Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 21.10.2020 zum Aktenzeichen 2 BvR 652/20 entschieden, dass eine Untersuchungsanordnung zur Überprüfung der Dienstfähigkeit eines suchtkranken Polizeibeamten derzeit nicht vollzogen werden darf.
Das Bundesverfassungsgericht stellte eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch die Untersuchungsanordnung der Bundespolizeidirektion fest.
Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieses Recht schützt die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Hierzu zählt auch der Schutz vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter des Einzelnen. Der Schutz ist umso intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen, die als unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht.
Die angegriffene Untersuchungsanordnung vom 2. Dezember 2019, mit welcher der Beschwerdeführer verpflichtet wird, sich einer kompletten körperlichen Untersuchung nebst Befragung zur gesundheitlichen, persönlichen und sozialen Situation im dienstlichen und im privaten Umfeld zu unterziehen, greift in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein; der Eingriff besteht dabei sowohl in der vorgesehenen Datenerhebung als auch in der vorgesehenen Datenspeicherung und -verwendung. Die Untersuchungsanordnung verliert ihren Eingriffscharakter auch nicht dadurch, dass es dem Beschwerdeführer freisteht, sich der Untersuchung nicht zu unterziehen. Denn für den Fall seiner Weigerung muss er mit einer negativen Entscheidung des Dienstherrn mit Blick auf seine Dienstfähigkeit und letztlich mit seiner Zurruhesetzung rechnen.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist jedoch nicht absolut geschützt. Vielmehr müssen staatliche Maßnahmen hingenommen werden, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen.
Dies gilt für den Beamten in besonderem Maße. Mit dem Eintritt in das Beamtenverhältnis übernimmt er im Rahmen des hierdurch entstehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses unter anderem die – für Bundesbeamte in § 44 Abs. 6 BBG normierte – Verpflichtung, sich bei bestehenden Zweifeln an seiner Dienstfähigkeit ärztlich untersuchen zu lassen. Gegen die Regelung des § 44 Abs. 6 BBG ist grundsätzlich nichts zu erinnern. Der Dienstherr und die Allgemeinheit haben ein berechtigtes Interesse daran, dass hoheitliche Aufgaben nur von Beamten wahrgenommen werden, die zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten physisch und psychisch dauerhaft in der Lage sind. Darüber hinaus trifft den Dienstherrn eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beamten. Bestehen Zweifel an der Dienstfähigkeit eines Beamten, kommt der Dienstherr mit der gegenüber dem Beamten ausgesprochenen Weisung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, dieser Fürsorgepflicht nach. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gehört – wie die Treuepflicht des Beamten, die zur Fürsorgepflicht in einem Korrelationsverhältnis steht – zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 Abs. 5 GG; sie verpflichtet den Dienstherrn, bei seinen Entscheidungen die wohlverstandenen Interessen des Beamten in gebührender Weise zu berücksichtigen.
Auch der Beamte muss allerdings nur solche Einschränkungen seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts hinnehmen, die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren. Bezogen auf die Regelung in § 44 Abs. 6 BBG bedeutet dies, dass der betroffene (Bundes-) Beamte der Weisung seines Dienstherrn, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, nur dann Folge leisten muss, wenn ein hinreichender Anlass für die Untersuchungsanordnung besteht und wenn diese in ihrem Umfang nicht über das Maß hinausgeht, welches für die Feststellung der Dienstfähigkeit des Beamten erforderlich ist. Sowohl Anlass als auch Art und Umfang der durchzuführenden Untersuchung sind – insbesondere, um dem Beamten effektiven Rechtsschutz noch vor dem Untersuchungstermin zu ermöglichen – in der Untersuchungsanordnung zu benennen.
Trotz dieser strengen Bindung des Dienstherrn an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dürfen die Anforderungen, die an die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung gestellt werden, nicht so hoch sein, dass der Dienstherr sie praktisch nicht mehr erfüllen kann. Die dem Dienstherrn (einfach-rechtlich) eingeräumte Befugnis, seine Beamten bei Zweifeln an ihrer Dienstfähigkeit ärztlich untersuchen zu lassen, dient der – von Art. 33 Abs. 5 GG geschützten – Gewährleistung der staatlichen Aufgabenerfüllung und damit der Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen.
Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, hätten das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof der Bundespolizeidirektion die Vollziehung der Ziffern 1 und 2 der Untersuchungsanordnung vom 2. Dezember 2019 einstweilen untersagen müssen. Die Ziffern 1 und 2 der Untersuchungsanordnung sehen die Verwendung der zu erhebenden Gesundheitsdaten des Beschwerdeführers zu dem Zweck der erneuten Überprüfung seiner Polizeivollzugsdienstfähigkeit und damit zu einem vorliegend nicht gerechtfertigten Zweck vor:
Die Ziffern 1 und 2 der Untersuchungsanordnung betreffen nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich die Polizeivollzugsdienstfähigkeit des Beschwerdeführers; Ziffer 1 der Anordnung betrifft die Frage der im Zeitpunkt der Untersuchung bestehenden Polizeivollzugsdienstfähigkeit des Beschwerdeführers, Ziffer 2 zielt auf eine amtsärztliche Prognose zur Wiedererlangung der vollen (Polizeivollzugs-) Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten zwei Jahre ab.
Die Polizeivollzugsdienstfähigkeit des Beschwerdeführers durfte hier jedoch nicht erneut untersucht werden. Denn sie war bereits mit amtsärztlichem Gutachten vom 28. Mai 2019 für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren verneint worden. Ein hinreichender Anlass für ihre erneute Überprüfung bestand im Dezember 2019 nicht. Ein solcher hinreichender Anlass hätte allenfalls dann bestanden, wenn Anhaltspunkte für eine Verbesserung und nicht – wie hier – für eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers vorgelegen oder wenn sonstige Umstände den Schluss zugelassen hätten, dass das Ergebnis des amtsärztlichen Gutachtens vom 28. Mai 2019 keinen Bestand mehr haben kann. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluss vom 10. März 2020 auch nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die streitgegenständliche Untersuchungsanordnung seitens der Bundespolizeidirektion nur insoweit vorläufig vollzogen werden darf, als sie eine Datenerhebung und -verwendung zum Zwecke der Überprüfung der Verwaltungsdienstfähigkeit (und nicht auch zum Zwecke der Überprüfung der Polizeivollzugsdienstfähigkeit des Beschwerdeführers) anordnet. Zwar führt er aus, Ziel der Untersuchung sei es, festzustellen, ob Einschränkungen „für den allgemeinen Verwaltungsdienst“ bestünden. Er nimmt jedoch keine ausdrückliche einschränkende Auslegung der Untersuchungsanordnung vor.