Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 16.12.2019 zum Aktenzeichen 3 Sa 132/19 entschieden, dass eine Ausbildungsbewerberin einen Anspruch auf Entschädigung wegen Diskriminierung im Zusammenhang mit dem Tragen eines Kopftuches hat.
Mit Datum vom 30.05.2018 hat die beklagte Steuerberatungsgesellschaft eine Stellenanzeige für einen Ausbildungsplatz als Kauffrau für Büromanagement in der N.B. Zeitung inseriert. Am 04.06.2018 hat sich die Klägerin auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle beworben. Sie hat ein Lichtbild beigefügt. Auf diesem Lichtbild trägt die Klägerin, die muslimischen Glaubens ist, ein Kopftuch. Der Geschäftsführer der Beklagten schrieb der Klägerin am 15.06.2018 als Antwort auf ihre Bewerbung:
„Ich gehe davon aus, dass Ihre Bewerbung wohl nicht ganz ernst gemeint war und Sie wohl nur ein Alibischreiben für ALG II verfasst haben.
Mein Tipp für die Zukunft: Sollten Sie wirklich mal eine ernstzunehmende Bewerbung schreiben wollen, verzichten Sie auf Ihren „Kopfschmuck“.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von € 1.500,00.
Das kurze Absageschreiben lässt deutlich erkennen, dass Grund für die Annahme der Beklagten, die Bewerbung sei nicht ernstlich erfolgt, maßgeblich zumindest auch die Vorlage eines Bewerbungsfotos war, auf welchem die Klägerin mit dem im Islam getragenen Kopftuch abgebildet war. Diesen Hinweis gibt die Beklagte selbst im zweiten Satz ihres Ablehnungsschreibens durch die Verwendung des Begriffs „Kopfschmuck“.
Im vorliegenden Fall gilt, dass die zumindest auch durch das religiös motivierte Tragen eines Kopftuches verursachte Absage durch das Absageschreiben deutlich indiziert ist, auch wenn das Kopftuch nicht als Grund für die Absage benannt wird sondern nur Gegenstand eines „Ratschlags“ für künftige Bewerbungen ist.
Eine derartige Mitursächlichkeit wird auch nicht durch den nachträglich ergänzten Vortrag zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Mitbewerberin ausgeräumt. In zeitlicher Hinsicht konkret wird lediglich der Zeitpunkt des schriftlich geschlossenen Vertrags mit dem 12.06.2018 in den Prozess eingeführt. Dies ist angesichts des Zeitpunkts der Bewerbung der Klägerin nicht geeignet, jegliche Mitursächlichkeit auszuschließen (Bewerbungsschreiben vom 04.06.2018). Angesichts der zumindest deutlich indizierten (Mit-)Ursächlichkeit hätte die Beklagte hier den Vollbeweis führen müssen, aus dem sich hätte ergeben können, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist dem Begriff der Religion eine weite Bedeutung beizulegen und darunter auch die Freiheit der Personen zu verstehen, ihre Religion zu bekennen, so dass sowohl dass „forum internum“, das heiß der Umstand, Überzeugungen zu haben, geschützt ist, als auch das „forum externum“, das heißt die Bekundung des religiösen Glaubens in der Öffentlichkeit umfasst ist (EuGH G4S Secure Solutions Urteil vom 14.03.2017 C157/15, juris, Rz. 28). Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27.01.2015 sind religiöse Bekundungen geschützt, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Die Muslime, die ein in der für ihren Glauben typischen Weise gebundenes Kopftuch tragen, können sich dafür auch bei der Ausübung ihres Berufs, ebenso wie für das Tragen einer sonstigen Bekleidung, durch die Haare und Hals nachvollziehbar aus religiösen Gründen bedeckt werden, auf den Schutz der Glaubens und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen (vgl. BVerfG 27.01.2001 1 BvR 1181/10 Rn. 87, juris). Zur Glaubensfreiheit gehört gerade auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze. Die religiöse Fundierung der Bekleidungswahl ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch mit Rücksicht auf die im Islam vertretenden unterschiedlichen Auffassungen zum sogenannten Bedeckungsgebot nach geistigem Gehalt und äußerer Entscheidung hinreichend plausibel. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der genaue Inhalt der Bekleidungsvorschriften für Frauen unter islamischen Gelehrten durchaus umstritten ist. Es kommt nicht darauf an, dass andere Richtungen des Islams ein als verpflichtend geltendes Bedeckungsgebot für Frauen nicht kennen, solange die Klägerin nachvollziehbar das Tragen der Kopfbedeckung als unbedingte religiöse Pflicht und als einen elementaren Bestandteil einer am Islam orientierten Lebensweise betrachtet, wie dies in verschiedenen Richtungen des Islam verbreitet ist.
Hierauf hat die Beklagte in ihrem Absageschreiben eindeutig Bezug genommen, indem sie die Kopfbedeckung mit dem im Absageschreiben in Anführungszeichen gekennzeichnetem Wort „Kopfschmuck“ aufgegriffen hat. Die Klägerin hat auch eine Benachteiligung erfahren, indem ihr eine andere Bewerberin vorgezogen wurde.
Im vorliegenden Fall war zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin eine Benachteiligung wegen der Ausübung ihrer Religionsfreiheit erlitten hat, indem sie eine Absage auf ihre Bewerbung erhielt. Hinsichtlich des Beweggrundes kann der Beklagten entgegen ihrer Auffassung nicht die Absicht eines „väterlichen“ oder „freundschaftlichen“ Rats zu Gute gehalten werden, da die Beklagte mit ihrem im Verfahren erneut vorgebrachten Einwand zu erkennen gegeben hat, dass sie weiterhin die Einwände gegen das aus religiösen Gründen getragene Kopftuch aufrecht erhält und diese bekräftigt. Die Form der Absage durch Verwendung einer ironischen Bezeichnung für das aus religiösen Gründen getragene Kopftuch mit dem in Anführungszeichen gesetzten Wort „Kopfschmuck“ ist ebenfalls zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen. Auf das Argument, die Klägerin wäre auch diskriminierungsfrei nicht eingestellt worden, kann sich die Beklagte bereits wegen ihres Vertragsangebots aus dem Gütetermin nicht berufen. Unter Berücksichtigung der oben näher ausgeführten Tatsachen, insbesondere, dass die Klägerin weitergehende Folgen nicht beweisen konnte, hält die Kammer die zugesprochenen 2,4 Monatsverdienste für angemessen aber auch für ausreichend um den Funktionen der Genugtuung und der Sanktion, die oben beschrieben worden sind, nach § 15 Abs. 2 AGG Genüge zu tun. Maßgeblicher Berechnungsfaktor ist dabei nicht der von der Klägerseite vorgetragene branchenunabhängige Wert der erzielbaren Ausbildungsvergütung, dessen Richtigkeit dahinstehen kann. Die Kammer ist von dem tatsächlich im angestrebten Ausbildungsverhältnis erzielbaren Entgelt ausgegangen, welches vom Beklagten bei dem erfolgten Abschluss eines Ausbildungsvertrags zugrunde gelegt wurde und das den Anforderungen nach § 17 Abs. 1 BBiG nach der Einschätzung der Kammer genügt.