Das Verwaltungsgericht Neustadt hat mit Beschluss vom 15.10.2020 zum Aktenzeichen 5 L 827/20.NW entschieden, dass ein Internatschüler einer Schule in Kaiserslautern keinen Anspruch auf Befreiung vom Präsenzunterricht und Erteilung von Fernunterricht wegen der Corona-Pandemie hat.
Aus der Pressemitteilung des VG Neustadt Nr. 22/2020 vom 21.10.2020 ergibt sich:
Der aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz stammende Antragsteller besucht als Internatsschüler eine Klasse hochbegabter Schüler in einem Gymnasium in Kaiserslautern. Mitte September 2020 beantragte er die Befreiung vom Präsenzunterricht und die Erteilung von Fernunterricht mit der Begründung, er leide an Asthma bronchiale und gehöre daher zu einer Risikogruppe für die Erkrankung Covid-19. Gleiches gelte für Angehörige des Antragstellers, bei denen teilweise erhebliche Vorerkrankungen vorlägen.
Diesen Antrag lehnte das Land Rheinland-Pfalz ab, woraufhin der Antragsteller um vorläufigen gerichtlichen Rechtschutz nachsuchte. Zur Begründung führte er aus, das von der Schule vorgelegte spezielle Konzept („geschützter Präsenzunterricht“) sei nicht geeignet, den gesundheitlichen Gefahren und den pädagogischen und psychologischen Anforderungen gerecht zu werden. Da er eine Schule für Hochbegabte besuche, sei er eigenständiges Lernen gewohnt und könne Aufgaben zu Hause allein bearbeiten und anschließend der Schule übermitteln. Eine Entfremdung von der Klassengemeinschaft sei nicht zu befürchten, da er gut integriert sei und zwischenzeitlich Kontakte pflege. Gefährdungen sei er nicht nur in der Schule ausgesetzt, sondern auch auf dem Weg von seinem weiter entfernten Heimatort nach Kaiserslautern in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Das VG Neustadt hat den Eilantrag abgelehnt.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts folgt ein Anspruch des Antragstellers darauf, aus gesundheitlichen Gründen vom Präsenzunterricht befreit zu werden, nicht aus der derzeit geltenden 11. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz in Verbindung mit dem „Hygieneplan-Corona für die Schulen in Rheinland-Pfalz“.
Die Schulbesuchspflicht entfalle nur für solche Schüler, die nicht schulbesuchsfähig seien. Diese Voraussetzung habe der Antragsteller aber auch unter Berücksichtigung des vorgelegten ärztlichen Attests vom 07.10.2020 nicht hinreichend nachgewiesen. Die Prüfung der Schulbesuchsfähigkeit unter Pandemiebedingungen erfolge im Fall von Schülern mit Grunderkrankungen bzw. mit Angehörigen mit risikoerhöhenden Grunderkrankungen nach den Vorgaben des „Hygieneplan-Corona für die Schulen in Rheinland-Pfalz“. Hierfür bedürfe es der Vorlage eines ärztlichen Attests. Aus dessen Inhalt müsse sich regelmäßig nachvollziehbar ergeben, welche konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund des Schulbesuchs alsbald zu erwarten seien und woraus diese im Einzelnen resultierten. Darüber hinaus müsse im Regelfall erkennbar werden, auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei. Das Gericht müsse aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen selbstständig zu prüfen. Dies gelte in besonderer Weise für ärztliche Atteste, die als Grundlage für eine wegen der Corona-Pandemie zu gewährende Befreiung vom Präsenzunterricht dienen sollten. Diesen Anforderungen werde das vorgelegte Attest in keiner Weise gerecht. Es werde zwar eine Diagnose genannt, in der Konsequenz jedoch lediglich erklärt, dass eine „Sonderbeschulung“ notwendig sei, ohne dass klargestellt werde, was darunter zu verstehen sei. Angesichts des derzeit nicht vorhersehbaren Endes der Pandemiesituation lasse das Attest nicht erkennen, dass der behandelnde Arzt die Folgen einer längerfristigen Isolation für den Antragsteller mit in seine Beurteilung einbezogen habe.
Die geltend gemachten Erkrankungen seiner Angehörigen ließen keine andere Bewertung des geltend gemachten Anspruchs zu. Die Nichtteilnahme von Schülern am Präsenzunterricht könne zum Schutz ihrer Angehörigen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Dies setze voraus, dass ein ärztliches Attest des betreffenden Angehörigen vorgelegt werde, aus dem sich die Corona-relevante Vorerkrankung ergebe. Entsprechende Nachweise, die den erforderlichen „eng begrenzten“ Ausnahmefall belegten, fehlten.
Ein Anspruch auf Befreiung vom Präsenzunterricht lasse sich nicht aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit herleiten. Die Verfassung gebiete keinen vollkommenen Schutz vor jeglicher Gesundheitsgefahr. Nach der Rechtsprechung des BVerfG gelte dies im Zusammenhang mit der SARS-CoV2-Pandemie umso mehr, als ein „gewisses Infektionsrisiko mit dem neuartigen Corona-Virus derzeit für die Gesamtbevölkerung zum allgemeinen Lebensrisiko gehöre“.
Vorliegend sei auch zu berücksichtigen, dass die Schule dem Antragsteller mit den schriftlich formulierten besonderen Maßnahmen das im Hygieneplan vorgegebene Konzept der geschützten Präsenz konsequent umgesetzt habe. Die Befreiung von Sport- und Ethikunterricht zeige ebenso wie die Internatsunterbringung in einem Einzelzimmer die Bereitschaft, den gesamten Schulalltag auf besondere Ansteckungsrisiken des Antragstellers hin zu überprüfen und insoweit auf seine gesundheitlichen Probleme einzugehen. Die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m im Klassenraum sei gesichert, der ohnehin mit einer Größe von 60 m² bei der Klassenstärke von nur 15 Schülern unter dem Aspekt des Ansteckungsrisikos nach allgemeiner Einschätzung äußerst vorteilhaft sei. Zwar werde damit das Ansteckungsrisiko nicht auf Null reduziert, zumal der Antragsteller offenbar wöchentlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen seinem Heimatort und Kaiserslautern pendeln müsse. Dies beruhe allerdings auf der individuellen Entscheidung des Antragstellers und seiner Eltern für die weit entfernt gelegene Schule.
Gegen den Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde zum OVG Koblenz zulässig.