Das Landgericht Hildesheim hat mit Urteil vom 08.10.2020 ein Ehepaar, das über 20 Jahre eine familienanaloge Wohngruppe in Gifhorn geleitet hat, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheits- bzw. einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Aus der Pressemitteilung des LG Hildesheim vom 08.10.2020 ergibt sich:
Der 57-Jährige Angeklagte wurde wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Im Übrigen wurde er freigesprochen. Die Angeklagte wurde wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in einem Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, wobei die Strafe hinsichtlich der Frau zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Grundlage der Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern war, dass der 57-jährige Angeklagte ein Mädchen mit zu sich in die Badewanne bzw. ein Bereitschaftszimmer nahm, wo es ihn u.a. an seinem Geschlechtsteil anfassen musste. Die heutige Nebenklägerin war zur Tatzeit zwischen fünf und acht Jahren bzw. elf Jahre alt. Hinsichtlich des ausgeurteilten Missbrauchs von Schutzbefohlenen sind die ursprünglich in mehreren Fällen angeklagten Taten zu einer Tat zusammengefasst worden, da es sich um einen – über einen längeren Zeitraum erstreckten – Gesamtkomplex handelte. Hier hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte einem zum Tatzeitpunkt zwischen zwölf und 16 Jahre alten Mädchen, die im Verfahren ebenfalls als Nebenklägerin auftrat, Windelpakete (mehrere Windeln übereinandergelegt und verklebt) anlegte und sie auch in einem kleinen Käfig im Haus einsperrte. Das Tragen der Windeln ist nach den Ausführungen der Kammer zu keinem Zeitpunkt indiziert gewesen. Ein Hintergrund sei ein beim Angeklagten vorliegender Windelfetischismus.
Der Freispruch des Angeklagten im Übrigen erfolgte hinsichtlich weiterer vorgeworfener Taten zum Nachteil von zwei weiteren Nebenklägerinnen. Hier sprach nach der Auffassung des LG Hildesheim und der Beweisaufnahme einiges dafür, dass es auch zu ihrem Nachteil geschilderte Vorfälle gab. Allerdings war – so auch das Ergebnis der Glaubwürdigkeitsgutachterin – nicht belegbar, dass die Schilderungen tatsächlich vollständig erlebnisbasiert sind. Eine der Frauen hatte berichtet, dass sie etwaige Taten in Träumen erneut durchlebt hat und dies in einer therapeutischen Aufarbeitung thematisiert, die andere Frau zeigte sich nach der Auffassung des Landgerichts in ihrem Aussageverhalten zu inkonstant. Hier war nach der Urteilsbegründung in Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten nicht konkret greifbar, was erlebnisbasiert und somit mit der für einer Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellbar ist.
Die Mitangeklagte und Ehefrau des 57-Jährigen, die ebenfalls mit der Leitung der Wohngruppe betraut war, hat nach den Feststellungen das Handeln des Angeklagten in Bezug auf die Windelpakete und das Einsperren im Käfig gebilligt und ist nicht eingeschritten, obwohl sie dazu verpflichtet war und auch die Möglichkeit hatte. Auch habe die Angeklagte selbst der betroffenen Nebenklägerin ein Windelpaket angelegt.
Nach Auffassung des Landgerichts war zugunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass die Taten lange zurückliegen (Tatzeitraum 1998 – 2003) und sie nicht vorbestraft sind. Zudem fand auch Berücksichtigung, dass die Angeklagten mit ihrer Aufgabe überfordert gewesen sind.
Gegen sie sprachen dabei u.a. der lange Tatzeitraum, der Vertrauensbruch und die hohe Intensität der Eingriffe.
Die Staatsanwaltschaft hatte für den Angeklagten die ausgeurteilte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten beantragt. Für die Angeklagte hatte die Staatsanwaltschaft einem Jahr und sechs Monaten beantragt, ebenfalls ausgesetzt zur Bewährung.
Die Strafe der Angeklagten wurde für eine Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt, zudem muss sie im Falle der Rechtskraft 6.000 Euro an die Stiftung Opferhilfe Niedersachsen bezahlen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Verfahrensbeteiligten haben die Möglichkeit, das Urteil mit dem Rechtsmittel der Revision anzufechten. Über die Revision hätte der BGH zu entscheiden.