung könne eine Verletzung der Neutralitätspflicht bewirken.
In der Wortwahl „Muster“ sowie „durchgängig Provokation und Abgrenzung“ komme darüber hinaus zum Ausdruck, dass es sich bei dem genannten Beispiel nicht um einen einmaligen, zu einer Rüge führenden Vorfall handele. Die Äußerung der Antragsgegnerin beruhe insoweit ebenfalls auf einer tatsachengestützten Grundlage, da von den in dieser Legislaturperiode bislang insgesamt erteilten sieben Rügen sechs gegenüber Mitgliedern der Antragstellerin ausgesprochen wurden. Die in der Äußerung anklingende Bewertung lasse daher keine Verletzung von Rechten der Antragstellerin erkennen. Entsprechendes gelte für die Verwendung des Begriffs „Altparteien“, dem die eigene Wortwahl der Antragstellerin zugrunde liege.
Soweit die Antragsgegnerin von einer „Zwickmühle“ gesprochen habe, nehme sie zwar eine Bewertung vor, wie sich der zuvor dargestellte Zustand aus ihrer Sicht auf die Parlamentsarbeit auswirke. Dabei bewege sie sich jedoch im Rahmen der ihr als Landtagspräsidentin obliegenden Aufgaben, zu denen auch die Gewährleistung eines trotz aller parteipolitischen Gegensätze respektvollen Umgangs im Parlament zähle. Sie habe dabei weder eine inhaltliche Beurteilung der politischen Positionen der Antragstellerin vorgenommen, noch habe sie durch Form und Wortwahl ihrer Äußerung fehlenden Respekt gegenüber einer Landtagsfraktion zum Ausdruck gebracht. Ebenso wenig könne dies aus der Zuordnung der Antragstellerin zum rechten Parteienspektrum geschlossen werden.
Ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs hat ein Sondervotum abgegeben.