Auskunftsanspruch gegen YouTube bei widerrechtlich hochgeladenen Filmen

11. Juli 2020 -

Der Europäische Gerichtshof hat am 09.07.2020 zum Aktenzeichen C-264/19 entschieden, dass bei illegalem Hochladen eines Films auf eine Online-Plattform wie YouTube der Rechtsinhaber nach der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vom Betreiber nur die Postanschrift des betreffenden Nutzers verlangen kann, nicht aber dessen E-Mail-Adresse, IP-Adresse oder Telefonnummer.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 88/2020 vom 09.07.2020 ergibt sich:

In den Jahren 2013 und 2014 wurden die Filme Parker und Scary Movie 5 ohne die Zustimmung von Constantin Film Verleih, der Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an diesen Werken in Deutschland, auf die Videoplattform YouTube hochladen. Dort wurden sie mehrere zehntausend Male angeschaut. Constantin Film Verleih verlangte daher von YouTube und von Google, der Muttergesellschaft von YouTube, bei der sich die Nutzer zuvor mit einem Benutzerkonto registrieren müssen, ihr eine Reihe von Auskünften über jeden der Nutzer, die die Filme hochgeladen hatten, zu erteilen. Diese beiden Unternehmen weigerten sich, Constantin Film Verleih Auskünfte zu diesen Nutzern, insbesondere deren E-Mail-Adressen und Telefonnummern sowie die IP-Adressen, die von ihnen sowohl zum Zeitpunkt des Uploads der betreffenden Dateien als auch zum Zeitpunkt des letzten Zugangs zu ihrem Google/YouTube-Konto verwendet wurden, zu erteilen. Der Ausgangsrechtsstreit hing von der Beantwortung der Frage ab, ob solche Auskünfte unter den Begriff „Adressen“ im Sinne der Richtlinie 2004/48 fallen. Nach dieser Richtlinie können die Gerichte anordnen, dass Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren oder Dienstleistungen, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, erteilt werden. Zu diesen Informationen gehören u.a. die „Adressen“ der Hersteller, Vertreiber und Lieferer der rechtsverletzenden Waren oder Dienstleistungen.

Der EuGH hat entschieden, dass die Richtlinie 2004/48 (Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der RL 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. 2004, L 157, 45, berichtigt im ABl. 2004, L 195, 16) die Gerichte nicht verpflichtet, im Zusammenhang mit dem Hochladen eines Films auf eine Online-Videoplattform ohne Zustimmung des Inhabers des Urheberrechts gegenüber dem Betreiber der Videoplattform anzuordnen, die E-Mail-Adresse, die IP-Adresse oder die Telefonnummer des Nutzers bekannt zu geben, der den streitigen Film hochgeladen hat. Die Richtlinie, die die Bekanntgabe der „Adressen“ der Personen vorsieht, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzt haben, bezieht sich ausschließlich auf die Postanschrift.

Der EuGH hat erstens festgestellt, dass der gewöhnliche Sinn des Begriffs „Adresse“ nur die Postanschrift erfasst, d. h. den Wohnsitz oder den Aufenthaltsort einer bestimmten Person. Daraus folge, dass sich dieser Begriff, wenn er wie in der RL 2004/48 ohne weitere Präzisierung verwendet werde, nicht auf die E-Mail-Adresse, die Telefonnummer oder die IP-Adresse bezieht. Zweitens seien den Vorarbeiten (Vorschlag für eine Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum vom 30.01.2003, Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 29.10.2003, ABl. 2004, C 32, 15, und Bericht des Europäischen Parlaments vom 05.12.2003) zum Erlass der RL 2004/48 keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die darauf hindeuten würden, dass der Begriff „Adresse“ dahin zu verstehen wäre, dass er nicht nur die Postanschrift, sondern auch die E-Mail-Adresse, die Telefonnummer oder die IP-Adresse der betroffenen Personen erfasse. Drittens ergebe die Prüfung anderer Unionsrechtsakte betreffend die E-Mail-Adresse oder die IP-Adresse, dass keiner dieser Rechtsakte den Begriff „Adresse“ – ohne weitere Präzisierung – zur Bezeichnung der Telefonnummer, der IP-Adresse oder der E-Mail-Adresse verwende.

Diese Auslegung steht nach Ansicht des EuGH im Einklang mit dem Ziel, das mit der das Auskunftsrecht betreffenden Bestimmung der RL 2004/48 verfolgt werde. Angesichts der Mindestharmonisierung in Bezug auf die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im Allgemeinen sei diese Harmonisierung nach dieser Bestimmung nämlich auf klar umschriebene Auskünfte beschränkt. Außerdem solle mit dieser Bestimmung die Beachtung verschiedener Rechte, u.a. des Rechts der Rechtsinhaber auf Auskunft und des Rechts der Nutzer auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten, miteinander in Einklang gebracht werden.

Unter diesen Umständen ist der EuGH zu dem Schluss gelangt, dass der Begriff „Adressen“ in der RL 2004/48 sich, was einen Nutzer anbelangt, der ein Recht des geistigen Eigentums verletzende Dateien hochgeladen habe, nicht auf die E-Mail-Adresse und Telefonnummer dieses Nutzers sowie die für das Hochladen dieser Dateien genutzte IP-Adresse oder die bei seinem letzten Zugriff auf das Benutzerkonto verwendete IP-Adresse beziehe.

Der EuGH hat jedoch klargestellt, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, den Inhabern von Rechten des geistigen Eigentums einen weiter gehenden Auskunftsanspruch einzuräumen, allerdings unter dem Vorbehalt, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen betroffenen Grundrechten gewährleistet sei, sowie der Beachtung der anderen allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wie etwa des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.