Untersagung von Teilen eines Presseartikels im Wege der einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 16. Juli 2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 1617/20 entschieden, dass die Untersagung von Teilen eines Presseartikels im Wege der einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin wohl verfassungswidrig sein dürfte, aber der Beschwerdeführer keinen schweren Nachteil dadurch erlitt.

Die Beschwerdeführerin hatte in dem Artikel über eine angebliche frühere Mitgliedschaft des ehemaligen Vorsitzenden des Brandenburger Landesverbands der „Alternative für Deutschland“, K. (nachfolgend: Betroffener), im inzwischen verbotenen rechtsextremen Verein „Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ)“ berichtet und dabei auch einen „Mitgliedsantrag“ erwähnt. Auf die Abmahnung hin hatte die Beschwerdeführerin ohne Abgabe einer Unterlassungserklärung den Artikel in der Online-Ausgabe und in der Printversion berichtigt. Der ursprüngliche Bericht über einen Mitgliedsantrag sei falsch. Richtig sei, dass dem Verfassungsschutz nach eigenen Angaben ein Beleg für die Mitgliedschaft „Familie K.“ vorliege.

Das Landgericht gab dem Antrag des Betroffenen des Ausgangsverfahrens, der damit begründet war, dass eine Wiederholungsgefahr durch die Richtigstellung nicht fortgefallen sei, ohne Anhörung der Beschwerdeführerin statt. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihrer prozessualen Waffengleichheit und begehrt unter Verweis auf die Entscheidungen der Kammer in den Verfahren 1 BvR 1246/20 und 1 BvR 1380/20 eine Außerkraftsetzung der Unterlassungsverfügung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG.

Die Verfassungsrichter führten aus, dass vieles dafür, dass das Landgericht die Beschwerdeführerin nach den in den Verfahren 1 BvR 1783/17 und 1 BvR 1246/20 konkretisierten Maßstäben zur prozessualen Waffengleichheit in äußerungsrechtlichen einstweiligen Verfügungsverfahren vor Erlass der Verfügung hätte einbeziehen müssen. Angesichts der auf die Abmahnung hin vorgenommenen Richtigstellung musste die Beschwerdeführerin nämlich nicht damit rechnen, dass der Betroffene sein Unterlassungsbegehren weiterverfolgen würde. Sie hatte damit keine Gelegenheit, sich zur Frage einer fortbestehenden Wiederholungsgefahr zu erklären. Ebenso wenig hatte sie Gelegenheit, zur Frage der Dringlichkeit der Entscheidung Stellung zu nehmen. Vielmehr erfuhr sie erst mit der Zustellung des gerichtlichen Unterlassungstitels von der Existenz eines Verfügungsantrags der Gegenseite.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dennoch zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin hat keinen grundrechtlich erheblichen schwerwiegenden Nachteil im Sinne des § 32 BVerfGG dargelegt. Eine solche Darlegung ist auch im Fall offenkundiger Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde erforderlich (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Juni 2020 – 1 BvR 1378/20 -, Rn. 4). Die fortgesetzte Belastung durch einen einseitig erstrittenen Unterlassungstitel reicht hierzu nicht aus, wenn die Beschwerdeführerin – wie vorliegend – in der Sache nicht durch die Unterlassungsverpflichtung belastet ist. Hier macht die Beschwerdeführerin gerade geltend, dass sie die ihr untersagte Äußerung bereits richtiggestellt habe, sie diese in Zukunft in dieser Form nicht mehr verbreiten wolle und daher ein Unterlassungsanspruch mangels Wiederholungsgefahr nicht bestanden habe. Die Beschwerdeführerin macht damit nicht geltend, dass ihr durch die einstweilige Verfügung eine Berichterstattung unmöglich wird, die sie tatsächlich noch beabsichtigt. Damit fehlt es jedoch an einem schwerwiegenden inhaltlichen Eingriff in ihre Berichterstattungsfreiheit, der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich wäre.