Beherbergungsverbot in Schleswig-Holstein bleibt bestehen

07. November 2020 -

Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein hat mit Beschlüssen vom 05.11.2020 zu den Aktenzeichen 3 MR 72/20 und 3 MR 56/20 auf zwei Anträge gegen den neuen Corona-Teil-Lockdown entschieden, dass ein österreichisches Ehepaar nicht weiter auf Sylt Urlaub machen darf und die Sylter Ferienwohnungen einer Gesellschaft erstmal leer bleiben müssen.

Aus der Pressemitteilung des OVG SH vom 05.11.2020 ergibt sich:

Das antragstellende Ehepaar verbringt gegenwärtig den Jahresurlaub auf Sylt. Sie machen u.a. geltend, dass sie ihren Wohnsitz in Österreich derzeit nicht erreichen könnten, weil dieser unter Neuschnee liege und die Zuwegung nicht befahrbar sei. Wegen des auch in Österreich geltenden Beherbergungsverbots drohe ihnen bei Rückkehr Obdachlosigkeit. Sie wenden sich gegen die von der Landesregierung neu verordnete Beschränkung von Beherbergungen auf berufliche, medizinische oder zwingende sozialethische Zwecke und deren Anwendbarkeit auf Beherbergungen auf schleswig-holsteinische Nordseeinseln ab dem 05.11.2020.

Das OVG Schleswig hat den Eilantrag abgelehnt.

In Anbetracht der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sah sich das Oberverwaltungsgericht nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung in § 17 der Corona-Bekämpfungsverordnung vom 01.11.2020 eingehend zu prüfen. Er nahm deshalb eine Folgenabwägung vor, die auch unter Berücksichtigung der Interessen von Beherbergungsbetrieben zulasten der Antragstellenden ausging.

Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist das Vertrauen auf einen ungestörten Urlaub wenig schutzwürdig, da das Ehepaar schon bei der Anreise mit einer Verschärfung der Pandemieentwicklung hätte rechnen können. Auch das Risiko, dass ein selbstgewählter Wohnsitz in Hochgebirgslage im Winterhalbjahr nicht erreichbar sei, könne nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Darüber hinaus sei anzunehmen, dass ein etwaiger Notbedarf auch in der Republik Österreich aufgefangen werde. Bei der Abwägung stehe das bundesweit verfolgte dringende Ziel im Vordergrund, die sich exponentiell entwickelnde Dynamik der Corona-Pandemie zumindest so weit abzuschwächen, dass das Gesundheitssystem und die Krankenhäuser den mit der Pandemie verbundenen Herausforderungen noch Herr werden könnten. Dazu müssten in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens Kontakte eingeschränkt werden. Die Untersagung touristischer Beherbergungen sei ein Beitrag hierzu, der im Zusammenhang mit den flächendeckenden Beschränkungen zu sehen sei und auch nur so Sinn ergebe.

Ein weiteres Verfahren betrifft eine Gesellschaft, die auf Sylt einen Ferienwohnungskomplex betreibt und die sich ebenfalls gegen die Beschränkung von Beherbergungen wendet.

Das OVG Schleswig hat den Eilantrag abgelehnt.

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem Verfahren eine ausführlichere Prüfung angestellt. Es spreche vieles dafür, dass die angegriffene Regelung einer rechtlichen Überprüfung standhalten werde. Die verfahrensmäßigen Anforderungen an den Erlass einer Verordnung seien gewahrt. Zudem sei die Verordnung vom Infektionsschutzgesetz gedeckt. Das Infektionsschutzgesetz selbst verstoße nicht gegen den Parlamentsvorbehalt (Wesentlichkeitstheorie). Es komme zwar zu erheblichen Grundrechtseingriffen, doch seien diese gemäß der Verordnung zeitlich begrenzt und sollten nach zwei Wochen evaluiert werden. Das exponentielle Wachstum der Neuinfektionen in den vergangenen (Herbst-)Wochen habe ein umgehendes Tätigwerden des Verordnungsgebers unter vorheriger Verständigung mit den anderen Bundesländern erfordert. Die bezweckte rasche Eindämmung des Pandemiegeschehens wäre mit dem Erlass eines formellen Parlamentsgesetzes nicht zu erreichen gewesen. Da sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen könnten, nicht im Vorfeld bestimmen lasse, sei weiterhin davon auszugehen, dass die Verordnung auch auf die als Generalklausel ausgestaltete gesetzliche Grundlage gestützt werden könne.

Mit der Verordnung einhergehende Grundrechtsverletzungen seien nicht festzustellen. Die Berufsfreiheit im Sinne des Art. 12 GG vermittele keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten; insoweit liege nur eine Berufsausübungsregelung vor. Ähnlich verhalte es sich bei Art. 14 GG (Eigentumsgarantie). Der damit geschützte „eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb“ erfasse nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern, nicht aber bloße Umsatz- und Gewinnchancen. Dessen ungeachtet seien die (zeitlich befristeten) Grundrechtsbeschränkungen jedenfalls derzeit gerechtfertigt. Die Pandemie-Lage habe sich gegenwärtig nochmals deutlich verschärft. Das Virus breite sich auf einem erhöhten Niveau weiter aus, wobei die jetzt bekannten Infektionszahlen noch nicht einmal das aktuelle Geschehen abbildeten. Zudem werde der bundesweite Anstieg durch „zumeist diffuse Geschehen“ verursacht, so dass die Ansteckungsumstände in mehr als 75% der Fälle unklar blieben. In Anbetracht der auch in einschlägigen wissenschaftlichen Kreisen bestehenden Unsicherheiten bei der fachlichen Beurteilung des Geschehens seien auch der Verordnungsgeber und das Gericht nicht in der Lage, diese Erkenntnislücken zu schließen, so dass sich das Gericht auf eine Überprüfung der Vertretbarkeit und Plausibilität beschränken müsse. Hiervon ausgehend sei das auf vier Wochen befristete Herunterfahren eines Teiles des öffentlichen Lebens zunächst in sich konsistent, indem vermeidbare Kontakte im privaten Umfeld deutlich reduziert und solche Bereiche aufrechterhalten würden, die für ein Funktionieren der Gesellschaft und der Wirtschaft unerlässlich seien.

Darüber hinaus sei die Regelung auch verhältnismäßig, nämlich geeignet, erforderlich und angemessen, um den Anstieg der Pandemie wieder beherrschbar zu machen. Auch wenn die Beherbergungsbranche über umfassende Hygienekonzepte verfüge, sei zu beachten, dass Feriengäste durch ihren Aufenthalt eine vorübergehende Veränderung des potentiellen Kontaktumfeldes herbeiführten. Touristische Reisen würden zumindest abstrakt die Gefahr mit sich bringen, das Infektionsgeschehen an einen anderen Ort zu tragen und das Virus dort weiter zu verbreiten. Dies gelte umso mehr, als die Beherbergung auch in anderen Bundesländern beschränkt sei und Auslandsreisen derzeit nur eingeschränkt möglich seien. Der Verordnungsgeber schätze die Gefahr zwar anders ein als die Antragstellerin, doch komme ihm insoweit eine Einschätzungsprärogative zu. Dass diese Einschätzung offensichtlich unzutreffend wäre, sei nicht erkennbar. Selbst wenn durch die Beschränkung der Beherbergung nur ein minimaler Anteil an Infektionen vermieden werden würde, ließen sich so weitere, nicht unbedingt erforderliche Kontakte auf privater Ebene vermeiden. Angesichts der für das öffentliche Gesundheitssystem zu befürchtenden gravierenden Folgen müsse das Interesse der Beherbergungsbetriebe zurückstehen, zumal ihnen seitens der Bundesregierung eine Entschädigung für die Umsatzeinbußen zugesagt worden ist.

Die Beschlüsse sind unanfechtbar.