Der Europäische Gerichtshof hat am 16.07.2020 zu den Aktenzeichen C-517/17 zu entscheiden, welche Folgen es für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung einer Asylbehörde hat, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz mit der Begründung als unzulässig abgelehnt wurde, dass der Antragsteller bereits in einem anderen Mitgliedstaat als Flüchtling anerkannt wurde, wenn diese Ablehnung ohne vorherige Anhörung des Antragstellers erfolgt ist.
Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 16.07.2020 ergibt sich:
Im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn A. (nach eigenen Angaben Staatsangehöriger Eritreas) und der Bundesrepublik Deutschland über die Rechtmäßigkeit eines Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, mit dem ihm die Gewährung von Asyl ohne vorherige persönliche Anhörung verweigert wurde, ersucht das deutsche BVerwG den EuGH um Auslegung der Verfahrensrichtlinie 2013/32. Nach dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten, wenn bereits ein anderer Mitgliedstaat diesen Schutz gewährt hat. Bevor die Asylbehörde eine solche Entscheidung trifft, muss sie jedoch dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung geben. Das BVerwG hält es für klärungsbedürftig, welche Folgen eine unterbliebene Anhörung für die Rechtmäßigkeit einer solchen Unzulässigkeitsentscheidung hat, wenn der Antragsteller im Rechtsbehelfsverfahren Gelegenheit habe, alle gegen die Unzulässigkeitsentscheidung sprechenden Umstände vorzubringen und auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens aus Rechtsgründen keine andere Entscheidung in der Sache ergehen könne.
Der EuGH hat dem BVerwG wie folgt geantwortet:
Die Art. 14 und 34 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine Verletzung der Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, vor dem Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Asylbehörde führt, es sei denn, dass diese Regelung es dem Antragsteller ermöglicht, im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens in einer die gemäß Art. 15 der Richtlinie geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien wahrenden Anhörung persönlich alle gegen die Entscheidung sprechenden Umstände vorzutragen, und trotz dieses Vorbringens keine andere Entscheidung ergehen kann.
Nach Auffassung des EuGH soll die persönliche Anhörung zur Zulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz dem Antragsteller nicht nur Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern, ob ihm ein anderer Mitgliedstaat tatsächlich internationalen Schutz zuerkannt hat, sondern vor allem die Möglichkeit geben, sich zu allen Umständen seines spezifischen Falls zu äußern, damit die Asylbehörde ausschließen kann, dass er im Fall einer Überstellung in diesen anderen Mitgliedstaat ernsthaft Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt zu werden. Die in der Verfahrensrichtlinie vorgesehene persönliche Anhörung zur Zulässigkeit des Antrags sei von grundlegender Bedeutung.
Wenn die Asylbehörde keine Anhörung in erster Instanz durchführe, sei die Gewährleistung der Wirksamkeit des Rechts auf Anhörung in der späteren Phase des Verfahrens nur möglich, wenn eine solche Anhörung vor dem mit einem Rechtsbehelf gegen die von der Asylbehörde erlassene Unzulässigkeitsentscheidung befassten Gericht und unter Einhaltung aller in der Verfahrensrichtlinie festgelegten Bedingungen durchgeführt werde.
Im vorliegenden Fall gehe aus Klarstellungen des BVerwG hervor, dass das deutsche Recht im Fall einer Verletzung der Pflicht, dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung im erstinstanzlichen Verfahren vor der Asylbehörde zu geben, das Recht des Antragstellers auf eine persönliche Anhörung im Rechtsbehelfsverfahren nicht durchweg sicherstelle. Außerdem könne zwar durch unionsrechtskonforme Auslegung und Anwendung der nationalen Bestimmungen die Anhörung eines jeden Antragstellers sichergestellt werden, doch könnten aufgrund der nationalen Vorschriften für das gerichtliche Verfahren bei einer Anhörung vor dem mit dem Rechtsbehelf befassten Gericht nicht alle von der Verfahrensrichtlinie für die persönliche Anhörung vorgeschriebenen Bedingungen garantiert werden.
Letztlich habe das BVerwG zu prüfen, ob Herrn A. unter uneingeschränkter Beachtung der für das Ausgangsverfahren geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung gegeben wurde oder noch gegeben werden könne, damit er sich persönlich in einer Sprache, die er beherrsche, zu der Anwendung des in Rede stehenden Unzulässigkeitsgrundes in seinem persönlichen Fall äußern könne. Sollte das BVerwG zu der Auffassung gelangen, dass ihm diese Möglichkeit im Rechtsbehelfsverfahren nicht garantiert werden könne, werde es die Unzulässigkeitsentscheidung aufzuheben und die Sache an die Asylbehörde zurückzuverweisen haben.