Das Amtsgericht Kassel hat mit Urteil vom 03.08.2020 zum Aktenzeichen 246 Ds – 1622 Js 25245/17 einen Lehrstuhlinhaber an der Universität Kassel, der im Jahr 2017 dem Internetportal „kath.net“ ein Interview zum Thema „Ehe für alle“ gegeben und sich in diesem Zusammenhang über Kindererziehung in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geäußert hatte, wegen Beleidigung verurteilt.
Aus der Pressemitteilung Nr. 01/2020des AG Kassel vom 07.08.2020 ergibt sich:
Der Angeklagte, ein 65-jähriger Biologe mit Lehrstuhl an der Universität Kassel, gab auf einem österreichischen Internetportal anlässlich des Gesetzesentwurfs zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts ein im Juli 2017 im Internet veröffentlichtes Interview, in welchem er sich zur Kindererziehung in gleichgeschlechtlichen Ehen äußerte.
Das Amtsgerichts Kassel – Strafrichter – verurteilte den Angeklagten wegen in diesem Zusammenhang von ihm getätigten und veröffentlichten Äußerungen wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100,00 €.
Das Gericht führte in der mündlichen Urteilsbegründung aus, das nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen gewesen sei, dass die Tat in einer Weise begangen wurde, die geeignet gewesen sei, den öffentlichen Frieden zu stören, so dass eine Verurteilung wegen Volksverhetzung nicht in Betracht gekommen sei. Die Äußerungen des Angeklagten hätten sich jedoch auf eine hinreichend überschaubare und abgrenzbare Personengruppe bezogen, so dass der Angeklagte den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt habe.
Das Gericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die fraglichen Äußerungen insbesondere nicht durch die Wissenschaftsfreiheit gedeckt gewesen seien. Der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit sei im konkreten Fall im Hinblick auf den konkreten Kontext der Äußerungen bereits nicht berührt gewesen. Selbst wenn man dies anders würdigen wolle, gewähre das Grundgesetz die Wissenschaftsfreiheit zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos. Sie finde ihre Grenze u.a. auch in den Grundrechten anderer Rechtsträger, insbesondere auch der Ehre als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Dem Angeklagten sei es zwar unbenommen, sich – ggf. auch zugespitzt – zu Fragen der Kinderziehung durch gleichgeschlechtliche Partner zu äußern. Hinsichtlich einiger der von dem Angeklagten im Rahmen des Interviews getätigten Äußerungen ergebe die unter Beachtung der Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorzunehmende Abwägung jedoch, dass diese die Anzeigeerstatter in ihrer Ehre verletzt hätten.
Indem der Angeklagte geäußert habe, bei einem Adoptionsrecht „für Mann-Mann bzw. Frau-Frau-Erotikvereinigungen“ sehe er „staatlich geförderte Pädophilie und schwersten Kindesmissbrauch auf uns zukommen“, habe er Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Ehen leben und Kinder adoptieren, auf deren Sexualleben reduziert und im Kontext der den Eltern im Kontext der von ihm getätigten Äußerungen eine besondere Nähe zur Pädophilie unterstellt. Der Angeklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass die von ihm verwendeten Begriffe „Erotik“ und „Pädophilie“ in der Fachsprache anders zu verstehen seien als im allgemeinen Sprachgebrauch. Denn soweit sich Äußerungen – wie hier – nicht an das Fachpublikum, sondern an ein allgemeines Publikum richten, sei bei deren Würdigung der allgemeine Sprachgebrauch zu Grunde zu legen. Im allgemeinen Sprachgebrauch würden unter dem Begriff Erotik vornehmlich das sinnliche Liebes- und Geschlechtsleben und unter Pädophilie das sexuelles Interesse eines Erwachsenen an einem Kind verstanden. Ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichendes Begriffsverständnis hätte der Angeklagte erläutern müssen. Überdies handele es sich bei den von dem Angeklagten in diesem Kontext verwendeten Worten „schwerster Kindesmissbrauch“ auch nicht um einen Fachbegriff. Soweit der Angeklagte in gleichgeschlechtlichen Beziehungen lebende Kinder als „bemitleidenswerte Befruchtungs-Produkte“ bezeichnet habe, deren Erziehung durch „widernatürliche Früh-Sexualisierung“ betrieben werde, die der Angeklagte als „geistige Vergewaltigung Schutzbefohlener“ bezeichnet habe, handele es sich zwar letztlich bei allen Kindern um „Befruchtungsprodukte“ im Wortsinne. In dem festgestellten Kontext habe sich das von dem Angeklagten geäußerten Werturteil jedoch ausdrücklich nur auf eine Teilgruppe von Kindern bezogen und damit auch deren Eltern betroffen.
Soweit dem Angeklagten darüber hinaus zur Last gelegt worden war, sich durch eine weitere Handlung am 11.09.2017 nach einem Verkehrsunfallgeschehen unter seiner Beteiligung unerlaubt vom Unfallort entfernt zu haben, ohne zuvor seinen Pflichten zu genügen, hat das Gericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.