Arbeitsunfähigkeit

Arbeitsunfähigkeit ist im Arbeits- und Sozialrecht ein unbestimmter Rechtsbegriff, wonach ein Arbeitnehmer wegen Krankheit seine zuletzt ausgeübten Arbeitsaufgaben nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Gegensatz ist die Arbeitsfähigkeit. Arbeitsunfähigkeit ist nicht gleichbedeutend mit Leistungsunfähigkeit.

Die Arbeitsunfähigkeit entbindet die Arbeitspersonen von der im Arbeitsvertrag vorgesehenen grundsätzlichen Arbeitspflicht. Die Arbeitsunfähigkeit setzt eine Krankheit voraus, die sowohl auf medizinische als auch auf psychologische oder geistig-mentale Ursachen zurückzuführen sein kann. Im März 1958 definierte der Bundesgerichtshof (BGH) die Krankheit als „jede Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers, die geheilt, d. h. beseitigt oder gelindert werden kann.“ Nach der Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) vom Oktober 1972 wird im Kranken- und Unfallversicherungswesen unter Krankheit „ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat“ verstanden. Dadurch ist der medizinische Krankheitsbegriff nicht deckungsgleich mit dem sozialrechtlichen.

Die Erkrankung steht im kausalen Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit, die arbeitsrechtlich den Arbeitnehmer daran hindert, seine arbeitsvertraglich vorgesehene Arbeitsleistung zu erbringen. Wegen der in einigen Ländern vorhandenen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hat der Arbeitgeber ein Interesse daran, dass die – subjektiv durch den Arbeitnehmer empfundene – Arbeitsunfähigkeit objektiv durch Ärzte bestätigt und bescheinigt wird. Für das Bundesarbeitsgericht (BAG) ist hierbei nicht auszuschließen, dass der Arbeitnehmer bei bestimmten Krankheitsbildern subjektive Beschwerden schildert, die zwar durch Untersuchungen nicht objektivierbar sind, den Arzt aber gleichwohl veranlassen könnten, eine Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen. „Deshalb ist nicht von der Hand zu weisen, dass ärztliche Atteste, die eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen, unrichtig oder missbräuchlich erstellt oder erlangt sind, so dass ihnen unter Zugrundelegung der anzuwendenden deutschen Vorschriften nicht ein absoluter Beweiswert beigelegt werden kann“.

Ursachen

Arbeitsunfähigkeit wird durch allgemeine Erkrankung, Berufskrankheit, Unfall (Betriebsunfall, Haushaltsunfall, Sportunfall), Kur, oder den Schutz der Gesundheit begründet. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer sich vom Betrieb fernzuhalten hat, damit etwaige Ansteckungsgefahren ausgeschlossen sind und der Schutz der Gesundheit der anderen Arbeitnehmer gewährleistet ist. Die Durchsetzung der Arbeitsunfähigkeit gehört auch zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Häufigste Ursache für eine Arbeitsunfähigkeit bei gesetzlich Krankenversicherten (Stand 2009) sind Erkrankungen der Atemwege (24,7 % der Fälle), gefolgt von Erkrankungen der Muskeln bzw. des Skeletts (16,4 %), der Verdauungsorgane (11,1 %), Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Verletzungen (8,7 %) und psychischen Erkrankungen (4,4 %).Nach einer anderen Quelle gehen die meisten Arbeitsunfähigkeitstage auf die Muskel-/Skelett-Erkrankungen zurück (22,9 % der Arbeitsunfähigkeitstage), gefolgt von akuten Verletzungen (11,8 %), Atemwegserkrankungen (11,4 %) und psychischen Erkrankungen (10,1 %). Ob, wie lange und wegen welcher Krankheit ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig wird, werde von den Faktoren Alter, Geschlecht und Beruf beeinflusst. So seien die Ausfallzeiten bei Arbeitnehmern aus dem Dienstleistungsbereich sowie bei Banken und Versicherungen deutlich geringer als bei Arbeitnehmern, die Berufe mit hohen körperlichen Arbeitsbelastungen ausübten, beispielsweise in der Ver- und Entsorgung und in der industriellen Gießerei, aber auch bei Bus- und Straßenbahnfahrern oder Altenpflegern.

Seit 1991 stieg die Zahl der Krankheitstage durch psychische Störungen um etwa 33 %. Dieser Trend zu mehr psychischen Erkrankungen ist in der Arbeitsunfähigkeitsstatistik seit deren Einführung im Jahre 1976 zu beobachten (Stand: 2006).

Rechtsfragen

Allgemeines

Eine Arbeitsunfähigkeit setzt keine vollkommene Handlungsunfähigkeit (Bettlägerigkeit) voraus, sondern es genügt, wenn sie ein Hindernis bei der künftigen Leistungserbringung darstellt. Dabei ist es dem Arbeitnehmer unmöglich, die durch ihn zuletzt ausgeübten Aufgaben zu erfüllen; ob er trotzdem leichtere Tätigkeiten verrichten könnte, spielt keine Rolle. Auch bei einer teilweise verminderten Arbeitsfähigkeit gilt der Arbeitnehmer als arbeitsunfähig krank; es gibt keine Teil-Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitnehmer ist während seiner Arbeitsunfähigkeit deshalb auch nicht daran gehindert, in seiner Freizeit Haus- und Familienarbeiten, Gartenarbeiten oder Freizeitsport durchzuführen. Untersagt ist jedoch alles, was die Genesung beeinträchtigt – auch das Jobben für einen anderen Arbeitgeber, sofern hierin ein genesungswidriges Verhalten zu erblicken ist. Allerdings kann anderweitige Arbeit während der Krankschreibung ein Indiz dafür sein, dass der Arbeitnehmer zwar krank, aber nicht arbeitsunfähig ist.

Meldepflicht

Der Arbeitnehmer muss bei einer Erkrankung seine Arbeitsunfähigkeit unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB), dem Arbeitgeber anzeigen und die voraussichtliche Dauer mitteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage an, ist sie nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG durch Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („Attest“) nachzuweisen. Bei gesetzlich Versicherten muss diese auch der Krankenkasse gegenüber nachgewiesen werden. Hier obliegt die Pflicht nicht dem Arzt, der das Attest ausstellt, sondern dem kranken Mitarbeiter laut Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes von Oktober 2018, sofern zwischen Patient und Arzt nichts anderes vereinbar ist. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V innerhalb einer Woche bei der Krankenkasse eingegangen sein. Ist der Meldetag arbeitsfrei, ist die Einreichung am nächsten Werktag statthaft (§ 193 BGB). Arbeitsunfähigkeit liegt also im engeren Sinne vor, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ein „Attest“ eines Arztes vorlegt. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung auch früher zu verlangen. Dies darf er sogar von einem einzelnen Mitarbeiter – etwa, weil dieser im Verdacht steht, „blau zu machen“.

Auch nach Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums sind Arbeitnehmer zum Nachweis ihrer Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verpflichtet. BAG: „Es spricht viel dafür, dass die Pflichten aus § 5 Abs. 1 EFZG einen Arbeitnehmer auch während solcher Zeiten treffen, für die er nach § 3 Abs. 1 EFZG keine Entgeltfortzahlung (mehr) beanspruchen kann. Das gilt zumindest im ungekündigten Arbeitsverhältnis, zu dem im Fall der ordentlichen Kündigung auch Zeiten vor dem Kündigungstermin zählen“.

Kontrolle durch den Arbeitgeber

Da Ärzte nicht bei jedem vom Patienten geschilderten Krankheitsbild zwischen „echter“ und „vorgetäuschter“ Krankheit unterscheiden können, und um gegen „Gefälligkeitsatteste“ vorzugehen, dürfen beim Arbeitgeber auch Zweifel über die Beweiskraft eines Attestes aufkommen. Hierbei kann der Arbeitgeber auf die Unterstützung durch die Krankenkassen oder den Amtsarzt zurückgreifen.

Das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat lediglich die Bedeutung eines medizinischen Gutachtens für die Entscheidung über den Entgeltfortzahlungsanspruch. Die Krankenkassen sind gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 3b SGB V verpflichtet, bei Arbeitsunfähigkeit zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen. Diese Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit sind gemäß § 275 Abs. 1a SGB V insbesondere in Fällen anzunehmen, in denen Arbeitnehmer auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist. Die Prüfung hat unverzüglich nach Vorlage der ärztlichen Feststellung über die Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen. Der Arbeitgeber kann verlangen, dass die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Die Krankenkasse kann von einer Beauftragung des Medizinischen Dienstes absehen, wenn sich die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit eindeutig aus den der Krankenkasse vorliegenden ärztlichen Unterlagen ergeben.

Die mutmaßliche Nutzung der Arbeitsunfähigkeit zu Privatzwecken (vergrößerte Freizeit) kann nach dem Verständnis des § 275 Abs. 1a SGB V angenommen werden, wenn die Abwesenheitsquote eines bestimmten Arbeitnehmers über 50 % der Quote der Kollegen innerhalb derselben Abteilung liegt; dann ist stets von einem „auffälligen Verhalten“ auszugehen. Diese gegenüber Attesten kritische Haltung von Gesetz und Rechtsprechung kann Fehlzeiten oder Absentismus zwar nicht völlig ausschließen, aber weitgehend verringern.

Rechtsfolgen

Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 EFZG).

Tritt der Arbeitnehmer die Arbeit nicht an und kann er hierfür keine triftigen Gründe vorbringen, so liegt eine Leistungsstörung vor. Durch unberechtigte Fehlzeiten versäumte Arbeitszeit führt im Regelfall zur Teilunmöglichkeit der Erfüllung, die gemäß § 313 Abs. 1 BGB den Arbeitgeber berechtigt, den der Fehlzeit entsprechenden Arbeitslohn einzubehalten oder zurückzufordern. Es besteht auch die Gefahr der Abmahnung oder gar Arbeitsverweigerung, die den Arbeitgeber dazu berechtigen kann, den Arbeitsvertrag zu kündigen.

Arbeitsunfähigkeit im Sozialrecht

Arbeitslose sind arbeitsunfähig, wenn sie aufgrund einer Erkrankung nicht mehr in der Lage sind, leichte Arbeiten in einem zeitlichen Umfang zu verrichten, für den sie sich bei der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Dabei ist es unerheblich, welcher Tätigkeit der Versicherte vor der Arbeitslosigkeit nachging (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien). Erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende – „Hartz IV“) beantragt haben oder beziehen, sind arbeitsunfähig, wenn sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten oder an einer Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen (§ 2 Abs. 3a Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien).

Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit

Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz haben Arbeitnehmer bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgeltes bis zur Dauer von sechs Wochen. Das gilt noch nicht während der ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses. Entgeltfortzahlung steht auch Arbeitnehmern zu, die eine geringfügige Beschäftigung ausüben. Kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht bei Arbeitsunfähigkeit infolge medizinisch nicht indizierter Tätowierungen, Piercings oder Schönheitsoperationen, denn der Arbeitgeber hat nur das normale Krankheitsrisiko des Arbeitnehmers zu tragen.

Wird keine Entgeltfortzahlung gezahlt oder ist diese abgelaufen, haben gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer Anspruch auf Krankengeld von der Krankenkasse bis zur Höchstdauer von 78 Wochen (für die gleiche Erkrankung binnen eines Gesamtrahmens von drei Jahren). Solange der versicherte Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber erhält, ruht der Krankengeldanspruch mit der Folge, dass er etwa nach sechswöchiger Entgeltfortzahlung nur noch bis zu 72 Wochen Krankengeld beanspruchen kann.

Ist die Arbeitsunfähigkeit Folge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit, tritt an die Stelle des Krankengeldes das Verletztengeld durch den Träger der Unfallversicherung, zum Beispiel die jeweilige Berufsgenossenschaft. Anspruch auf Verletztengeld können auch geringfügig Beschäftigte haben, die kein Krankengeld erhalten, denn sie sind als Arbeitnehmer zwar unfallversichert, aber nicht krankenversichert.

Aufgrund eines Tarifvertrages (zum Beispiel im öffentlichen Dienst nach § 22 TVöD) können Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses zum Kranken- oder Verletztengeld durch den Arbeitgeber haben. Dieser ist oft nach der Beschäftigungsdauer gestaffelt.

Alternativ lässt sich auch ein privates Krankentagegeld oder eine Arbeitsunfähigkeits-Klausel in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung vereinbaren (beispielsweise für privat Krankenversicherte, die keinen Anspruch auf gesetzliches Krankengeld haben). Derartige Leistungen werden allerdings nur bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit ausgezahlt.

Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs oder im Ausland

Die Anzeigepflicht gilt auch bei Arbeitsunfähigkeit im Urlaub. Hierbei wird wegen der Postlaufzeit das Attest nicht binnen vier Tagen vorliegen können. Individuelle Absprachen sind daher sinnvoll, z. B. Übermittlung per Fax aus dem Hotel oder Übergabe unverzüglich nach Urlaubsrückkehr. Ausländische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen müssen bestimmten Anforderungen genügen. Durch die Krankheitstage verlängert sich der Urlaub nicht automatisch, vielmehr muss der Arbeitnehmer, wenn er wieder arbeitsfähig ist, zum vorgesehenen Zeitpunkt wieder mit der Arbeit beginnen. Die Tage nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit dürfen nicht auf den Urlaub angerechnet werden.

Eingliederung nach Langzeiterkrankung

Bei längerer Erkrankung kann eine Phase der Arbeitserprobung notwendig werden. Über den Weg der „stufenweisen Wiedereingliederung“ wird der Arbeitnehmer mit Einverständnis des Erkrankten, der Krankenkasse und des Arbeitgebers individuell, das heißt je nach Krankheit und bisheriger Arbeitsunfähigkeitsdauer schonend, aber kontinuierlich an die Belastungen seines Arbeitsplatzes herangeführt. Währenddessen gilt der Betroffene weiterhin als arbeitsunfähig (und bezieht in der Regel weiterhin Krankengeld). Oft gehen diesem Verfahren Gespräche mit dem Betriebsarzt voraus, in deren Zusammenhang auch geprüft wird, ob und inwieweit z. B. technische Hilfen am Arbeitsplatz notwendig werden. Der Arbeitgeber muss nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bei ununterbrochener oder wiederholter Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen Dauer innerhalb eines Jahres ein so genanntes Betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen.