Das Verwaltungsgericht Gera hat mit Beschluss vom 10. August 2023 zum Aktenzeichen 1 E 564/23 Ge dem Eilantrag des Antragstellers, der Mitglied des Thüringer Landesverbandes der Partei „Alternative für Deutschland“ ist, stattgegeben und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen eine Widerrufsverfügung der Waffenbehörde des Saale-Orla-Kreises vom 18. April 2023 angeordnet. Mit dem sofort vollziehbaren Bescheid hatte der Saale-Orla-Kreis die dem Antragsteller als Sportschützen erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse widerrufen.
Aus der Pressemitteilung des VG Gera Nr. 2/2023 vom 14.08.2023 ergibt sich:
Den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse begründete der Antragsgegner mit der fehlenden waffenrechtlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers als Mitglied der AfD, die mit Wirkung vom 15. März 2021 vom Verfassungsschutz als eine erwiesen rechtsextremistische Vereinigung eingestuft worden sei. Aus einem Vermerk des Verfassungsschutzes vom 23. Mai 2022 als auch aus dem Verfassungsschutzbericht 2021 ergäben sich hierfür nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte. Die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit erstrecke sich auch auf die Mitgliedschaft in solchen Parteien, die nicht durch das Bundesverfassungsgericht verboten bzw. als verfassungswidrig eingestuft worden seien, wenn es sich um Vereinigungen handele, deren Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien.
Das Gericht hat festgestellt, dass diese Voraussetzungen für einen Widerruf der Waffenerlaubnisse von der Waffenbehörde bislang nicht tragfähig nachgewiesen worden seien. Es führte aus, dass bereits nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 Nr. 3 b des Waffengesetzes als auch nach der Gesetzeshistorie und dem daraus ableitbaren gesetzgeberischen Willen das Verfolgen von Bestrebungen im Sinne dieser Vorschrift feststehen müsse. Ein bloßer durch Tatsachen begründeter Verdacht reiche nicht aus. Weder aus dem Vermerk des Verfassungsschutzes vom 23. Mai 2022 noch aus dem Verfassungsschutzbericht 2021 folge jedoch mit der erforderlichen Sicherheit die Verfassungsfeindlichkeit des gesamten Landesverbandes der AfD Thüringen. Zentraler Schwerpunkt des Vermerkes seien verfassungsrechtliche Bewertungen von Äußerungen des „einen Landessprechers“ der AfD Thüringen. Dessen Äußerungen seien zwar grundsätzlich gewichtige Indizien für die Gesamtausrichtung der Vereinigung. Mit Blick auf die Größe des Landesverbandes der AfD sowie die regelmäßig komplexen Strukturen politischer Parteien könne eine entsprechende Schlussfolgerung jedoch nicht schematisch erfolgen. Vielmehr bedürfe ein solcher Schluss der Absicherung durch eine eingehende und ausführliche Analyse der entsprechenden programmatischen Aussagen der Partei sowie der Aussagen einer ausreichenden Vielzahl von Funktionären, Mitgliedern oder sonstigen Personen, die der Partei zugerechnet würden, um feststellen zu können, ob daraus eine systematische Verletzung und Missachtung der in § 4 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes genannten Verfassungsgrundsätze folge. Daran lasse es der nur 23seitige Vermerk fehlen. Zu Recht habe der Antragsteller darauf hingewiesen, dass insbesondere das Prüfergebnis des Thüringer Landesverwaltungsamtes zur bejahten Verfassungstreue des zuletzt gewählten Landrates des Landkreises Sonneberg gegen die Annahme spreche, es existiere nur eine einzige politische Grundausrichtung der Partei, die alle anderen dominiere. Hinzu komme, dass die in dem Bescheid verwerteten und vom Verfassungsschutz mitgeteilten offiziellen programmatischen Forderungen des Landesverbandes der AfD im Wahlprogramm des Jahres 2019 zur Landtagswahl in Thüringen von ihrem Aussagegehalt her vom Verfassungsschutz in eine bestimmte politische Richtung interpretiert würden, ohne dass die Interpretationen in dem Vermerk hinlänglich plausibel gemacht worden seien. Soweit beispielsweise der Landesverband der AfD einen deutlich abgesenkten Versorgungs- und Unterbringungsstandard für Asylbewerber fordere, sei darauf hinzuweisen, dass hier das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 Bvl 2/11) keine verfassungsrechtlich gebotenen Mindeststandards bei den Leistungssätzen festgelegt habe, sondern dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum einräume. Zudem werde in diesem vom Verfassungsschutz mitgeteilten und vom Antragsgegner verwerteten Ausschnitt des Parteiprogramms an zwei Stellen einschränkend betont, dass man bei der Absenkung der Leistungen nur die „rechtlich bestehenden Möglichkeiten“ nutzen bzw. ergreifen wolle. Dass es sich hierbei um bloße „Lippenbekenntnisse“ handele, werde in dem Vermerk nicht weiter belegt. Allein dass der Landessprecher sich in diesem Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kritisch befasst habe, reiche nicht für die Annahme aus, der gesamte Landesverband der AfD habe in Wahrheit bewusst unter Verstoß gegen die Maßgaben des Art. 1 GG gefordert, die staatlichen Leistungen für Asylbewerber unter das menschenwürdige Existenzminimum abzusenken.
Schließlich werde dem Antragsteller seitens des Antragsgegners auch nicht vorgeworfen, dass er als Einzelperson Bestrebungen verfolge oder verfolgt habe, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien. Auch aus dem übrigen Akteninhalt ergäben sich keinerlei Hinweise dafür, dass vom Antragsteller jetzt oder in Zukunft irgendwelche waffenrechtlich erheblichen Gefahren ausgehen könnten.