Der Europäische Gerichtshof hat am 09.07.2020 zum Aktenzeichen C-272/19 entschieden, dass Personen, die beim Petitionsausschuss eine Petition eingereicht haben, grundsätzlich über ein Auskunftsrecht in Bezug auf die sie betreffenden personenbezogenen Daten verfügen.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 85/2020 vom 09.07.2020 ergibt sich:
Ein Bürger, der eine Petition beim Petitionsausschuss des Parlaments des Landes Hessen (im Folgenden: Hessischer Landtag) eingereicht hatte, begehrte von diesem Ausschuss Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten, die dieser im Rahmen der Behandlung seiner Petition gespeichert hatte. Diesen Antrag stützte er auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO, Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG, ABl. 2016, L 119, 1), die das Recht der betroffenen Person vorsieht, von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen Auskunft über die sie betreffenden personenbezogenen Daten zu erhalten. Der Präsident des Hessischen Landtags lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass das Petitionsverfahren eine parlamentarische Aufgabe sei und dass das Parlament nicht der DSGVO unterliege.
Das von diesem Bürger angerufene VG Wiesbaden ist der Auffassung, dass das deutsche Recht im Rahmen einer Petition wie der in Rede stehenden kein Recht auf Auskunft über die personenbezogenen Daten vorsehe. Da es jedoch meint, dass sich ein solches Auskunftsrecht aus der DSGVO ergeben könnte, hat das Verwaltungsgericht den EuGH zu diesem Punkt befragt. Da es außerdem Zweifel an seiner eigenen Unabhängigkeit und somit an seiner Eigenschaft als Gericht hat, das zur Vorlage an den EuGH berechtigt ist, hat das Verwaltungsgericht den EuGH auch zu diesem Aspekt befragt.
Der EuGH hat entschieden, dass der Petitionsausschuss eines Gliedstaats eines Mitgliedstaats insoweit, als dieser Ausschuss allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung entscheidet, als „Verantwortlicher“ im Sinne der DSGVO einzustufen ist.
Nach Auffassung des EuGH unterliegt die von einem solchen Ausschuss vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten daher dieser Verordnung, unter anderem der Bestimmung, die den betroffenen Personen ein Recht auf Auskunft über die sie betreffenden personenbezogenen Daten verleiht.
Die Tätigkeiten des Petitionsausschusses des Hessischen Landtags fielen nicht unter eine in dieser Verordnung vorgesehene Ausnahme. Diese Tätigkeiten seien behördlicher Art und spezifische dieses Landes, da dieser Ausschuss mittelbar zur parlamentarischen Tätigkeit beitrage. Diese Tätigkeiten seien aber auch politischer und administrativer Natur. Zudem gehe aus den Akten, die dem EuGH vorliegen, in keiner Weise hervor, dass diese Tätigkeiten im vorliegenden Fall unter eine der in dieser Verordnung vorgesehenen Ausnahmen fallen.
Die vom Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel in Bezug auf seine eigene Unabhängigkeit von der Legislative und der Exekutive prüft der EuGH unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens. Diese Zweifel beruhen darauf, dass erstens die Richter vom Justizministerium ernannt und befördert würden, sich zweitens die Beurteilung der Richter durch das Justizministerium nach denselben Bestimmungen richte, die für Beamte gälten, drittens die personenbezogenen Daten und die dienstlichen Kontaktdaten der Richter vom Justizministerium verwaltet würden, das damit Zugriff auf diese Daten habe, viertens Beamte zur Deckung eines vorübergehenden Personalbedarfs als Richter auf Zeit ernannt werden dürften und fünftens das Justizministerium die externe und die interne Organisation der Gerichte vorgebe, die Personalzuweisung, die Kommunikationsmittel und die EDV-Ausstattung der Gerichte bestimme und auch über Auslandsdienstreisen der Richter entscheide.
Unter Heranziehung seiner Rechtsprechung zum Begriff „Gericht“ im Sinne des Unionsrechts und insbesondere zur Unabhängigkeit, die erforderlich sei, um als solches angesehen zu werden, stellt der EuGH fest, dass die Gesichtspunkte, die das VG Wiesbaden zur Begründung seiner Zweifel darlegt, für sich genommen nicht ausreichten, um zu dem Schluss zu gelangen, dass dieses Gericht nicht unabhängig sei.
Der EuGH weist insbesondere darauf hin, dass der bloße Umstand, dass die Legislative oder die Exekutive im Verfahren der Ernennung eines Richters tätig werden, nicht geeignet sei, eine Abhängigkeit dieses Richters ihnen gegenüber zu schaffen oder Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen zu lassen, wenn der Betroffene nach seiner Ernennung keinerlei Druck ausgesetzt sei und bei der Ausübung seines Amtes keinen Weisungen unterliege.