Das Amtsgericht Berlin Mitte hat mit Urteil vom 15.04.2024 zum Aktenzeichen 21 C 252/23 entschieden, dass das Land Berlin einem Mann, der diskriminierend von der Polizei kontrolliert wurde 750,00 € Entschädigung zahlen muss.
Der Kläger macht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Entschädigung nach dem Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) geltend.
Am 12. Juli 2020 befuhr der Kläger gemeinsam mit der Zeugin ……. jeweils mit dem Fahrrad die Straße des 17. Juni in Berlin-Tiergarten. Gegen 15:25 Uhr stieg er von seinem Fahrrad ab und wartete an einer roten Ampel, um die Straße mit anderen anwesenden Passanten zu überqueren. Während des Wartens holte er ein Brillenetui heraus, um seine Brille mit dem darin befindlichen Tuch zu säubern. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befanden sich in etwa 15 – 20 Metern Entfernung die Polizeibeamten der Fahrradstaffel ……… und POK …….
KOK …… sprach den Kläger an und behauptete, der Kläger habe beim Fahrradfahren telefoniert, was der Kläger verneinte. KOK …….. korrigierte sich dahingehend, der Kläger habe während des Fahrradfahrens ein Mobiltelefon in der Hand gehabt. Auch das verneinte der Kläger. Auf die sinngemäße Frage von KOK …….., ob in seiner Tasche ein Telefon sei, antwortete der Kläger „ja“. Sodann wurde der Kläger von KOK ….. aufgefordert, ein Verwarnungsgeld in Höhe von 55,00 € zu zahlen, was der Kläger unter Hinweis darauf verweigerte, dass er kein Bargeld bei sich führe und die schriftliche Begründung abwarten wolle. KOK ……. verwies auf die Möglichkeit, das Verwarnungsgeld mit Kartenzahlung zu bezahlen und gab an, dass es „per Schreiben teurer“ werde. Der Kläger antwortete, er habe ein Recht auf eine schriftliche Begründung und verweigerte die Zahlung erneut.
KOK ……… forderte den Kläger sodann auf, seine persönlichen Daten anzugeben, woraufhin dieser seine Gesundheitskarte mit Lichtbild vorzeigte. Auf die Frage des Polizeibeamten, woher er komme und was er denn „hier“ mache, antwortete der Kläger, er komme aus ………. und sei in Berlin bei seinem Bruder zu Besuch. Nach einem Wortwechsel, der zwischen den Parteien streitig ist, gab der Kläger an, in Bochum geboren zu sein. KOK …… wiederholte das Wort „Bochum“ mit abweichender Betonung. Daraufhin erklärte der Kläger, dass er sich beschweren wolle und notierte die Dienstnummern der Polizeibeamten. POK ……. äußerte gegenüber dem Kläger, dass eine Beschwerde und auch ein sich gegebenenfalls anschließendes Gerichtsverfahren für den Kläger erfolglos verlaufen würden, weil dort die Polizei Recht behalten würde.
Während der polizeilichen Ansprache stand in der Nähe ein Fahrzeug im Parkverbot. Der blonde Fahrer wurde von den Beamten freundlich und zuvorkommend aufgefordert weiterzufahren, ohne dass gegen den Fahrer eine polizeiliche Maßnahme eingeleitet wurde.
Die Zeugin …… war während der gesamten polizeilichen Ansprache in Hörweite.
Mit Schreiben vom 16.07.2020 erhielt der Kläger zunächst eine schriftliche Verwarnung unter Festsetzung eines Verwarnungsgeldes in Höhe von 55,00 € wegen vorschriftswidriger Verwendung eines elektronischen Geräts als Radfahrer.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 29.07.2020 zugleich Einspruch und Dienstaufsichtsbeschwerde ein und nahm zu dem Vorfall Stellung. Wegen des Wortlauts im Einzelnen wird auf die Anlage K1 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 19.08.2020 erhielt der Kläger sodann einen Bußgeldbescheid über 83,50 € wegen desselben Vorwurfs unter Hinweis auf § 24 StVG.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 01.09.2020 auch hiergegen Einspruch ein. Wegen des Wortlauts im Einzelnen wird Bezug genommen auf die Anlage K5.
Am 10.09.2020 wandte sich der Kläger an die Ombudsstelle der Landesantidiskriminierungsstelle Berlin der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung. Diese wandte sich wegen des Vorfalls mit Schreiben vom 22.10.2020 an die Polizeipräsidentin Berlin, wegen dessen Inhalts auf die Anlage K7 Bezug genommen wird.
Die Beschwerde des Klägers vom 29.07.2020 wurde getrennt von dem Ordnungswidrigkeitsverfahren bearbeitet und mit Schreiben vom 14.09.2020 von der Beschwerdestelle der Direktion Einsatz und Verkehr zurückgewiesen.
Mit Beschluss vom 15.12.2020 wurde das Ordnungswidrigkeitenverfahren durch das Amtsgericht Tiergarten eingestellt.
Die Polizei wies mit Schreiben vom 22.01.2021 die Beschwerde des Klägers durch die Ombudsstelle zurück, wegen dessen Wortlauts auf die Anlage K9 Bezug genommen wird.
Die Ombudsstelle machte daraufhin mit Schreiben vom 26.07.2021 von ihrem Beanstandungsrecht gemäß § 14 Abs. 4 LADG Gebrauch. Wegen des Wortlauts wird auf die Anlage K10 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 31.08.2021 wandte sich die Polizei Berlin an den Kläger und erklärte, anzuerkennen, „dass das Verhalten und die Einsatzgestaltung am 12. Juli 2020 durch [KOK …… und POK ……] auf Sie diskriminierend gewirkt hat und belästigend für Sie war.“ Weiter
heißt es „Ich bedauere den Vorfall und möchte dafür im Namen der Polizei Berlin bei Ihnen um Entschuldigung bitten.“
Der Kläger machte mit Schreiben vom 19.11.2021 gegenüber der Polizei einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 2.000,00 € auf Grundlage des LADG geltend, was diese mit Schreiben vom 28.12.2021 unter einem Entschädigungsangebot von 100,00 € ablehnte.
Der Kläger behauptet, die Ansprache und das Verhalten der Polizisten sei unfreundlich, rabiat, aggressiv, herabwürdigend, furchteinflößend, bedrohlich und übergriffig gewesen. Ihm sei eine Handlung fälschlicherweise unterstellt und seine Glaubwürdigkeit abgesprochen worden.
KOK ……. habe auf seine Antwort, er komme aus Marburg, gefragt, wo der Kläger „wirklich herkomme“. Der Kläger habe daraufhin erklärt, er stamme aus Deutschland. Bei der Wiederholung seiner Antwort auf die Frage wo er wirklich herkomme habe KOK ……. bei dem Wort „Bochum“ lächelnd die Silbe „ch“ besonders betont und seinen Kollegen angesehen.
Der Kläger behauptet, er habe sich während der öffentlichen Maßnahme herabgewürdigt und verängstigt gefühlt. Gegenüber dem Fahrer des im Halteverbot geparkten Fahrzeugs seien die Beamten dagegen freundlich und zuvorkommend gewesen. Er sei nachhaltig erschüttert und verunsichert. Sein Vertrauen in die Rechtmäßigkeit staatlicher Handlungen sei durch den Vorfall völlig zerstört worden.
Denn dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 750,00 € gemäß § 8 Abs. 1 S. 1, S. 2 LADG zu.
Danach hat bei einem Verstoß gegen das in § 2 LADG normierte Diskriminierungsverbot die öffentliche Stelle, in deren Verantwortungsbereich die Diskriminierung stattgefunden hat, der diskriminierten Person den hierdurch entstehenden Schaden zu ersetzen, wobei wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden kann. Gemäß § 2 LADG darf kein Mensch im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns auf Grund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen und antisemitischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebensalters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie des sozialen Statuts diskriminiert werden.
Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 LADG liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines oder mehrerer der in § 2 LADG genannten Gründe eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde und die Ungleichbehandlung nicht nach § 5 LADG gerechtfertigt ist. Eine Ungleichbehandlung ist nach § 5 Abs. 1 LADG gerechtfertigt, wenn sie auf Grund eines hinreichend sachlichen Grundes erfolgt, wobei sich die Rechtfertigung, wenn die Ungleichbehandlung wegen mehrerer Gründe erfolgt, gemäß § 5 Abs. 3 LADG auf alle Gründe erstrecken muss. § 4 Abs. 1 S. 3 LADG präzisiert, dass eine unmittelbare Diskriminierung ebenfalls vorliegt, wenn die Person, die die Diskriminierung begeht, das Vorliegen eines oder mehrerer der in § 2 LADG genannten Gründe nur annimmt. Gemäß § 4 Abs. 3 LADG ist eine Belästigung eine Diskriminierung, wenn ein unerwünschtes Verhalten, das mit einem oder mehreren der in § 2 LADG genannten Gründe in Zusammenhang steht, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird, insbesondere wenn es ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld schafft.
So liegt der Fall hier. Denn der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass er unmittelbar durch einen Polizeibeamten diskriminiert wurde. Das LADG stellt in § 7 eine Vermutungsregelung auf, wonach es im Fall glaubhaft gemachter Tatsachen, die das Vorliegen eines Verstoßes gegen
§ 2 oder § 6 LADG überwiegend wahrscheinlich machen, der öffentlichen Stelle obliegt, den Verstoß zu widerlegen. Dies ist dem Beklagten nicht gelungen. Im Einzelnen:
Der Kläger hat Tatsachen glaubhaft gemacht, die das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 2 oder § 6 LADG überwiegend wahrscheinlich machen.
Denn der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass der Zeuge —— ihn im Zuge der Aufnahme der personenbezogenen Daten fragte, wo der Kläger „wirklich“ herkomme. Diese Handlung ist unmittelbar diskriminierend und nicht gerechtfertigt. Der Beklagte hat die Tatsachen auch nicht widerlegt.
Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht, dass der Zeuge —– ihn gefragt hat, wo er „wirklich“ herkomme. Der Kläger hat diese konkrete Formulierung bereits in seinem Einspruch vom 29.07.2020 wiedergegeben (Anlage K1, Anlagenband Bl. 7). Dieser konkreten Darstellung wurde im Schreiben des Beklagten vom 14.09.2020 (Anlage K6, Anlagenband Bl. 24, 25) auch nicht entgegengetreten, sondern allein darauf verwiesen, die Kenntnis des Geburtsortes sei für die Identitätsfeststellung erforderlich. Auch die Stellungnahme des Beklagten gegenüber der Ombudsstelle vom 22.01.2021 (Anlage K9, Anlagenband Bl. 31 (32)) enthält keinen Hinweis darauf, dass der Darstellung des Gesprächsverlaufs, insbesondere der Frage, wo der Kläger „wirklich“ herkomme, entgegengetreten wird. Erneut bezieht sich der Beklagte lediglich darauf, dass Nachfragen zum Wohn- und Geburtsort zur Identitätsfeststellung zwingend seien. Auch im Rahmen dieses Rechtsstreits ist der Beklagte dieser Behauptung des Klägers zunächst nicht entgegengetreten: In der Stellungnahme zum Prozesskostenhilfeantrag des Klägers vom 29.04.2022 (Bl. 50 f. der Gerichtsakte) bestreitet der Beklagte nicht, dass der Kläger gefragt wurde, wo er „wirklich“ herkomme, geht aber auf die Behauptung des Klägers ein, die Silbe „ch“ im Wort Bochum sei mit ungewöhnlicher Betonung wiederholt worden. Erst auf die Entscheidung des Kammergerichts über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe durch das Landgericht und die Verfügung des hiesigen Gerichts, in der sich der Rechtsauffassung des Kammergerichts angeschlossen wurde, hat der Beklagte dagegen erstmalig mit Schriftsatz vom 16.02.2024 (Bl. 143 der Gerichtsakte) bestritten, den Kläger gefragt zu haben, wo er „wirklich“ herkomme. Das Gedächtnisprotokoll des Zeugen ———–, der sich zu dem konkreten Gesprächsverlauf im Wortlaut nicht äußert, ist insoweit unergiebig (vgl. Bl. 170 der Gerichtsakte). Der Kläger hat zudem in seiner persönlichen Anhörung eindrücklich und nachvollziehbar den Gesprächsverlauf geschildert, und zwar – widerspruchsfrei – so, wie er ihn auch von Anfang an mitgeteilt hat. Zwar hat die Zeugin —– erst auf konkrete Nachfrage ausgesagt, sich an die Frage erinnern zu können. Auf Nachfrage konnte sie sich aber an die Frage erinnern und gab auch – was für ein eigenes Erleben spricht – freimütig zu, nicht sicher erinnern zu können, ob die Frage nach der „wirklichen“ oder „ursprünglichen“ Herkunft lautete. Dass ein Zeuge – zumal ohne rechtliche Vorbildung – nach knapp vier Jahren nicht von sich aus jedes Detail eines Gesprächsverlaufs im Wortlaut angibt, erscheint nachvollziehbar und spricht nicht gegen die Wahrhaftigkeit der Aussage. Die Zeugin war auch glaubwürdig, insbesondere hat sie kein eigenes Interesse am Prozessausgang und wies keine Belastungstendenz auf, sondern gab die von ihr wahrgenommenen Tatsachen spontan und sachlich wieder, ohne dabei emotionslos zu sein. Die Aussage des Zeugen ——–, wonach ihm die Frage, wo der Kläger „wirklich“ herkomme, gar nicht „zustehe“, legt dagegen nahe, er habe (bis heute) nicht nachvollzogen, weshalb diese Frage nicht nur ihm, sondern niemandem „zusteht“. Dass das Wort „Marburg“ nicht gefallen sei, wird durch die polizeiliche Aufnahme des Vorfalls des Zeugen Gegner (Bl. 167 der Gerichtsakte) widerlegt, wo der Wohnort des Klägers in Marburg notiert ist. Das Wort „Marburg“ muss also sehr wohl im Gesprächsverlauf genannt worden sein. Die Aussage des Zeugen —– war insoweit unergiebig, denn er konnte nicht mehr erinnern, was der Zeuge ——- im Wortlaut gesagt hatte und sagte allein zu seiner allgemeinen polizeilichen Erfahrung aus, ohne dass diese im konkreten Fall sich auch – wohlgemerkt nicht bei einer Ansprache durch ihn, sondern seinen Kollegen – so niedergeschlagen haben muss. Die von dem Kläger zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemachten Tatsachen sind danach nicht zur Überzeugung des Gerichts widerlegt (vgl. zur Beweislast nach § 7 LADG: Däubler/Beck/Alexander Klose, 5. Aufl. 2022, AGG § 24 Rn. 130).
Bei der Frage, wo der Kläger „wirklich“ herkomme, handelt es sich auch um eine Diskriminierung auf Grund der ethnischen Herkunft und einer rassistischen Zuschreibung gemäß § 2 LADG. In der Gesetzesbegründung heißt es, das Merkmal der ethnischen Herkunft verweise auf die Herkunft eines Menschen aus einer Gruppe von Menschen, die durch bestimmte sozio-kulturelle Kriterien wie zum Beispiel eine gemeinsame Sprache, geteilte Traditionen oder soziale Konventionen miteinander verbunden sind. Weitere Anhaltspunkte könnten physische Merkmale, die geographische Herkunft oder eine geteilte Religion sein. Der Begriff sei weit zu interpretieren (Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 18/1996, S. 20). Hinsichtlich des Begriffs der rassistischen Zuschreibung enthält die Gesetzesbegründung keine Definition, sondern lediglich Ausführungen zur Begründung der Wortwahl. Betont wird aber, dass der Schutzbereich des § 2 LADG dem Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG und des § 1 AGG im Falle von Ungleichbehandlungen auf Grund der „Rasse“ entspricht. Erfasst werden insbesondere Ungleichbehandlungen auf Grund der Hautfarbe (so beispielsweise OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29.10.2012 – 7 A 10532/12.OVG).
Indem KOK —– den Kläger, nachdem dieser seine Gesundheitskarte zur Aufnahme seiner personenbezogenen Daten bereits vorgezeigt hatte und auf die Frage des Beamten was er hier mache und wo er herkomme wahrheitsgemäß geantwortet hatte, fragte, wo er denn „wirklich“ herkomme, hat er ihn unmittelbar diskriminiert. Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts die Tatsachen glaubhaft gemacht, die das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbotes überwiegend wahrscheinlich machen.
Durch die Nachfrage, wo er „wirklich“ herkomme und wo er geboren sei, wurde der Kläger auf Grund seiner ethnischen Herkunft und einer rassistischen Zuschreibung weniger günstig behandelt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Die Nachfrage erfolgte nachdem der Kläger bereits angegeben hatte, aus Marburg zu kommen. Dieser Gesprächsverlauf macht es im Sinne des § 7 LADG überwiegend wahrscheinlich, dass die Nachfrage nur erfolgte, weil KOK —— davon ausging, dass „Marburg“ als Antwort auf die Frage, wo der Kläger herkomme, unwahr oder jedenfalls unzureichend war. Eine solche Annahme beruht überwiegend wahrscheinlich auf der Wahrnehmung des Klägers durch den Beamten als eine Person mit Migrationshintergrund und unter Zuschreibung von rassistischen Merkmalen. Eine andere Person ohne Migrationshintergrund, hätte in einer vergleichbaren Situation eine günstigere Behandlung erfahren, indem sie nicht gefragt worden wäre, wo sie „wirklich“ herkomme.
Der Beklagte hat den Verstoß gegen § 2 LADG nicht zur Überzeugung des Gerichts widerlegt.
Die Kontextualisierung der Frage in die Aufnahme der personenbezogenen Daten genügt nicht, um den diskriminierenden Zusammenhang zu widerlegen. Die Aufnahme der Daten als polizeiliche Maßnahme stellt nicht als solche einen sachlichen Grund dar, welcher der Anknüpfung an die ethnische Herkunft und die rassistische Zuschreibung gemäß § 2 LADG entgegensteht. Maßgeblich ist vielmehr die (Un-)Rechtmäßigkeit der Maßnahme und die Art und Weise der Ansprache.
Die Behauptung, eine solche Frage sei für die Aufnahme der personenbezogenen Daten erforderlich, ist falsch. Anzumerken ist zunächst, dass es schon keinen sachlichen Grund für die Aufnahme der personenbezogenen Daten des Klägers gab, nachdem sich die Verwechslung des Mobiltelefons mit dem Brillenetui herausgestellt hatte und damit feststand, dass keine straßenverkehrsrechtliche Ordnungswidrigkeit vorlag.
Maßgeblich ist aber der Wortlaut der Frage. So mag es erforderlich sein, den Geburtsort einer Person aufzunehmen. Dieser ging aus der Gesundheitskarte des Klägers nicht hervor. Eine entsprechende Nachfrage nach dem Geburtsort unterscheidet sich aber qualitativ von der Frage, wo der Kläger „wirklich“ herkomme. Während die erste Frage einen objektiven Fragegehalt hat, wird dem Gegenüber bei letzterer Frage unterstellt, dass die vorhergehende Antwort unwahr oder unpräzise sei. Zudem wird vom Sprecher vermittelt, das Gegenüber gehöre auf Grund seiner Herkunft oder seines Geburtsorts nicht zu einer bestimmten Gruppe und müsse sich zusätzlich erklären. Dadurch wird vom Sprecher ein Gefühl der Ausgrenzung vermittelt.
Die Nachfrage auch nicht etwa gemäß § 5 Abs. 1 LADG gerechtfertigt. Die Aufnahme der Daten als polizeiliche Maßnahme stellt keinen sachlichen Grund im Sinne des § 5 Abs. 1 LADG für die Frage, wo der Kläger „wirklich“ herkomme, dar.
Die Art und Weise der Behandlung des Klägers während der polizeilichen Maßnahme stellt ebenfalls eine diskriminierende Belästigung dar.
Denn der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts Tatsachen glaubhaft gemacht, die eine diskriminierende Belästigung überwiegend wahrscheinlich machen. Die Behauptung des Klägers, wonach die Beamten ihn mit hoher Lautstärke und auf einschüchternde, bedrohliche Art und Weise ansprachen, wird durch die Aussage der Zeugin Ho bestätigt, die plausibel und nachvollziehbar angab – obwohl sie selbst von der Maßnahme nicht betroffen war – sie habe Angst bekommen und die Beamten hätten in aggressivem Ton gesprochen. Die Aussage ist auch glaubhaft, denn die Zeugin befand sich in Hörweite, was sich aus der Aussage des Klägers und ihrer eigenen Aussage ergibt, aber auch durch die Aussage des Zeugen —– bestätigt wird, der angab, sie habe sich im Nahbereich befunden. Dies steht auch nicht im Widerspruch zur Aussage des Zeugen —–, der die Zeugin 3-4 m entfernt verortet, denn nach Aussage des Zeugen —– habe der Zeuge —— mit markanter, der Kläger mit lauter Stimme gesprochen, so dass auch bei Annahme dieses Abstandes noch eine Hörweite bestand. Darüber hinaus ist die Aussage plausibel, widerspruchsfrei und spontan erfolgt, die mitgeteilten Emotionen sprechen für ein eigenes Erleben. Die Zeugin ist auch glaubwürdig, insbesondere sind weder Belastungstendenz noch eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits erkennbar. Auch die eidesstattliche Versicherung des Zeugen ———– – die gemäß § 7 LADG zur Glaubhaftmachung geeignet ist – spricht für eine einschüchternde Art und Weise der Befragung, denn der Zeuge gibt an, es sei ihm so vorgekommen, als wollten sie den Kläger einschüchtern, die Ansprache sei (zu) laut gewesen. Die Beklagte hat auch nicht widerlegt, dass der Zeuge —— jedenfalls einen Teil der Maßnahme noch selbst wahrnahm. Zwar hat der Zeuge —– ausgesagt, der Zeuge —— sei erst nach der Maßnahme hinzugekommen. Dies widerspricht aber der plausiblen und nachvollziehbaren Aussage des Zeugen —–, wonach der Zeuge —— gegen Ende, aber noch bei Fortdauer der Maßnahme zugegen war und auch der Mitteilung des Zeugen selbst in seiner eidesstattlichen Versicherung (Anlage K2, Anlagenband Bl. 10 f.), wonach er die Maßnahme sogar von Anfang an wahrnahm, weil der Kläger ihm beim Überqueren der Straße entgegenkam. Dass der Zeuge —————– schon im Zeitpunkt der Abfassung der eidesstattlichen Versicherung derart in seiner Wahrnehmung eingeschränkt war, wie bei dem Versuch seiner Vernehmung, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Aussage des Klägers ist insoweit unergiebig, denn er konnte nicht erinnern, wann der Zeuge hinzukam.
Die behaupteten Tatsachen sind nicht durch die Beklagte widerlegt. Einerseits ist der Vortrag bereits nicht ausdrücklich bestritten worden – § 138 Abs. 3 ZPO. Soweit der Kläger den entsprechenden Vortrag aus den Schreiben vom 22.01.2021 (Anlage K9, Anlagenband Bl. 31 ff.) zitiert, wurde sich dieser von der Beklagten nicht zu eigen gemacht. Andererseits vermögen die Aussagen des Zeugen —— und —– aber auch nicht zur Überzeugung des Gerichts zu beweisen, dass nicht sie, sondern allein der Kläger im Gesprächsverlauf „laut, impulsiv und unkontrolliert“ agierte, denn dies widerspricht der Aussage der Zeugin —–, der Kläger habe sich bemüht, ruhig zu bleiben und die bedrohliche, einschüchternde Art und Weise der Gesprächsführung sei durch die Polizeibeamten entstanden. Diese Wahrnehmung wird auch von dem Zeugen —– in seiner eidesstattlichen Versicherung geteilt, wenn er ausführt, „die haben laut gesprochen, wir sind oben und du bist unten, so in der Art“ (Anlage K2, Anlagenband Bl. 10). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass sich der Kläger nach seinem Vortrag mit einer unberechtigten Maßnahme konfrontiert sah und den Eindruck gewann, seiner Schilderung werde kein Glauben geschenkt. Dagegen handelte es sich bei den Zeugen um Personen, die beruflich ausgebildet sind, in auch emotionalen Gesprächssituationen Ruhe zu bewahren und zu deeskalieren. Dies ist den Beamten – auch nach der Feststellung des Zeugen —– – nicht gelungen, im Gegenteil sollte „das Zepter“ nicht aus der Hand gegeben werden, die Gesprächsführung sei „bestimmend“ gewesen.
Zudem wurde durch die Beamten ein von Einschüchterungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen, indem sie dem Kläger den Eindruck vermittelten, er müsse das Ordnungsgeld sofort bezahlen und er werde in einem etwaigen Beschwerdeverfahren keinen Erfolg haben. Der Zeuge —– schildert seinen Eindruck in der eidesstattlichen Versicherung unter anderem so: „Gegen zwei Polizisten kommt man nicht an“.
Die Belästigung ist auch diskriminierend, denn die Vermutung für einen Zusammenhang mit der ethnischen Herkunft des Klägers und einer rassistischen Zuschreibung ist nicht widerlegt.
Die Gesamtschau des Geschehens, insbesondere die oben geschilderte Nachfrage nach der „wirklichen“ Herkunft des Klägers machen es überwiegend wahrscheinlich, dass der Umgang der Beamten mit dem Kläger maßgeblich von rassistischen Zuschreibungen geprägt war. Darüber hinaus hat der Kläger – von der Beklagten unbestritten, § 138 Abs. 3 ZPO – vorgetragen, dass während der Maßnahme ein deutsch-stämmig aussehender Fahrer eines im Halteverbot parkenden PKW freundlich und ohne Einleitung von Maßnahmen fortgeschickt wurde. Dieser – ohnehin unstreitige – Vortrag wird auch nicht durch die Aussagen des Zeugen May widerlegt, der insoweit unergiebig aussagte, er könne sich an kein Auto erinnern. Dies steht jedenfalls im Widerspruch zu den Aussagen des Klägers und der Zeugin —–, denen beiden nach ihrer Aussage eindrücklich die Interaktion des Zeugen —– mit dem Autofahrer in Erinnerung geblieben ist, weil sie in Art und Weise so deutlich von der Behandlung des Klägers abwich. Wenn die Beklagte in ihrer Stellungnahme zum Prozesskostenhilfeantrag des Klägers vom 29.04.2022 (Bl. 50 f. der Gerichtsakte) angibt, die andere Person sei auf Ansprache weggefahren, so ergibt sich hieraus kein sachlicher Grund für die abweichende Behandlung, im Gegenteil ist nicht erklärlich, weshalb ein behaupteter Verkehrsverstoß – in bedrohlicher, einschüchternder Art und Weise – geahndet wird, ein gleichzeitig stattfindender Verstoß aber – freundlich – durch bloße Ansprache „erledigt“ wird. Nach ratio der Beklagten hätte auch der Kläger – den Verkehrsverstoß unterstellt – bloß freundlich angesprochen und um Wegstecken des Mobilgeräts gebeten werden können.
Den Verstoß gegen § 4 Abs. 3 LADG hat die Beklagte nach alledem nicht zur Überzeugung des Gerichts widerlegt. Es sind keine Gründe ersichtlich, die den Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Beamten und der ethnischen Herkunft und rassistischer Zuschreibungen entfallen lassen. Der unfreundliche und herabwürdigende Umgang mit dem Kläger ist in Ermangelung eines hinreichend sachlichen Grundes auch nicht nach § 5 LADG gerechtfertigt.
In dem Umstand, dass der Kläger als einziger von – gemäß § 138 Abs. 3 ZPO unstreitig – mehreren sich an der Ampel aufhaltenden bzw. den Fußgängerüberweg überquerenden Passanten angesprochen wurde, ist dagegen keine unmittelbare Diskriminierung zu sehen.
Die bloße Mutmaßung des Klägers, „es sei nicht auszuschließen, dass bereits der Entschluss der Beamten den Kläger abzusprechen auf der Wahrnehmung beruhte, dass es sich bei dem Kläger um einen Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund handelte“ genügt zur Glaubhaftmachung einer Diskriminierung nicht. Denn allein der Umstand, dass der Kläger einen sichtbaren Migrationshintergrund hat und als einziger angesprochen wurde, genügt nicht für die Glaubhaftmachung des notwendigen Zusammenhangs zwischen der Behandlung und der in § 2 LADG genannten Gründe im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 LADG. Der Kläger hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Polizeibeamten im Zeitpunkt der Ansprache auch erkannten, dass dieser – die Behauptung als wahr unterstellt – lediglich ein Brillenetui und kein Mobilgerät in der Hand hielt.
Überdies läge ein sachlicher Grund vor, der in keinem Zusammenhang mit den in § 2 LADG genannten Gründen steht. Denn der Zeuge —– gab in seiner Vernehmung plausibel und nachvollziehbar an, den Kläger aufgrund der Art und Weise des Anfahrens (“zittrig“), den nach unten gerichteten Blick und den Gegenstand in seiner Hand angehalten zu haben, wobei sich der Zeuge —— auf nachvollziehbare Erfahrungswerte bezog. Diese Aussage wird durch die Aussage des Zeugen —– bestätigt, der angab zu glauben, sich an eine Tippbewegung erinnern zu können. Dem widerspricht auch weder die Aussage der Zeugin —– noch des Klägers selbst, die beide angeben, dem Kläger sei unmittelbar nach der Ansprache der Tatvorwurf – also ein sachlicher Grund – eröffnet worden, er habe vorschriftswidrig ein elektronisches Gerät beim Radfahren bedient. Dass es sich hierbei um einen Irrtum gehandelt haben mag, führt für die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung zu keinem anderen Ergebnis. Maßgeblich ist nach der Systematik des LADG lediglich der Zusammenhang zwischen den tatsächlich bestehenden oder nur angenommenen in § 2 LADG genannten Gründen und der Ungleichbehandlung. Ein solcher Zusammenhang besteht dann nicht, wenn die diskriminierende Person auf Grund von tatsächlichen oder vorgestellten anderen sachlichen, mit den in § 2 LADG genannten Gründen nicht in Zusammenhang stehenden Gründen handelt.
Auch der Umstand, dass die polizeiliche Maßnahme nach Klarstellung durch den Kläger, wonach er während des Fahrradfahrens kein Mobiltelefon verwendet habe, weitergeführt wurde, mag in polizeirechtlicher Hinsicht zwar rechtswidrig sein, er ist aber nicht unmittelbar diskriminierend im Sinne des LADG.
Einerseits ist schon nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger tatsächlich kein Mobilgerät in der Hand hielt. Die Aussagen der Zeugen —— und — widersprechend dem Vortrag des Klägers und der Aussage der Zeugin —-. Beide Sachverhaltsalternativen erscheinen gleichermaßen möglich und plausibel. So ist es ohne Weiteres denkbar, dass auf eine gewisse Entfernung hin ein (dunkles) Brillenetui mit einem Mobilgerät verwechselt wird und das zittrige Anfahren auf dem Gegenstand in der Hand beruhte. Das zittrige Anfahren kann auch nachvollziehbar Ursache für das nach unten sehen gewesen sein. Ebenso gut möglich ist es, dass der Kläger trotz Verwendung eines Headsets die Route bildlich – und zwar auf größerem Bildschirm als demjenigen einer Smartwatch – wahrnehmen oder prüfen wollte.
Andererseits hat der Kläger aber auch nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht, dass ein Zusammenhang zwischen einem der in § 2 LADG genannten Gründe und der behaupteten Ungleichbehandlung bestand und die Maßnahme nur wegen seiner ethnischen Herkunft oder einer rassistischen Zuschreibung weitergeführt wurde und nicht etwa bloß – polizeirechtswidrig – „um das Gesicht zu wahren“. Zwar könnte das Vorgehen der Beamten nicht auf einen sachlichen Grund gestützt werden. Die Vermutungsregel des § 7 LADG geht aber nicht so weit, dass eine Vermutung für eine Diskriminierung schon dann besteht, wenn die Behandlung nicht anderweitig erklärbar ist. Vielmehr obliegt es dem Kläger die Tatsachen glaubhaft zu machen, die den Zusammenhang zwischen einem oder mehrerer der in § 2 LADG genannten Gründe und der Behandlung begründen.
Ob KOK —— bei der Aussprache des Wortes „Bochum“ den „ch“-Laut besonders betonte und wenn ja, ob Grund hierfür ein Dialekt des Beamten war oder ob sich der Beamte über einen rheinischen Dialekt (des Klägers?) lustig machte, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Kläger hat auch insoweit nicht glaubhaft gemacht, dass die ungewöhnliche Betonung maßgeblich von rassistischen Zuschreibungen geprägt war.
Die Polizei Berlin ist als öffentliche Stelle, in deren Verantwortungsbereich die Diskriminierung stattgefunden hat, nach § 8 Abs. 1 und 2 LADG verpflichtet dem Kläger den hierdurch entstehenden Schaden zu ersetzten und wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen. Vorliegend fand die Diskriminierung durch die Polizeibeamten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit statt und damit unzweifelhaft im Verantwortungsbereich der Beklagten.
Die Haftung nach § 8 Abs. 1 LADG ist gemäß der Rechtsprechung des EuGH verschuldensunabhängig ausgestaltet (EuGH, Urteil vom 22.04.1997, C-180/95, Draehmpaehl / Urania Immobilienservice, ECLI:EU:C:1997:208, Rn. 17, 19, 21; EuGH, Urteil vom 08.11.1990, C-177/88, Dekker / Stichting Vormingscentrum voor Jong Volwassenen, ECLI:EU:C:1990:383, Rn. 2, 24) und maßgeblich ist damit allein, dass die Diskriminierung im Verantwortungsbereich der öffentlichen Stelle stattgefunden hat.
750,00 € ist im vorliegenden Fall eine notwendige, aber auch hinreichende und damit angemessene Entschädigung im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 LADG.
Bei der Bemessung der Höhe des Anspruchs auf eine angemessene Entschädigung ist das Gericht an die Zielsetzung der mit dem LADG umgesetzten Richtlinien und die Rechtsprechung des EuGH gebunden. Nach Art. 15 der Richtlinie 2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, welche das LADG unter anderem umsetzt (Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 18/1996, S. 15, 32), legen die Mitgliedsstaaten Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung der Richtlinie zu verhängen sind und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um deren Durchsetzung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss die zur Umsetzung von Art. 15 der Richtlinie 2000/43 geschaffene nationale Sanktionsregelung „insbesondere einen effektiven und wirksamen rechtlichen Schutz der aus der Richtlinie hergeleiteten Rechte sicherstellen“ (EuGH (Große Kammer), Urteil vom 15.04.2021, C-30/19, Braathens Regional Aviation, ECLI:EU:C:2021:269, Rn. 38; EuGH, Urt. v. 10.07.2008, C-54/07, Feryn, ECLI:EU:C:2008:397, Rn. 36 – 37). Die Härte der Sanktionen muss „der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleisten, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren“ (EuGH (Große Kammer), Urteil vom 15.04.2021, C-30/19, Braathens Regional Aviation, ECLI:EU:C:2021:269, Rn. 38; EuGH, Urteil vom 25.04.2013, C-81/12, Asociația Accept, ECLI: C:2013:275, Rn. 63). Im Falle einer finanziellen Wiedergutmachung, muss diese „angemessen in dem Sinne sein, dass sie es erlaubt, die durch diese Diskriminierung tatsächlich entstandenen Schäden gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen“ (EuGH (Große Kammer), Urteil vom 15.04.2021, C-30/19, Braathens Regional Aviation, ECLI:EU:C:2021:269, Rn. 39; EuGH, Urteil vom 17.12.2015, C-407/14, Arjona Camacho, ECLI:EU:C:2015:831, Rn. 33; EuGH, Urteil vom 11.10.2007, C-460/06, Paquay, ECLI:EU:C:2007:601, Rn. 46; EuGH, Urteil vom 02.08.1993, C-271/91, Marshall / Southampton and South West Hampshire Area Health Authority, ECLI:EU:C:1993:335, Rn. 26). Eine rein symbolische Sanktion reicht nach der Rechtsprechung des EuGH nicht aus (EuGH (Große Kammer), Urteil vom 15.04.2021, C-30/19, Braathens Regional Aviation, ECLI:EU:C:2021:269, Rn. 39; EuGH, Urteil vom 25.04.2013, C-81/12, Asociația Accept, ECLI: C:2013:275, Rn. 64). Nach der Gesetzesbegründung kann auch die Rechtsprechung zu Entschädigungsansprüchen aus dem AGG für Diskriminierungen im Rahmen von Massengeschäften als Orientierungspunkt für die Höhe der Entschädigung dienen (Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 18/1996, S. 3, 43).
Bei der Heranziehung der Rechtsprechung zu Ansprüchen aus dem AGG, die den privatrechtlichen Verkehr betreffen, darf allerdings insbesondere der Umstand nicht vernachlässigt werden, dass sich das Diskriminierungsverbot des § 2 LADG auf öffentlich-rechtliches Handeln bezieht. So ist zu beachten, dass die Grundrechte im privatrechtlichen Verkehr lediglich eine mittelbare Wirkung entfalten, während Art. 3 Abs. 3 GG auf öffentlich-rechtliches Handeln direkt anwendbar ist und die vollziehende Gewalt nach Art. 20 Abs. 3 GG unmittelbar an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist. Nach der Rechtsprechung des OLG Stuttgart gelten für die Bemessung der Höhe des Entschädigungsanspruchs die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Ersatz des immateriellen Schadens bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (so auch LG Aachen, Urt. v. 11.05.2017 – 2 S 26/17). Die Entschädigung sei so zu bemessen, dass sie dem Benachteiligten Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Zurücksetzung verschafft. Der Gesichtspunkt der nach den europarechtlichen Vorgaben erforderlichen „abschreckenden Wirkung“ habe allerdings keinen Vorrang vor den anderen für die Bemessung der Entschädigung im Einzelfall zu berücksichtigenden Kriterien. Folge dürften daher nicht – unter Berücksichtigung der übrigen Bemessungskriterien – überhöhte Ansprüche sein (OLG Stuttgart, Urt. v. 12.12.2011 – 10 U 106/11). Das OLG Frankfurt am Main hält eine Entschädigung für angemessen, wenn sie der benachteiligten Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung oder Zurücksetzung verschaffen kann. Darin liege der maßgebliche Zweck der Entschädigung. Bei der Bewertung müssten im Einzelfall die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die benachteiligte Person einerseits und die Beweggründe des Benachteiligenden andererseits gegeneinander abgewogen werden (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 21.06.2022 – 9 U 92/20). Nach dem LG Wuppertal bemisst sich die Höhe der Entschädigung an dem Genugtuungsinteresse der benachteiligten Person. Dabei seien insbesondere die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Benachteiligenden, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalls zu berücksichtigen (LG Wuppertal, Urt. v. 29.12.2022 – 4 O 373/21).
Vorliegend ergibt sich unter Berücksichtigung der europarechtlichen Maßstäbe und der sich aus der Rechtsprechung ergebenden Orientierungspunkte eine angemessene Entschädigungshöhe von 750,00 €.
In erhöhender Weise ist zu berücksichtigen, dass die Maßnahme in der Öffentlichkeit stattfand. Die herabwürdigende Wirkung des Umgangs mit dem Kläger wird hierdurch verstärkt. Sich vor anderen Personen dem unberechtigten Vorwurf eines ordnungswidrigen Verhaltens ausgesetzt zu sehen wirkt sich in besonderer Weise auf das Würdegefühl der betroffenen Person aus. In dieser Hinsicht muss die Höhe der Entschädigung der Genugtuungsfunktion gerecht werden.
Zudem wurde das Vertrauen des Klägers in die Rechtmäßigkeit staatlichen Handels durch das Verhalten der Beamten nachhaltig erschüttert. Ebenfalls erhöhend wirkt sich in diesem Zusammenhang aus, dass die Beamten nach Art. 20 Abs. 3 GG an die verfassungsmäßige Ordnung und insbesondere an Art. 3 Abs. 3 GG gebunden sind. Insofern muss die Höhe geeignet sein, vor dem Hintergrund der übertragenen Verantwortung eine abschreckende Wirkung zu erzielen.
Hinsichtlich der konkreten Umstände des Einzelfalls wirkt es sich zudem erhöhend aus, dass der Kläger keine Entschuldigung erhalten hat und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die Äußerung nunmehr bestritten wurde. Denn das Schreiben soll nach dem Willen der Beklagten – vgl. Stellungnahme zum Prozesskostenhilfeantrag vom 29.04.2022, S. 2, Bl. 51 der Gerichtsakte – als Entschuldigung zu werten sein. In dem Schreiben der Polizei Berlin vom 31.08.2021 (Anlage K 11, Anlagenband, Bl. 41) wird durch die Formulierung „dass die Polizei anerkennt, dass das Verhalten […] auf Sie diskriminierend gewirkt hat und belästigend für Sie war“ der Eindruck erweckt, das Verhalten habe lediglich diskriminierend gewirkt, und zwar allein in der Wahrnehmung des Klägers. Mit anderen Worten sei er verantwortlich dafür, dass er sich diskriminiert gefühlt habe. Damit wird der ursprünglich beim Kläger erweckte Eindruck der ungerechtfertigten Behandlung vertieft. Der herabwürdigende Effekt der Behandlung des Klägers bestand in Rahmen der ursprünglichen Maßnahme gerade darin, dass ihm vermittelt wurde, er habe keine Möglichkeit sich zu wehren. Indem in der Entschuldigung weiter darauf beharrt wird, das Verhalten habe lediglich diskriminierend „gewirkt“ wird dieser Eindruck weiter vertieft.
Allerdings muss gemäß der Rechtsprechung des EuGH die Bemessung der Höhe verhältnismäßig sein und nach der Rechtsprechung des OLG Stuttgart – der sich dieses Gericht anschließt – hat das Kriterium der abschreckenden Wirkung keinen Vorrang vor den anderen für die Bemessung zu berücksichtigenden Kriterien des Einzelfalls wie der Tragweite, der Dauer und der Folgen der Benachteiligung.
Daher ist in absenkender Weise zu berücksichtigen, dass die Maßnahme von verhältnismäßig kurzer Dauer war. Zudem war der Kläger durch die Maßnahme nicht in einem höchstpersönlichen oder intimen Lebensbereich betroffen.
Dem Kläger sind auch keine dauerhaften Nachteile im Rahmen seines persönlichen oder beruflichen Fortkommens entstanden. Zwar stellen das Ordnungswidrigkeitsverfahren und der Schriftwechsel mit den Behörden eine Lästigkeit dar, allerdings wurde das Verfahren eingestellt und es sind dem Kläger keine nachhaltigen Nachteile entstanden. Auch im Hinblick auf von dem Kläger befürchtete etwaige Kostenbelastungen aus diesem Rechtsstreit ist zu berücksichtigen, dass unabhängig von der gewährten Prozesskostenhilfe die Kosten des Rechtsstreits der Beklagtenpartei auferlegt wurden, dem Kläger also allenfalls für die Verweisung des Rechtsstreits Kosten entstehen werden, welche (deutlich) unterhalb des hier zugesprochenen Betrages liegen dürften.
Eine Wiederholungsgefahr besteht in geringem, allenfalls abstraktem Maße.