Paritätsgesetz in Thüringen gekippt: Quotenregel ungültig

Der Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar hat am 15.07.2020 zum Aktenzeichen VerfGH 2/20 entschieden, dass Parteien in Thüringen ihre Kandidatenlisten für Landtagswahlen nicht abwechselnd mit Männern und Frauen besetzen müssen.

Aus der Pressemitteilung des Thür. VerfGH Nr. 9/2020 vom 15.07.2020 ergibt sich:

Antragsteller im zu Grunde liegenden Normenkontrollverfahren war die Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) im Thüringer Landtag. Nach dem Paritätsgesetz wären Landeslisten für die Wahl zum Thüringer Landtag abwechselnd mit Frauen und Männer zu besetzen gewesen. Landeslisten wären zurückzuweisen gewesen, soweit sie dieser paritätischen Besetzung nicht entsprochen hätten. Personen, die im Personenstandsregister als „divers“ registriert sind, hätten auf jedem Platz kandidieren können.

Der VerfGH Weimar hat entschieden, dass das Siebte Gesetz zur Änderung des Thüringer Landeswahlgesetzes – Einführung der paritätischen Quotierung – (Paritätsgesetz) vom 30.07.2019 (GVBl 2019, 322) nichtig ist.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs beeinträchtigt die gesetzliche Verpflichtung der politischen Parteien, Landeslisten zur Wahl des Thüringer Landtags paritätisch zu besetzen, das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl nach Art. 46 Abs. 1 ThürVerf sowie das Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und die Chancengleichheit der Parteien nach Art. 21 Abs. 1 GG als in das Landesverfassungsrecht hineinwirkendes Bundesverfassungsrecht. Diese Rechte erstreckten sich auch auf wahlvorbereitende Akte wie die Aufstellung von Listenkandidaten.

Auf Grund des für nichtig erklärten Gesetzes wären die Wählerinnen und Wähler nicht mehr frei gewesen, durch Wahl einer anders besetzten Liste die Zusammensetzung des Landtags zu beeinflussen. Die Mitglieder der Parteien hätten nicht mehr die Freiheit, Kandidaten für Landeslisten unabhängig von deren Geschlecht zu wählen und sich selbst für jeden Listenplatz zu bewerben. Erhielte eine Partei, deren Liste teilweise zurückgewiesen wurde, auf Grund dessen weniger Mandate als ihr bei Berücksichtigung der für sie insgesamt abgegebenen Stimmen zustünden, wäre zudem der Erfolgswert dieser Stimmen gemindert.

Die Parteien wären ferner in der Freiheit eingeschränkt, das eigene Personal zu bestimmen und ihr Programm mit einer spezifisch geschlechterbezogenen Besetzung der Listen zu untermauern. Mittelbar könnten den Parteien Nachteile dadurch entstehen, dass sie bei der Besetzung der Listen nicht das ihnen am besten geeignet erscheinende Personal einsetzen könnten.

Diese Eingriffe hätten noch nicht zur Nichtigkeit des Gesetzes geführt, wenn sie durch die Verfassung selbst gerechtfertigt gewesen wären. Dafür aber hätte es zwingender Gründe bedurft, also solcher Gründe, die nicht nur durch die Verfassung legitimiert, sondern auch von einem Gewicht sind, das den beeinträchtigten Rechten die Waage halten kann. Weder das Demokratieprinzip noch die vom BVerfG als erforderlich betrachtete Sicherung der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung weisen ein solches Gewicht auf. Die Abgeordneten des Thüringer Landtags repräsentierten das Wahlvolk grundsätzlich in dessen Gesamtheit, nicht als Einzelne. Hingegen ziele die Sicherung der Wahl als Integrationsvorgang auf die Integration politischer Kräfte, jedoch nicht auf eine Integration von Frauen und Männern als Geschlechtergruppen.

Die über Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG inhaltlich hinausreichende Verpflichtung zur Gleichstellung von Frauen und Männern nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ThürVerf vermag zwar grundsätzlich auch Beeinträchtigungen der Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie der Chancengleichheit politischer Parteien zu rechtfertigen und stehe auf derselben Rangstufe wie Art. 46 Abs. 1 ThürVerf und Art. 21 Abs. 1 GG als Teil des Landesverfassungsrechts. Gleichwohl könne Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ThürVerf die Einführung einer Pflicht zur paritätischen Besetzung der Landeslisten nicht rechtfertigen. Der Entstehungsgeschichte, namentlich den Beratungen im Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss einschließlich der Abstimmung über dort gestellte Anträge, lasse sich entnehmen, dass der Verfassungsgeber Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ThürVerf nicht als Rechtfertigung einer solchen Pflicht verstanden wissen wollte. Der VerfGH Weimar darf (im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz) der Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ThürVerf keinen Bedeutungsgehalt beilegen, der nur im Wege einer förmlichen Verfassungsänderung nach Art. 83 ThürVerf in die Verfassung des Freistaats Thüringen eingeführt werden könnte.