Das Landgericht Osnabrück hat am 20.11.2020 zum Aktenzeichen 6 S 150/20 entschieden, dass ein Autofahrer bei einer Kollision mit einem fahrradfahrenden Kind im unmittelbaren Bereich eines Zebrastreifens auch dann zu 100% haftet, wenn das Kind schon vor Erreichen des Zebrastreifens in einem Bogen vom Gehweg auf die Straße gefahren ist, um diese zu überqueren.
Aus der Pressemitteilung des AG Bad Iburg vom 20.11.2020 ergibt sich:
Die Klägerin befuhr mit ihrem Auto eine Hauptverkehrsstraße. In entgegengesetzter Fahrtrichtung kam ihr der achtjährige Sohn der Beklagten mit dem Fahrrad entgegen. Er war alleine auf dem Gehweg unterwegs. In unmittelbarer Nähe eines Zebrastreifens fuhr das Kind auf die Straße, um sie zu überqueren. Dabei stieß es mit dem Fahrzeug der Klägerin zusammen. An dem Auto entstand Sachschaden. Diesen Schaden verlangte die Klägerin von der Mutter des Kindes ersetzt. Sie ist der Ansicht, die Mutter habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, indem sie ihren Sohn an der Hauptverkehrsstraße habe alleine mit dem Fahrrad fahren lassen.
Das AG Bad Iburg hat die Klage abgewiesen. Dabei hat es das Amtsgericht offengelassen, ob die Mutter des Kindes ihre Aufsichtspflicht verletzt hat: Der Verursachungsbeitrag der Autofahrerin (Klägerin) überwiege so stark, dass daneben für eine Haftung der Mutter kein Raum sei. Die Klägerin habe ihre Pflichten aus § 3 Abs. 2a StVO nicht erfüllt. Ein Autofahrer müsse sich gegenüber Kindern insbesondere durch Verminderung seiner Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so verhalten, dass deren Gefährdung ausgeschlossen sei. Dies war vorliegend nicht der Fall. Der Unfall habe sich in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit einem Zebrastreifen ereignet, der achtjährige sei im Begriff gewesen, die Straße im Bereich des Zebrastreifens zu überqueren. Dass er hierzu – wie die Klägerin vorgetragen habe – schon 2,5-3 m vor dem Zebrastreifen ansetzte, sei unerheblich. Gerade bei Kindern sei nicht unüblich, dass sie in einem Bogen (und nicht in einem 90 Grad-Winkel) auf den Zebrastreifen auffahren. Im Übrigen sei es für die Klägerin erkennbar gewesen, dass es sich bei dem Sohn der Beklagten um ein jüngeres Kind handelte. Bei einem solchen müsse der Autofahrer Unsicherheiten mit einkalkulieren. Wegen des Zebrastreifens wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, äußerst langsam mit ständiger Bremsbereitschaft an dem sich aus der Gegenrichtung nähernden Kind vorbei zu fahren.
Das LG Osnabrück hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Landgerichts scheidet ein Schadensersatzanspruch gegen die Mutter des Kindes bereits deshalb aus, weil diese ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt hat. Ein achtjähriges Kind, das sein Fahrrad im Allgemeinen hinreichend sicher beherrsche, über Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden sei und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt habe, dürfe auch ohne eine Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen, beispielsweise um zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten, geläufigen Weg zurückzulegen.
Das Urteil ist rechtskräftig.