Der Staatsgerichtshof Bremen, hat mit Urteil vom 26.02.2019 zum Aktenzeichen St 1/18 entschieden, dass der Senat der Freien Hansestadt Bremen eine parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Jan Timke, Piet Leidreiter und Klaus Remkes nicht hinreichend beantwortet hat.
In der Sitzung der Bremischen Bürgerschaft am 21.06.2018 stellte der Abgeordnete Jan Timke im eigenen Namen und für die Gruppe „Bürger in Wut“ („BIW“) zu dem Thema „Angriffe im privaten Wohnumfeld“ im Rahmen der Fragestunde der Bremischen Bürger-schaft folgende Fragen:
„Erstens: In wie vielen Fällen wurden im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 31. Dezember 2017 Polizeibeamte, Angehörige der Justiz, Politiker oder Mitarbeiter der Ver-waltung – mutmaßlich – im Zusammenhang mit ihrer dienstlichen oder politischen Tätigkeit von dritten Personen rechtswidrig in ihrem privaten Wohnumfeld angegangen und in wie vielen dieser Fälle kam es dabei zu Sach- oder Personenschäden? Bitte getrennt nach Jahren und den oben genannten Opfergruppen ausweisen!
Zweitens: Wie viele Tatverdächtige aus Frage eins konnten von der Polizei ermittelt werden, und in wie vielen Fällen war das Handeln dieser Personen politisch motiviert? Bitte getrennt nach Jahren ausweisen!
Drittens: Wie haben sich die Tatverdächtigen nach den Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden die privaten Wohnanschriften ihrer Opfer verschafft und was wird vonseiten des Senats getan, um Übergriffe dieser Art zum Schutz der in Frage eins genannten Personengruppen und ihrer Familien zu verhindern?“
Diese Fragen beantwortete der Innensenator wie folgt:
„Zu Frage eins bis drei: Eine technische Erfassung der in der Fragestellung beschriebenen Vorgänge wird seitens der Ermittlungsbehörden nicht vorgenommen. Eine Beantwortung der Fragen könnte nur durch eine Einzelauswertung aller Strafanzeigen erfolgen. Dies ist mit einem vertretbaren Aufwand nicht möglich. Valide Aussagen zu Sachverhalten und Tatverdächtigen können daher nicht getroffen werden.
Der Senat und die nachgeordneten Behörden stehen im engen Austausch mit verschiedenen Beratungsstellen und Opferschutzorganisationen. Betroffenen steht der Senat im Bedarfsfall selbstverständlich unterstützend und vermittelnd zur Seite. – So weit die Antwort des Senats!“
Die Antragsteller rügen vor dem Staatsgerichtshof, der Antragsgegner habe es zu Unrecht abgelehnt, die Fragen zu beantworten und dadurch ihr Informationsrecht als Abgeordnete verletzt.
In seinem Urteil vom 26. Februar 2019 hat der Staatsgerichtshof festgestellt, dass der Senat bei der Beantwortung der Fragen gegen seine Begründungspflicht aus Art. 100 Abs. 1 Satz 2 BremLV i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft verstoßen habe.
Nach Art. 100 BremLV können Abgeordnete in Fraktionsstärke an den Senat Anfragen in öffentlichen Angelegenheiten richten. Die Geschäftsordnung kann vorsehen, dass dieses Recht auch einzelnen Mitgliedern der Bürgerschaft zusteht. Eine entsprechende Regelung enthält § 30 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft.
In der Urteilsbegründung führt der Staatsgerichtshof aus, das Fragerecht des einzelnen Abgeordneten ziele auf eine Beteiligung der Mitglieder der Bürgerschaft am Wissen der Regierung, um deren Informationsvorsprung gegenüber dem Parlament auszugleichen. Der dem Fragerecht korrespondierende Informationsanspruch gegenüber dem Senat diene dazu, den Abgeordneten die für ihre Tätigkeit nötigen Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu verschaffen. Dabei realisiere das in § 30 der Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft geregelte Fragerecht des einzelnen Abgeordneten ungeachtet einiger Besonderheiten in seiner konkreten Ausgestaltung dasselbe Informationsrecht wie das in § 29 der Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft geregelte Fragerecht der Fraktionen im Rahmen von Großen und Kleinen Anfragen.
Für die Abfassung der Antwort komme dem Senat eine gewisse Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Detailgenauigkeit seiner Antwort zu. Der Senat sei berechtigt, die Bedeutung des Informationsverlangens mit der durch die Beantwortung entstehenden Arbeitsbelastung abzuwägen und dabei auch das für die Beantwortung zur Verfügung stehende Zeitkontingent zu berücksichtigen. Auch wenn das Informationsrecht unter dem Vorbehalt der Zumut-barkeit stehe, seien grundsätzlich alle Informationen mitzuteilen, über die die Regierung verfüge und die mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung zu bringen seien. Dies schließe die Auswertung des persönlichen, nicht aktenkundigen Wissens der handelnden Personen ein. Im Rahmen der Zumutbarkeit des Aufwandes, den der Senat bei der Beantwortung einer Frage betreiben müsse, seien länderspezifische Gegebenheiten zu berücksichtigen. Die Beantwortung einer Frage dürfe die Arbeitsfähigkeit des Senats und der nachgeordneten Behörden nicht gefährden.
Die komplette Verweigerung der Beantwortung einer zulässigerweise gestellten Frage unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit bedürfe indes einer substantiierten Begründung. Im Falle der nur teilweisen Beantwortung einer Anfrage seien die Gesichtspunkte darzulegen, die einer umfassenderen Antwort in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entgegenstünden. Nur auf diese Weise erfahre der Fragesteller die Gründe und könne die Erfolgsaussichten einer Inanspruchnahme verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes abschätzen.
Im vorliegenden Fall hätte der Senat in seiner Antwort konkret darlegen müssen, welche Anstrengungen er unternommen habe und aus welchen Gründen diese Anstrengungen nicht zum gewünschten Erfolg geführt hätten. Mit der behaupteten schlichten Unmöglichkeit der Beantwortung habe er seiner Begründungspflicht nicht genügt.
Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach, LL.M. vertritt Abgeordnete im Abgeordnetenrecht, Parteien im Parteienrecht und Fraktionen im Fraktionsrecht.