Der Bundesgerichtshof hat am 03.09.2020 zum Aktenzeichen III ZR 136/18 entschieden, dass die Witwe des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl vom ehemaligen Ghostwriter des Altkanzlers Auskunft darüber verlangen kann, welche Kopien von Tonbandaufzeichnungen noch existieren und wo sie sind.
Aus der Pressemitteilung des BGH Nr. 116/2020 vom 03.09.2020 ergibt sich:
Hinsichtlich weiterer Unterlagen sei der Auskunftsanspruch indes verjährt, so der BGH.
Dr. Helmut Kohl und der Beklagte, ein bekannter Journalist, schlossen 1999 mit einem Verlag jeweils selbständige, inhaltlich aber aufeinander abgestimmte Verträge. Deren Gegenstand war die Erstellung der Memoiren des ehemaligen Bundeskanzlers; die schriftliche Abfassung des Werkes sollte durch den Beklagten erfolgen. Kohl und der Beklagte, die die Einzelheiten ihrer Zusammenarbeit unmittelbar miteinander besprechen sollten, trafen sich in den Jahren 2001 und 2002 an über 100 Tagen im Wohnhaus des früheren Bundeskanzlers zu Gesprächen, die insgesamt etwa 630 Stunden dauerten und mit einem Tonbandgerät aufgenommen wurden. Kohl sprach dabei auf Fragen und Stichworte des Beklagten ausführlich über sein gesamtes Leben, sowohl über die Zeit, in der er höchste politische Ämter innehatte, als auch über seinen vorherigen Werdegang. Die Tonbänder, die Kohl persönlich zu keinem Zeitpunkt in den Händen hatte, nahm der Beklagte zur Vorbereitung der geplanten Buchveröffentlichung jeweils mit nach Hause. Von den Aufnahmen fertigte er Kopien an und ließ Abschriften anfertigen. Außerdem gewährte bzw. ermöglichte Kohl dem Beklagten Zugang zu zahlreichen Unterlagen.
Später überwarfen sich die Parteien. Kohl kündigte die Zusammenarbeit mit dem Beklagten und bat diesen u.a. mit anwaltlichem Schreiben vom 18. März 2010 um Prüfung und Weiterleitung einzeln in dem Schreiben aufgeführter Akten sowie weiterer Unterlagen, die noch nicht als fehlend aufgefallen seien, aber sich noch im Bestand des Beklagten befänden. Hierauf antwortete der Beklagte am 30. März 2010, die in dem Schreiben aufgeführten Akten befänden sich nicht in seinem Besitz. Einst in Kohls Büro gefertigte Kopien könnten nicht zurückgegeben werden, da sie unter verschiedenen Gesichtspunkten bearbeitet und ausgewertet worden seien. Im Übrigen handele es sich um allgemein zugängliche Reden und durchweg öffentliche Auftritte. Ende 2014 erklärte der Beklagte in einer Fernsehsendung, Kopien der Tonbänder angefertigt zu haben, die „in deutschen Landen und auch im Ausland“ verstreut seien und an die „man nicht so schnell drankommen“ werde.
In einem früheren Verfahren machte Kohl erfolgreich die Herausgabe der Originaltonbänder geltend. Im vorliegenden Verfahren, das nach seinem Tod von seiner Erbin fortgeführt worden ist, verlangt diese im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über Existenz und Verbleib schriftlicher, digitaler und sonstiger Vervielfältigungen der Tonbänder sowie über weitere Unterlagen, die der Beklagte aus der Zusammenarbeit im Rahmen der Erstellung der Memoiren besitzt oder weitergegeben hat.
Das Landgericht hat der Klage bezüglich der schriftlichen, digitalen und sonstigen Vervielfältigungen der Tonbänder stattgegeben und sie hinsichtlich der weiteren Unterlagen abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage auch im Hinblick auf schriftliche Vervielfältigungsstücke des Tonbandinhalts mit der Begründung abgewiesen, diese Ansprüche seien verjährt. Die Verurteilung des Beklagten zur Auskunft über die digitalen und sonstigen Vervielfältigungen hat es bestätigt. Die Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Rechtsmittel eingelegt, mit denen sie ihre erstinstanzlichen Anträge jeweils weiterverfolgen.
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.
Nach Auffassung des BGH sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte aufgrund eines zwischen ihm und dem Erblasser bestehenden Rechtsverhältnisses verpflichtet war, das durch die Zusammenarbeit mit dem Erblasser Erlangte an diesen herauszugeben (§ 667 BGB), auf Verlangen Auskunft über den Stand des Geschäfts zu geben und über die Ausführung Rechenschaft abzulegen (§ 666 BGB). Der für ein solches Verhältnis erforderliche Rechtsbindungswille sei insbesondere dann zu bejahen, wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse habe. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Erblasser gegenüber dem Beklagten nur dann seine persönlichen Erinnerungen, Informationen, Einschätzungen und unter Umständen auch Gefühle preisgeben, wenn sichergestellt war, dass er gleichwohl nicht nur „Herr über das überlassene Material“, sondern auch „Herr über seine Erinnerungen“ bleiben konnte. Dies hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei als ein erhebliches rechtliches Interesse im Sinne der genannten Maßstäbe gewertet und sich auch mit den weiteren Einwendungen des Beklagten hinreichend auseinandergesetzt. Die Wirkungen dieses Rechtsverhältnisses richteten sich nach Auftragsrecht.
Soweit der Beklagte geltend gemacht habe, insbesondere aus seiner Stellung als Historiker und Journalist sowie dem Umfang und der Eigenständigkeit seiner Tätigkeit ergebe sich, dass er habe berechtigt sein sollen, die Unterlagen für die Abfassung eigener Werke – jedenfalls bei Wahrung eines hinreichenden zeitlichen Abstands – zu nutzen, habe das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei insbesondere ausgeführt, jedenfalls aufgrund der vorzeitigen Beendigung der Zusammenarbeit über die Memoiren sei einer etwaigen Zustimmung des Erblassers zu einer Veröffentlichung durch den Beklagten die Grundlage entzogen worden.
Der daraus folgende Anspruch gemäß § 666 Fall 3 BGB auf Erteilung der geltend gemachten Auskünfte sei allerdings infolge der Mitteilung des Beklagten vom 30.03.2010 durch Erfüllung erloschen. Ein Auskunftsanspruch sei erfüllt, wenn die Angaben nach dem erklärten Willen des Schuldners die Auskunft im geschuldeten Gesamtumfang darstellten. Die Mitteilung des Beklagten sei vor dem Hintergrund der vorangegangenen Korrespondenz in dem Sinn zu verstehen, dass er abschließend erklärte, über keine herausgabepflichtigen Gegenstände mehr zu verfügen.
Da diese Erklärung jedoch schuldhaft falsch war, habe die Klägerin nunmehr einen Anspruch auf Schadensersatz (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB), der darauf gerichtet sei, so gestellt zu werden, wie sie bei richtiger Auskunft stünde. Der Schaden könne dabei insbesondere darin liegen, dass aufgrund der falschen Auskunft ein Anspruch nicht geltend gemacht worden sei. Dies sei hier der Anspruch auf Herausgabe der Vervielfältigungen der Tonbänder und der weiteren Unterlagen.
Da die Klägerin im Unklaren über Inhalt und Umfang ihres Schadensersatzanspruchs sei, stehe ihr zu dessen Durchsetzung aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ein ergänzender Auskunftsanspruch zu. Jedenfalls bei einer schweren, insbesondere vorsätzlichen Pflichtverletzung sei es gerechtfertigt, dem Gläubiger zur Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche einen hierauf bezogenen ergänzenden Auskunftsanspruch zu gewähren. Die nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen lassen allein den Schluss darauf zu, dass der Beklagte mit seiner Erklärung, über keine Gegenstände zu verfügen, die an den Erblasser herauszugeben seien, diesen vorsätzlich in die Irre führte. Darüber hinaus bestand aufgrund der Erklärung des Beklagten Ende 2014, die Kopien der Tonbänder seien „in deutschen Landen und auch im Ausland“ verstreut und man werde „nicht so schnell drankommen“, die begründete Befürchtung, der Beklagte habe die Durchsetzung von Herausgabeansprüchen des Erblassers gezielt vereiteln wollen.
Der Anspruch sei allerdings verjährt, soweit die Klägerin Auskunft über die weiteren Unterlagen begehrt. Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dass Kohl bereits Ende 2012 vor Augen gestanden habe, dass der Beklagte möglicherweise noch über Unterlagen verfügte. Der Erblasser hatte also zu diesem Zeitpunkt die erforderlichen Kenntnisse, um eine Auskunfts- und Schadensersatzklage erheben zu können, so dass die dreijährige Verjährungsfrist mit dem Schluss dieses Jahres zu laufen begann. Eine solche Klage habe der Erblasser jedoch erst 2016 erhoben.
Demgegenüber wurde die Verjährung hinsichtlich der Vervielfältigungen der Tonbänder durch die 2014 – und damit rechtzeitig – erhobene Klage gehemmt. Dies gelte entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts auch für die schriftlichen Vervielfältigungen. Zwar wusste der Erblasser von deren Anfertigung. Aufgrund der Erklärung des Beklagten vom 30.03.2010 konnte er jedoch ohne grobe Fahrlässigkeit davon ausgehen, dass sie nicht mehr existierten.