Das Oberlandesgericht Koblenz hat am 08.07.2020 zum Aktenzeichen 10 U 1133/16 entschieden, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (MDK) den Anstellungsvertrag seines langjährigen Geschäftsführers mit außerordentlicher fristloser Kündigung vom 16.10.2013 wirksam beendet hat.
Aus der Pressemitteilung des OLG Koblenz vom 08.07.2020 ergibt sich:
Der Kläger war seit Oktober 1998 als Geschäftsführer des Beklagten tätig; zunächst kommissarisch und seit dem 13.06.2000 kraft Bestellung. Im Jahre 2013 wurden gegen den Kläger anonym Vorwürfe erhoben, die zu einer Sonderprüfung führten. Deren Ergebnis gab dem Beklagten Anlass, den Anstellungsvertrag am 16.10.2013 außerordentlich fristlos zu kündigen. Über die hierbei geltend gemachten Kündigungsgründe hinaus schob der Beklagte im Oktober 2015 und im April 2016 weitere Kündigungsgründe nach und stützte hierauf jeweils eine erneute außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages. Mit seiner im Jahre 2013 erhobenen Klage hat der Kläger festgestellt wissen wollen, dass sein Anstellungsverhältnis bei dem Beklagten nicht durch die außerordentlichen Kündigungen beendet wurde und hat darüber hinaus Ansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis geltend gemacht (weitere Gehaltszahlungen; Überlassung eines Dienstwagens und Dienstsmartphones).
Das LG Mainz hatte der Klage mit Urteil vom 12.08.2016 im Wesentlichen stattgegeben und insbesondere die Unwirksamkeit der drei Kündigungen – teils aus formalen Gründen, teils weil ein Grund für die außerordentliche Kündigung nicht vorliege – festgestellt. Gegen das Urteil hatten Kläger und Beklagter, soweit sie jeweils unterlegen waren, Rechtsmittel eingelegt.
Das OLG Koblenz hat entschieden, dass der Anstellungsvertrag des Klägers beendet wurde.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die außerordentliche fristlose Kündigung vom 16.10.2013 wirksam. Sie sei sowohl innerhalb der einzuhaltenden zweiwöchigen Kündigungsfrist erfolgt wie auch die von dem Beklagten geltend gemachten Kündigungsgründe überwiegend berechtigt seien und zumindest bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls die außerordentliche Beendigung des Anstellungsverhältnisses rechtfertigten. Der Beklagte habe auch Kündigungsgründe, wie im Oktober 2015 und im April 2016 geschehen, nachschieben dürfen.
Maßgeblich für den Beginn der Kündigungsfrist sei der Zeitpunkt, in dem der Verwaltungsrat als das zum Ausspruch der Kündigung berechtigte Organ in seiner Gesamtheit Kenntnis von den Kündigungsgründen erlangt gehabt habe. Dies sei erst in der Sitzung am 16.10.2013 der Fall gewesen, womit die am selben Tag ausgesprochene außerordentliche Kündigung fristgerecht erfolgt sei. Die Kenntniserlangung des Verwaltungsrates sei auch nicht verzögert worden. Soweit im Vorfeld der Kündigung eine Sonderprüfung durchgeführt und hierbei ein „vorläufiger Zwischensachstandsbericht“ vorgelegt worden sei, habe dies keinen Einfluss auf den Beginn der Kündigungsfrist gehabt. Denn der Kündigungsberechtigte dürfe bei einem Verdacht zunächst Ermittlungen anstellen, die allerdings mit der gebotenen Eile durchzuführen seien. Erst wenn der zur Kündigung Berechtigte durch die Ermittlungen eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt und den erforderlichen Beweismitteln habe, wenn also die Ermittlungen abgeschlossen seien, beginne die Kündigungsfrist zu laufen. Der Verwaltungsrat sei auch ohne unangemessene Verzögerung einberufen und über das Ermittlungsergebnis informiert worden.
Der Beklagte habe seine Kündigung auch auf Gründe gestützt, die zumindest bei einer Gesamtabwägung aller Umstände des konkreten Falles die außerordentliche Kündigung rechtfertigten. Maßgeblich seien insoweit folgende verhaltensbedingte Kündigungsgründe:
• Erwerb von 50 Exemplaren eines vom Kläger als Co-Autor verfassten Buches über das Gleitschirmfliegen („Unterwegs mit dem Gleitschirm“) mit Mitteln des Beklagten. Hierdurch habe der Kläger, auch wenn es sich bei den entstandenen Kosten von 930 Euro um einen relativ geringen Betrag handele, gegen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstoßen.
• Vergaberechtswidrige Beschaffung eines Allradschleppers im Jahre 2013 zu einem Bruttopreis von 37.458 Euro. Neben dem Verstoß gegen den Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung seien auch insoweit die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verletzt worden.
• Drohäußerung des Klägers gegenüber dem stellvertretenden Geschäftsführer des Beklagten, dass er denjenigen umbringen werde, der ihm „seinen“ MDK wegnehme, und dass er bereit sei, dafür ins Gefängnis zu gehen. Die Äußerung sei geeignet, das Vertrauensverhältnis zum Beklagten nachhaltig zu stören.
Bei der gebotenen Gesamtwägung ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts über die genannten Kündigungsgründe hinaus zu berücksichtigen, dass den Kläger weitere Verstöße gegen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit träfen, indem während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer
• ihm selbst ab 01.01.2012 eine – ursprünglich vor dem Hintergrund einer Vertretungssituation bewilligte – Gehaltszulage in Höhe von 10% des Grundgehalts dauerhaft gewährt wurde, und
• den beiden alternierenden Verwaltungsratsvorsitzenden jeweils ein neues Notebook (Stückpreis 1.550 Euro) und ein neuwertiges Smartphone (monatlicher Grundpreis incl. Anschaffung und Flatrate je 74,39 Euro) zur uneingeschränkten – also auch zur privaten – Nutzung auf Kosten des Beklagten überlassen wurden.
Der Verstoß gegen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ziehe sich „wie ein roter Faden“ durch die Tätigkeit des Klägers. Ferner sei in die Gesamtabwägung einzustellen, dass in kollusivem Zusammenwirken des Klägers und der damaligen alternierenden Verwaltungsratsvorsitzenden zu Lasten des Beklagten wiederholt Änderungen im Anstellungsvertrag des Klägers vorgenommen worden seien, wobei es unter anderem darum gegangen sei, Kündigungsmöglichkeiten des Beklagten zu erschweren bzw. auszuschließen.
Die Kündigung erweise sich nach alledem in der Gesamtabwägung als gerechtfertigt. Korrespondierend hiermit stünden dem Kläger die geltend gemachten weiteren Ansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis (weitere Gehaltszahlungen; Überlassung eines Dienstwagens und Dienstsmartphones) nicht zu. Im Gegenteil: Auf die Widerklage des Beklagten hat das Oberlandesgericht den Kläger verurteilt, zu viel gezahltes Gehalt in Höhe von 4.235,54 Euro zurückzuzahlen, sowie das sich noch immer in seinem Besitz befindliche Dienstfahrzeug und Dienstsmartphone herauszugeben.