Das Oberlandesgericht Köln hat am 09.06.2020 zum Aktenzeichen III-1 RVs 77/20 entschieden, dass § 130 StGB, mit dem Volksverhetzung unter Strafe gestellt wird, auch bei der pauschalen Verunglimpfung von Frauen eingreift.
Aus der Pressemitteilung des OLG Köln Nr. 30/2020 vom 15.06.2020 ergibt sich:
Zwar sei der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift der Schutz von Minderheiten, das Gesetz erfasse aber nach Wortlaut, Sinn und Zweck auch Angriffe auf die Menschenwürde von Frauen, so das Oberlandesgericht.
Der Angeklagte hatte auf einer von ihm betriebenen Homepage im Internet in zahlreichen Beiträgen Frauen u.a. als „Menschen zweiter Klasse“, „minderwertige Menschen“ und „den Tieren näherstehend“ bezeichnet.
Das AG Bonn hatte ihn daher zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hatte das LG Bonn diesen aus Rechtsgründen freigesprochen. Es hatte die Auffassung vertreten, dass § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur Gruppen schütze, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung oder ihre sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, ihren Beruf oder ihre soziale Funktion erkennbar seien. Eine geschlechtsspezifische Bestimmung nehme die Norm dagegen nicht vor. Die Gesetzgebungsgeschichte zeige, dass der allgemeine Geschlechterschutz von der Norm gerade nicht beabsichtigt sei.
Das OLG Köln hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft den Freispruch aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG Bonn zurückverwiesen. Eine Strafe konnte das OLG Köln als Revisionsgericht aus Rechtsgründen nicht verhängen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts zählen zu den von § 130 StGB geschützten „Teilen der Bevölkerung“ auch Frauen. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Gesetzes, der Auslegungshistorie, der Systematik und aus dem Zweck der Vorschrift.
Zwar werde in der juristischen Fachliteratur vereinzelt argumentiert, dass die Vorschrift nur dem Minderheitenschutz dienen solle, und aus diesem Grund die Vorschrift für Frauen als statistische Mehrheit der Bevölkerung nicht anwendbar sei. Dafür könne als Argument ins Feld geführt werden, dass Angehörige der Mehrheitsbevölkerung von Anderen nichts zu befürchten hätten, weil ihnen alleine die zahlenmäßige Überlegenheit genügend Schutz biete. Eine solche Konzeption finde aber im Gesetzeswortlaut keinen Ausdruck. Im Übrigen könne die Rechtsanwendung kaum von Zufälligkeiten der (möglicherweise wechselnden) Majoritätenbildung abhängig gemacht werden. Auch zeige die Historie der Vorschrift eine Entwicklung zu einem umfassenden „Anti-Diskriminierungstatbestand“ auf. Der in den Schutzbereich einbezogene Teil der Bevölkerung sei keineswegs anhand der ausdrücklich erwähnten Merkmale beschränkt. Zwar möge der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift in der Praxis nach wie vor im Bereich rechtsradikaler Hetze gegen Minderheiten liegen. Unter die Vorschrift fielen aber auch diskriminierende Äußerungen gegen Frauen.
Da der Angeklagte mit seinen Äußerungen Frauen unter Missachtung des Gleichheitssatzes als unterwertig dargestellt und ihre Menschenwürde angegriffen habe, sei davon auszugehen, dass er den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt habe.