Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster hat am 14.07.2020 zum Aktenzeichen 6/20 entschieden, dass die Mehrheit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „PUA II – Hackerangriff/Stabstelle“ Beweisanträge der Ausschussminderheit teilweise zu Unrecht abgelehnt hat.
Aus der Pressemitteilung des VerfGH NRW vom 14.07.2020 ergibt sich:
Der „PUA II – Hackerangriff/Stabstelle“ hat unter anderem den Auftrag, möglicherweise wahrheitswidrige Erklärungen der Landesregierung im Zusammenhang mit einem vermeintlichen „Hacker-Angriff“ auf Frau Staatsministerin a. D. Christina Schulze-Föcking aufzuklären. In der Ausschusssitzung am 10.01.2020 stellte die qualifizierte Minderheit bestehend aus den fünf stimmberechtigten Mitgliedern der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zwei Beweisanträge. Der Beweisantrag zu 1. betrifft in erster Linie die Herausgabe der dienstlichen Telefonverbindungsdaten zwischen dem Justizminister und dem für die Ermittlungen zuständigen Oberstaatsanwalt im Zeitraum vom 28.03. bis zum 17.04.2018 sowie zwischen dem Justizminister und der Staatsministerin a. D. im Zeitraum vom 15.03. bis zum 17.04.2018, gegebenenfalls nach einer vorherigen Abfrage bei den jeweiligen Providern. Hilfsweise sollen die Betroffenen dem Ausschussvorsitzenden ihre dienstlich genutzten Telefonnummern und die dazugehörigen Provider nennen. Der Beweisantrag zu 2. betrifft die weitere Sicherung der dienstlichen Telefonverbindungsdaten zwischen dem Justizminister, einem Staatssekretär, der Staatsministerin a. D. und dem zuständigen Oberstaatsanwalt für den Zeitraum vom 15.03.2018 bis zum 13.06.2018. Die aus den Fraktionen von CDU und FDP bestehende Ausschussmehrheit lehnte die Anträge als unzulässig ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, die Anträge seien unbestimmt, gingen über den Untersuchungsgegenstand des Ausschusses hinaus und verstießen gegen das Fernmeldegeheimnis sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Antragstellerin hat daraufhin vor dem Verfassungsgerichtshof ein Organstreitverfahren gegen die Ausschussmehrheit eingeleitet.
Der VerfGH Münster hat festgestellt, dass die Ablehnung der Beweisanträge durch die Ausschussmehrheit in Teilen das aus Art. 41 Abs. 1 Satz 2 LV folgende Recht der Ausschussminderheit auf Beweiserhebung verletzt hat.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes hat die Antragstellerin ein fortbestehendes Interesse an der gerichtlichen Klärung auch, soweit die Beweisanträge die Verbindungsdaten beträfen, deren Herausgabe oder weitere Sicherung der Justizminister mit Erklärung vom 10.06.2020 zugesagt habe. Zwischen den Beteiligten des Organstreitverfahrens seien die Rechtsfragen weiter streitig.
Die Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof sei auf die von der Ausschussmehrheit angeführte Begründung beschränkt. Diese Begründung trage die Ablehnung der Beweisanträge nicht, soweit der Beweisantrag zu 1. auf die Herausgabe der im Herrschaftsbereich der betroffenen Amtsträger vorhandenen Verbindungsdaten sowie auf die „hilfsweise“ Benennung sämtlicher dienstlich genutzter Telefonnummern mit dazugehörigen Providern gerichtet sei und soweit der Beweisantrag zu 2. den Zeitraum vom 15.03. bis zum 09.05.2018 betreffe. In diesem Umfang seien die Anträge hinreichend bestimmt und vom Untersuchungsgegenstand umfasst. Sie seien auch auf eine Beweiserhebung i.S.d. Art. 41 Abs. 1 Satz 2 LV gerichtet. Der Begriff der Beweiserhebung i.S.d. Art. 41 Abs. 1 Satz 2 LV sei weit zu verstehen. Er umfasse den gesamten Vorgang der Beweisverschaffung, Beweissicherung und Beweisauswertung. Gegenstand eines Herausgabeverlangens zur Beweisverschaffung durch den Untersuchungsausschuss könnten grundsätzlich alle sächlichen Beweismittel sein, die sich im Herrschaftsbereich des Adressaten befänden. Im Übrigen unterliege das Beweiserhebungsrecht Grenzen, die ihren Grund in der Verfassung haben müssten. Diese Grenzen könnten sich insbesondere aus den Grundrechten ergeben. Dies gelte grundsätzlich auch für Beweisanträge, die politische Amtsträger oder Beamte beträfen. Sofern die Beweisanträge der Antragstellerin die Grundrechte der Betroffenen überhaupt berührten, seien die Eingriffe jedenfalls verhältnismäßig, weil sie allein auf die dienstliche Sphäre beschränkt blieben.
Zu Recht abgelehnt habe die Ausschussmehrheit dagegen die mit dem Beweisantrag zu 1. angestrebte Verpflichtung der Adressaten, Verbindungsdaten, die ihnen selbst nicht mehr vorlägen, zunächst bei den Providern abzufragen. Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Herrschaftsbereich Dritter gehe über die von Art. 41 Abs. 1 Satz 2 LV erfasste Beweiserhebung hinaus. Ebenfalls zu Recht abgelehnt habe die Ausschussmehrheit den Beweisantrag zu 2., soweit er den Zeitraum nach dem 09.05.2018 betreffe. In diesem Umfang sei er nicht mehr vom Untersuchungsgegenstand – möglicherweise wahrheitswidrige Erklärungen der Landesregierung im Zusammenhang mit einem vermeintlichen „Hacker-Angriff“ auf Frau Staatsministerin a. D. Christina Schulze-Föcking aufzuklären – umfasst. Am 09.05.2018 hatte das Ministerium der Justiz vorangegangene Erklärungen über einen vermeintlichen „Hacker-Angriff“ nämlich bereits richtig gestellt.