Das Oberlandesgericht Stuttgart hat am 19.11.2020 zum Aktenzeichen 5 – 3 StE 6/19 einen 32 Jahre alten syrischen Staatsangehörigen wegen eines versuchten Kriegsverbrechens gegen Personen durch Tötung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, eines Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.
Aus der Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 19.11.2020 ergibt sich:
Im Wesentlichen konnte das Oberlandesgericht folgenden Sachverhalt feststellen: Der Angeklagte schloss sich im Jahr 2011 oder 2012 in Syrien einer bewaffneten Gruppierung an, die sich am Widerstand gegen das Assad-Regime beteiligte. Am 12.12.2012 führte diese Gruppierung gemeinsam mit anderen Einheiten einen Angriff auf den militärischen Flughafen von Deir ez-Zor durch, der zu dieser Zeit vom syrischen Regime kontrolliert wurde. Bei dem Angriff kamen mehrere Mitglieder der Gruppierung des Angeklagten, mit denen ihn teils eine enge Freundschaft verband, zu Tode. Um den Tod seiner Freunde und Kameraden zu rächen, feuerte der Angeklagte in Tötungsabsicht auf einen Gefangenen, den seine Gruppierung an diesem Tag in ihre Gewalt gebracht hatte, mehrere Schüsse ab. Das Tatopfer musste sich dabei mit auf den Rücken gefesselten Händen vor dem Angeklagten hinknien. Nicht ausschließen konnte das Oberlandesgericht, dass auch weitere Mitglieder der Gruppierung auf den Gefangenen schossen, ohne dass dem eine Absprache mit dem Angeklagten zugrunde lag. Der Gefangene verstarb sogleich an seinen Schussverletzungen.
Ob gerade die vom Angeklagten abgegebenen Schüsse seinen Tod herbeiführten, konnte das Oberlandesgericht nicht feststellen. Nachdem der Islamische Staat (IS) in der Region die Macht übernommen hatte, schloss sich der Angeklagte im Juni 2014 der Vereinigung an und ordnete sich deren Befehlsgewalt bis zu seiner Ausreise aus Syrien zwischen Mitte August und Anfang Oktober 2014 unter. Er nahm an Kontrollfahrten der Vereinigung teil und war an Straßenkontrollen des IS tätig, um den Machtanspruch der Vereinigung zu verdeutlichen und die Einhaltung der vom IS aufgestellten Verhaltensregeln zu überwachen. Zudem beteiligte sich der Angeklagte in einer vom IS zum Gefängnis umfunktionierten Schule. So war er an der Festnahme eines Zivilisten in dessen Haus beteiligt, der trotz Verbot geraucht hatte. Im Gefängnis wirkte er weiter an der Folterung zweier Brüder im Alter zwischen 16 und 17 Jahren mit. Diese waren zuvor von einer Kontrolle des IS aufgegriffen und wegen sexualbezogener Inhalte auf ihrem Mobiltelefon inhaftiert worden.
Im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigte das Oberlandesgericht hinsichtlich der Tötung des Gefangenen am 12.12.2012 insbesondere, dass die Tat in einer für das Opfer besonders demütigenden Weise durchgeführt wurde. Andererseits war dem Angeklagten zugutezuhalten, dass er nicht vorbestraft war, die Tat lange zurücklag und seine Wut auf den Gefangenen wegen des Todes seiner Freunde in gewissen Weise nachvollziehbar war. Im Hinblick auf die mitgliedschaftlichen Taten des Angeklagten beim IS würdigte das Oberlandesgericht darüberhinausgehend zu seinen Lasten, dass er sich einer Vereinigung angeschlossen hat, die mit äußerster Brutalität sowohl gegen Gegner als auch unbeteiligte Dritte vorgegangen ist und die für zahlreiche Anschläge und Todesopfer, darunter viele Zivilisten, verantwortlich ist. Auch war seine Tätigkeit im Gefängnis von besonderem Gewicht für die Sicherung der Macht der Vereinigung. Soweit es die Folterung der Brüder im Gefängnis betrifft, wurde erschwerend das jugendliche Alter der Geschädigten gewertet. Zudem war bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte eine in anderer Sache verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten mittlerweile vollständig verbüßt hat, die andernfalls in die Gesamtstrafe hätte miteinbezogen werden können.
Dem Angeklagten war in der Anklage darüber hinaus zur Last gelegt worden, er habe sich im Rahmen seiner Mitgliedschaft beim Islamischen Staat an der Hinrichtung einer geistig behinderten Person, an der körperlichen Misshandlung eines älteren Mannes in einem vom IS betriebenen Gefängnis und an einer weiteren von IS-Mitgliedern begangenen Körperverletzung beteiligt. Diesbezüglich konnte sich das Oberlandesgericht von der Schuld des Angeklagten jedoch nicht überzeugen. Insoweit wurde der Angeklagte daher freigesprochen.
Das OLG Stuttgart hat Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dem Angeklagten und dem Generalbundesanwalt beim BGH steht gegen das Urteil das Rechtmittel der Revision zum BGH offen.