Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat mit Beschluss vom 15.01.2021 zum Aktenzeichen 7 L 31/21.WI einem Eilantrag gegen die in einer Allgemeinverfügung des Landkreises Limburg-Weilburg enthaltene Beschränkung des Bewegungsradius für tagestouristische Ausflüge auf den Umkreis von 15 km des Wohnortes stattgegeben.
Aus der Pressemitteilung des VG Wiesbaden Nr. 1/2021 vom 19.01.2021 ergibt sich:
In der Allgemeinverfügung des Landkreises Limburg-Weilburg „zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus im Landkreis Limburg-Weilburg im sozialen und betrieblichen Bereich“ ist unter anderem der Bewegungsradius für tagestouristische Ausflüge auf den Umkreis von 15 km des Wohnortes (politische Gemeinde) beschränkt und eine nächtliche Ausgangsbeschränkungen im Zeitraum von 21:00 Uhr bis 5:00 Uhr angeordnet worden. Der Antragsteller hat gegen die Allgemeinverfügung vorläufigen Rechtsschutz beantragt.
Das VG Wiesbaden hat dem Eilantrag hinsichtlich des eingeschränkten Bewegungsradius stattgegeben; insoweit hat die vom Antragsteller noch zu erhebende Klage aufschiebende Wirkung. Im Übrigen hat es den Eilantrag abgelehnt.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts fehlt es an der hinreichenden Bestimmtheit der Allgemeinverfügung, die erfordert, dass der Inhalt der getroffenen Regelung für die Beteiligten so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass sie ihr Verhalten danach ausrichten können. Bedenklich sei bereits die Verwendung des Begriffs „politische Gemeinde“, da dieser Begriff für einen Großteil der Bevölkerung aus sich heraus nicht verständlich sein dürfte. In Gemeinden mit mehreren, eventuell weit verstreuten Ortsteilen werde so für deren Bewohner nicht hinreichend klar ersichtlich, ob die Grenzen des jeweiligen Ortsteils oder der Gesamtgemeinde gemeint seien.
Unklar bleibe auch, wie die 15 km ab dem Wohnort zu messen seien. Soweit der Landkreis Limburg-Weilburg argumentiert habe, es sei ab dem Punkt der Stadt- oder Gemeindegrenze zu messen, der dem avisierten Ziel am nächsten liege, lasse sich dies dem Wortlaut der Allgemeinverfügung in keiner Weise entnehmen. Nach der Formulierung in der Allgemeinverfügung sei es auch beispielsweise durchaus denkbar, dass eine Berechnung des „Bewegungsradius“ ab dem Mittelpunkt der jeweiligen Gemeinde zu erfolgen habe. Auch habe der Landkreis Limburg-Weilburg darauf verzichtet, Erklärungen oder Auslegungshinweise zu der Allgemeinverfügung zu veröffentlichen, die zur Konkretisierung und zum besseren Verständnis der Regelung hätten beitragen können.
Zudem sei aus dem Wortlaut und der Begründung der Allgemeinverfügung nicht klar erkennbar, ob die 15 km-Grenze bei Überschreiten der Grenzen des Landkreises auch gelten solle, sich also auf das räumliche Hoheitsgebiet des Landkreises beschränken oder sich auch außerhalb dessen fortsetzen solle. Schließlich werde der Begriff „tagestouristischer Ausflug“ weder im Wortlaut der Allgemeinverfügung, beispielsweise durch die Aufzählung von Regelbeispielen, noch in der Begründung der Allgemeinverfügung näher erklärt. Soweit der Landkreis vorgetragen habe, bei tagestouristischen Ausflügen handele es sich nach seinem Verständnis um alle Unternehmungen, die der Freizeitgestaltung ohne Übernachtung dienten, sei diese Auslegung des Begriffs keineswegs zwingend. Dies zeige sich anschaulich bereits darin, dass der Begriff des tagestouristischen Ausfluges in anderen hessischen Gemeinden, die ihn in ihren Allgemeinverfügungen ebenfalls vrwendeten, anders verstanden werde. So falle in der Allgemeinverfügung des Landkreises Vogelsberg die Wintersportausübung gerade nicht unter den Begriff des tagestouristischen Ausflugs und im Landkreis Fulda stelle eine Wanderung in der Rhön als freizeitsportliche Aktivität keinen tagestouristischen Ausflug dar. Gerade die Frage, ob sportliche Aktivitäten oder Spaziergänge unter den Begriff der tagestouristischen Ausflüge fallen sollen oder nicht, sei für die Adressaten der Allgemeinverfügung des Landkreises Limburg-Weilburg nicht erkennbar, was insoweit zu deren Rechtswidrigkeit führe.
Zudem habe das Gericht erhebliche Zweifel daran, ob die Beschränkung des Bewegungsradius für tagestouristische Ausflüge ernsthaft zur Senkung der Infektionsfälle im Landkreis Limburg-Weilburg beitragen könne. Stattdessen dürfte diese Maßnahme dazu führen, dass sich viele Bewohner des Landkreises Limburg-Weilburg, weil sie zumindest nach dem Verständnis des Antragsgegners keine freizeitsportlichen Aktivitäten oder Spaziergänge außerhalb des 15 Kilometer Radius unternehmen dürften, in geschlossenen Räumen mit dritten Personen treffen würden, was das Infektionsrisiko nicht senken, sondern erhöhen würde. Die Einhaltung des 15 km-Radius sei im Einzelfall auch nur schwer überprüfbar und das Aussprechen von Betretungsverboten für bekannte Touristenmagneten stelle eine mildere und zugleich effektivere Maßnahme dar, um überlaufene touristische Ziele zu vermeiden.
Die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen seien hingegen rechtmäßig. Insbesondere stelle die Veröffentlichung der Allgemeinverfügung auf der Internetseite eine zulässige Form der öffentlichen Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung dar. Die Feststellung einer epidemischen Lage nationaler Tragweite sei durch den Bundestag mit Beschluss vom 27.03.2020 erfolgt. Daher könnten insbesondere die im Infektionsschutzgesetz beispielhaft aufgezählten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ergriffen werden, zu denen auch eine Ausgangs- oder Kontaktbeschränkung im öffentlichen und privaten Raum und die Einschränkung touristischer Reisen zählten. Die nächtliche Ausgangsbeschränkung im Zeitraum von 21:00 Uhr bis 5:00 Uhr sei zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie geeignet, da sie allgemein die Kontaktmöglichkeiten in der Bevölkerung während dieses Zeitraums beschränkten.
Es reiche hierfür aus, dass die zutreffende Maßnahme „ein Schritt in der richtigen Richtung“ sei. So könnten durch die nächtliche Ausgangsbeschränkung private Treffen und Feiern in Familienund Freundeskreis verhindert werden. Ein weniger belastendes Mittel, das den Erfolg mit gleicher Sicherheit gewähre, sei nicht ersichtlich. Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Bürger, der sich lediglich auf eine Dauer von acht Tagesstunden erstrecke, die zu großen Teilen in der üblichen Schlafenszeit zwischen 0:00 Uhr und 5:00 Uhr gelegen seien, stünden erhebliche Gefahren für hochrangige Schutzgüter wie das Leben, die Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell sehr großen Zahl von Menschen gegenüber. Angesichts der hohen Infektionszahlen und zunehmenden Anzahl von Todesfällen bestehe aktuell die Gefahr, dass ohne die Beachtung, Überwachung und Durchsetzung einfachster Hygiene-Regeln, zu denen insbesondere die Kontaktbeschränkungen und Einhaltung eines Mindestabstands gehörten, die Infektionszahlen noch weiter ansteigen, das Gesundheitssystem überlastet und die Zahl der Todesfälle noch dramatischer ansteigen würde. Durch die in der Allgemeinverfügung vorgesehenen Ausnahmen sei die Ausgangsbeschränkung auch verhältnismäßig.
Gegen den Beschluss steht den Beteiligten binnen zwei Wochen die Beschwerde zum Hess. VGH offen.