Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat mit Beschluss vom 15.10.2020 zum Aktenzeichen 13 MN 371/20 in einem Normenkontrolleilverfahren entschieden, dass das Beherbergungsverbot in Niedersachsen vorläufig außer Vollzug gesetzt wird.
Aus der Pressemitteilung des OVG Lüneburg Nr. 49/2020 vom 15.10.2020 ergibt sich:
Der Antragsteller betreibt in Niedersachsen einen Ferienpark. Dort vermietet er auch Ferienhäuser. Mit einem Normenkontrolleilantrag vom 13.10.2020 beantragte er die vorläufige Außervollzugsetzung des in § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung über Beherbergungsverbote zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Beherbergungs-Verordnung) vom 09.10.2020 angeordneten grundsätzlichen Verbots, in Hotels, Pensionen, Jugendherbergen und ähnlichen Beherbergungsbetrieben sowie Ferienwohnungen, Ferienhäusern und Campingplätzen Personen aus einem vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung festgelegten und veröffentlichten Risikogebiet zu touristischen Zwecken zu beherbergen (sog. Beherbergungsverbot). Er machte geltend, die Verbotsregelungen seien zu unbestimmt und das Verbot als solches sei zur Verhinderung weiterer Corona-Infektionen nicht geeignet, nicht notwendig und auch nicht angemessen.
Das OVG Lüneburg hat dem Eilantrag stattgegeben und die § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung vorläufig außer Vollzug gesetzt.
Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sind auch angesichts der derzeit stark steigenden Infiziertenzahlen in vielen Teilen des Bundesgebiets und Niedersachsens die gesetzlichen Voraussetzungen für ein staatliches Handeln durch infektionsschützende Maßnahmen erfüllt. Das in der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung konkret angeordnete Beherbergungsverbot erweise sich bei summarischer Prüfung aber als rechtswidrig. Das Verbot sei schon nicht hinreichend bestimmt. Es erfasse Personen „aus“ Risikogebieten, ohne festzulegen, ob diese Personen dort einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben müssten oder ein kurzzeitiger Aufenthalt genüge.
Das Verbot stelle sich auch nicht als notwendige infektionsschutzrechtliche Schutzmaßnahme dar.
Angesichts des engen Anwendungsbereichs (Übernachtungen zu touristischen Zwecken in Beherbergungsbetrieben, nicht aber bloße Einreisen und Aufenthalte ohne Übernachtungen zu jedweden Zwecken, u.a. Fahrten von Berufspendlern und Heimreisen niedersächsischer Bürgerinnen und Bürger aus Urlauben in innerdeutschen Risikogebieten) und zahlreicher Ausnahmen (u.a. negativer Corona-Test, „triftiger Reisegrund“ und Einzelfallausnahmen des Gesundheitsamts) erfasse das Verbot von vorneherein nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des Reisegeschehens und könne auch nur insoweit überhaupt eine Wirkung auf das Infektionsgeschehen entfalten. Es sei zweifelhaft, ob ein derart begrenztes Verbot geeignet und erforderlich sei. Das Beherbergungsverbot beziehe sich auch auf Sachverhalte, die jedenfalls nicht offensichtlich mit einer erhöhten Infektionsgefahr verbunden seien. Dies gelte für die Beherbergung als solche, aber auch für die eigentlichen Reisen. Der Antragsgegner habe auch auf Nachfrage des Oberverwaltungsgerichts keine nachvollziehbaren tatsächlichen Erkenntnisse dazu präsentieren können, welche Zahl von infizierten Personen in den letzten Wochen im Bundesgebiet und in Niedersachsen auf Reisen innerhalb des Bundesgebiets zurückzuführen seien. Aber auch die in der Verordnung vorgenommene schlichte Anknüpfung an Infiziertenzahlen in einem Gebiet sei nicht ausreichend, um für alle Personen in einem solchen Gebiet eine einheitliche Gefahrenlage anzunehmen und diesen gegenüber unterschiedslos generalisierende infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zu treffen. Der Verordnungsgeber müsse vielmehr vorhandene oder zumutbar zu ermittelnde tatsächliche Erkenntnisse zum Infektionsgeschehen in dem betroffenen Gebiet, etwa bei zu lokalisierenden und klar eingrenzbaren Infektionsvorkommen, in einer differenzierten Betrachtung berücksichtigen. Gegenüber Personen aus einem Risikogebiet, das außerhalb Niedersachsens liege, könne das Verbot auch tatsächlich kaum vollzogen werden. Für diesen Personenkreis gelte das Verbot nach § 1 Abs. 3 der Verordnung nur dann, wenn spätestens im Zeitpunkt ihrer Einreise nach Niedersachsen das Gebiet, aus dem sie einreisen, vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung als Risikogebiet veröffentlicht worden sei. Der danach maßgebliche Zeitpunkt der Einreise nach Niedersachsen werde aber weder dokumentiert noch sei er vom Betreiber eines Beherbergungsbetriebs nachzuprüfen.
Unter Berücksichtigung dieser Zweifel an der Eignung und Erforderlichkeit des Verbots greife dieses jedenfalls unangemessen in die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit der Betreiber von Beherbergungsbetrieben ein. Das Verbot bewirke eine gravierende organisatorische Belastung und könne zu erheblichen finanziellen Einbußen führen. Die Verbotswirkungen würden durch die Ausnahmen nicht deutlich gemildert. Insbesondere die Möglichkeit, eine Ausnahme von dem Verbot durch einen negativen Corona-Test zu erlangen, dürfte angesichts nur begrenzter theoretischer und bereits heute tatsächlich weitgehend ausgenutzter Testkapazitäten praktisch kaum zum Tragen kommen und auch der erstrebten Priorisierung von Testungen nach der Infektionswahrscheinlichkeit widersprechen.
Die vorläufige Außervollzugsetzung ist allgemeinverbindlich, d.h. die außer Vollzug gesetzten Regelungen sind von den darin genannten Beherbergungsbetrieben mit sofortiger Wirkung nicht mehr zu beachten.
Der Beschluss ist unanfechtbar.