Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim hat mit Beschluss vom 30.07.2020 zum Aktenzeichen 1 S 2087/20 entschieden, dass die uneingeschränkte Pflicht durch die Corona-Verordnung Schlachtbetriebe und Fleischverarbeitung alle Mitarbeiter zweimal pro Woche zu testen, unverhältnismäßig ist und Schlachtbetriebe die Möglichkeit erhalten müssen, eine Ausnahme vom Testrhythmus zu beantragen.
Aus der Pressemitteilung des VGH BW Nr. 35/2020 vom 03.08.2020 ergibt sich:
Die Corona-Verordnung Schlachtbetriebe und Fleischverarbeitung vom 07.07.2020 bestimmt, dass in Betrieben, deren Betriebsstätte im Schlacht- und Zerlegebereich über mehr als 100 Beschäftigte verfügt, alle Beschäftigten zweimal wöchentlich einer Testung auf den Coronavirus zu unterziehen sind (§ 4 Abs. 2) und dass die Organisation und Finanzierung dieser Testungen dem Betriebsinhaber obliegt (§ 4 Abs. 3). Hiergegen wandte sich ein im Regierungsbezirk Tübingen gelegener Schlachtbetrieb (Antragstellerin) mit einem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO.
Der VGH Mannheim hat dem Eilantrag teilweise stattgegeben. Er hat die Pflicht, alle Beschäftigten zweimal wöchentlich zu testen (§ 4 Abs. 2 Corona-Verordnung Schlachtbetriebe und Fleischverarbeitung), ab dem 10.08.2020 vorläufig außer Vollzug gesetzt. Im Übrigen hat er den Antrag abgelehnt.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes kann das Land nach dem Infektionsschutzgesetz des Bundes durch Rechtsverordnung die notwendigen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus treffen. Die Argumentation der Antragstellerin, die vorgeschriebenen Reihentestungen könnten schon begrifflich keine „Schutzmaßnahmen“ im Sinne des Infektionsschutzgesetzes sein, da es um Beschäftigte gehe, die keine Krankheitssymptome haben, treffe nicht zu. Denn Reihentestungen könnten dazu beitragen, in einer Gruppe von asymptomatischen Menschen Infektionen mit dem Coronavirus frühzeitig zu erkennen, und diese Personen bei Bedarf zu isolieren, um so die andernfalls drohende Weiterverbreitung des Virus verhindern.
Reihentestungen seien auch ein geeignetes Mittel. Es treffe zwar zu, dass das RKI von einer ungezielten Testung von asymptomatischen Personen insbesondere aufgrund der unklaren Aussagekraft eines negativen Ergebnisses, das lediglich eine Momentaufnahme darstelle, und wegen der Schaffung eines trügerischen Sicherheitsgefühls in der Regel abrate. Allerdings weise das RKI auch darauf hin, dass es abweichend von dieser Regel in bestimmten Situationen sinnvoll sein könne, Personen ohne erkennbare Symptome zu testen. Das gelte v.a. für Einrichtungen mit besonderen Infektionsgefahren, weil viele, unter Umständen auch sehr vulnerable Personen dort regelmäßig zusammenkämen, vor Ort erhöhten Infektionsgefahren ausgesetzt seien und ein einzelner Infektionsherd deshalb in kurzer Zeit zu einer sehr schnellen, umfassenden und nicht mehr nachvollziehbaren Weiterverbreitung des Virus führen könne. Zu solchen Einrichtungen zählten Schlachtbetriebe aufgrund der Zahl der dort tätigen Personen, der aus lebensmittelhygienischen Gründen gebotenen Absenkung der Temperatur in den Betriebsstätten, der Schwere der körperlichen Arbeit, die zu einem erhöhten Aerosolausstoß führe, der hohen Fluktuation der vielfach durch Subunternehmer gestellten Mitarbeiter sowie teilweise zusätzlich deren Unterbringung in Sammelunterkünften.
Die starre und einzelfallunabhängige Pflicht zur Testung zweimal pro Woche sei allerdings zu weitgehend. Denn ein die Betriebe weniger belastendes, aber ebenso geeignetes Mittel dürfte eine Vorschrift sein, die Reihentestungen grundsätzlich vorschreibe, den betroffenen Betreibern aber die Möglichkeit eröffne, bei der zuständigen Behörde Ausnahmen von dieser Vorgabe für ihren Einzelfall zu beantragen. Denn es sei möglich, dass Betrieben der Nachweis gelinge, dass in ihrem Einzelfall ein spezifisches Hygienekonzept vorliege und tatsächlich umgesetzt werde, das es erlaube, auf eine anlasslose zweimal wöchentliche Testung von sämtlichen Beschäftigten teilweise zu verzichten. Denkbar sei es beispielsweise, dass in einem Betrieb aufgrund eines Hygienekonzepts – das freilich selbst ein Mindestmaß an anlasslosen Testungen in den besonders gefährdeten Betriebsbereichen und beispielsweise für Urlaubsrückkehrer werde vorsehen müssen – und angesichts der individuellen baulichen und sonstigen Bedingungen sichergestellt sei, dass bestimmte Mitarbeiter etwa aus dem Verwaltungsbereich tatsächlich keinen Kontakt zu Beschäftigten aus den besonders infektionsgefährdeten Betriebsstätten hätten.
Nicht zu beanstanden sei hingegen, dass der Betrieb die Organisation und Finanzierung der Testungen leisten müsse. Denn Kosten von Schutzmaßnahmen nach § 28 Infektionsschutzgesetz müsse grundsätzlich derjenige tragen, der zu den Schutzmaßnahmen verpflichtet werde.
Der Beschluss ist unanfechtbar.