Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 08. August 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 171/20 entschieden, dass eine Vorlage an den EuGH erforderlich ist, wenn ein Gericht von dessen Rechtsprechung abweicht.
Zu bemerken ist, dass sich die Fachgerichte mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten nicht im Einzelnen auseinandergesetzt haben, obwohl der Beschwerdeführer ausdrücklich auf diese Rechtsprechung hingewiesen hatte. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. November 2019 zwar ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Kenntnisnahme von dem Strafbefehl trotz vorheriger Belehrung habe verstreichen lassen, sodass auch keine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens gegeben sei. Dass das Landgericht mit dieser knappen Feststellung unter die vom Gerichtshof aufgestellten Maßstäbe hätte subsumieren wollen, erschließt sich aber nicht ohne Weiteres.
In seiner Entscheidung vom 20. Dezember 2019 hat das Landgericht bemerkt, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigt, aber nicht als einschlägig erachtet worden sei. Diese Rechtsauffassung begründet es nicht, obwohl sie sich nicht ohne Weiteres erschließt. So hatte der Gerichtshof bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 – auf die der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren hingewiesen hatte – ausgeführt, dass ein Beschuldigter, sobald er von einer an ihn gerichteten strafrechtlichen Entscheidung tatsächlich Kenntnis erlangt habe, in die gleiche Lage zu versetzen sei, als sei ihm diese Entscheidung persönlich zugestellt worden. Er müsse insbesondere über die volle Einspruchsfrist verfügen. Es liegt daher nicht fern, dass das Landgericht eine von der Rechtsprechung des Gerichtshofs abweichende Entscheidung getroffen haben könnte. Eine Vorlage des Verfahrens nach Art. 267 AEUV wäre daher möglicherweise geboten gewesen. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Landgericht an seiner Rechtsauffassung auch dann festhielte, nachdem es sich des etwaigen Widerspruchs zur Rechtsprechung des Gerichtshofs vergegenwärtigt hätte. Für einen solchen Widerspruch spricht auch, dass der Gerichtshof zwischenzeitlich – nach den hier ergangenen fachgerichtlichen Entscheidungen – seine Rechtsprechung spezifiziert und ausgeführt hat, dass der Adressat eines Strafbefehls nicht dartun müsse, sich zeitnah bei dem Zustellungsbevollmächtigten nach der Existenz des Strafbefehls erkundigt zu haben.