Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 09.01.2020 zum Aktenzeichen V ZB 98/19 entschieden, dass Abgeordnete keinen grundsätzlichen Anspruch auf Einsicht in das Grundbuch aufgrund Ihrer Abgeordnetenstellung haben.
Die Antragstellerin, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, beantragte bei dem Präsidenten des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg unter Berufung auf Art. 45 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung von Berlin (Verf BE) Einsicht in alle bei dem Amtsgericht geführten Grundbücher, in denen Grundstücke verzeichnet sind, die im Eigentum der D. oder eines ihrer in einer gesonderten Liste aufgeführten Tochterunternehmen stehen.
Das Grundbuchamt hat den ihm von der Justizverwaltung weitergeleiteten Antrag zurückgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin „Widerspruch“ eingelegt und ergänzend ausgeführt, die Immobilienbestände der D. und ihrer Tochtergesellschaften seien Gegenstand der Volksinitiative „D. enteignen“. Eine substantiierte Teilnahme an der damit verbundenen Debatte und eine effektive parlamentarische Kontrolle der Exekutive seien nur bei genauer Kenntnis über Anzahl und Lage der betroffenen Immobilien möglich. Das Kammergericht hat diesen Rechtsbehelf als Beschwerde ausgelegt und zurückgewiesen. Mit der von dem Kammergericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag auf Einsicht in die Grundbücher weiter.
Einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages oder der Volksvertretung eines Landes steht nicht allein aufgrund seiner Stellung als Abgeordneter ein Anspruch auf Grundbucheinsicht nach § 12 Abs. 1 GBO zu.
Durch das in § 12 GBO geregelte Einsichtsrecht wird die sog. formelle Publizität des Grundbuchs hergestellt, die Grundlage des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs und den damit verbundenen Vermutungs- und Gutglaubensregeln (vgl. §§ 891, 892, 893 und 899a BGB), der sog. materiellen Publizität, ist. Sinn und Zweck des Einsichtsrechts ist es daher in erster Linie, den am Rechtsverkehr mit Grundstücken teilnehmenden Personen, die im Vertrauen auf den Grundbuchinhalt rechtlich erhebliche Handlungen beabsichtigen, die Möglichkeit zu geben, sich Gewissheit über die von dem öffentlichen Glauben erfassten Eintragungsvorgänge zu verschaffen. Ein berechtigtes Interesse an der Einsicht des Grundbuchs ist daher gegeben, wenn der Antragsteller ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse darlegt, das sich im Unterschied zum rechtlichen Interesse nicht auf ein bereits vorhandenes Recht oder konkretes Rechtsverhältnis stützen muss, sondern auch in einem bloß tatsächlichen, etwa einem wirtschaftlichen Interesse bestehen kann.
Ein öffentliches Interesse können unter Umständen auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages oder eines Landesparlaments geltend machen, denen das Grundgesetz eines für die Demokratie (Art. 20 Abs. 1 GG) prägende herausgehobene Stellung als Vertreter des Volkes zuweist (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG). Nach ganz überwiegender Ansicht haben einzelne Abgeordnete allerdings nicht per se ein Recht auf Einsicht in die Grundbücher der Gebietskörperschaft, deren Volksvertretung sie angehören. Nur in Ausnahmefällen, etwa im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften der öffentlichen Hand, wird ein Einsichtsrecht des einzelnen Abgeordneten bzw. Gemeinderatsmitglieds für möglich gehalten. Dies ist im Ergebnis richtig.
Das folgt allerdings entgegen verbreiteter Auffassung nicht daraus, dass die verfassungsrechtliche Stellung als Kontrollorgan der Exekutive nur dem Parlament als Ganzem zukomme, nicht jedoch dem einzelnen Abgeordneten.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Abgeordneteneigenschaft eines Antragstellers im Rahmen von § 12 GBO keine Relevanz hätte. Die Kontrollfunktion der Parlamente gegenüber Regierung und Verwaltung vermag ein öffentliches Interesse an der Grundbucheinsicht zu begründen, dass der einzelne Abgeordnete als berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO geltend machen kann. Dies setzt aber voraus, dass die Grundbucheinsicht der Aufklärung von Missständen oder Fehlverhalten im Bereich der Exekutive dient und nicht lediglich allgemeinen Informationszwecken.
Das Grundbuch und die nach § 12 Abs. 1 Satz 2 GBO, § 46 Abs. 1 GBV von dem Einsichtsrecht umfassten Grundakten enthalten eine Fülle von personenbezogenen Daten aus dem persönlichen, familiären, sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Wenn Dritten Grundbucheinsicht gewährt wird, liegt darin ein Eingriff in das auf diese Daten bezogene, durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte, zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehörende Recht der durch die Grundbucheinsicht Betroffenen in erster Linie des Eigentümers auf informationelle Selbstbestimmung, welches auch auf juristische Personen anwendbar ist. Nicht jedes beliebige Interesse kann demnach die Grundbucheinsicht rechtfertigen. Die Einsichtnahme muss vielmehr für das Informationsanliegen des Antragstellers geeignet und erforderlich und dieses muss von einem solchen Gewicht sein, das der mit der Gewährung der Einsicht verbundene Eingriff in das Grundrecht des Eigentümers auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig erscheint. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht betroffene Eigentümer grundsätzlich vor der Gewährung der Einsicht nicht gehört wird und dass ihm gegen die erteilte Einsicht kein Beschwerderecht zusteht. Stützt ein Abgeordneter sein Einsichtsgesuch auf ein öffentliches Interesse an der in dem Grundbuch enthaltenen bzw. vermuteten Information, wird ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO daher regelmäßig nur anzunehmen sein, wenn ein konkretes Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit in Bezug auf das konkrete Grundstück dargelegt wird, etwa der Verdacht von Missständen oder eines Fehlverhaltens im Verantwortungsbereich der Regierung in Bezug auf das Grundstück bzw. im Zusammenhang mit auf dieses Grundstück bezogenen Grundbucheintragungen.
Hat die Einsichtnahme in das Grundbuch hingegen nicht den Zweck, Regierung und Verwaltung zu kontrollieren, sondern will der Abgeordnete sich lediglich Informationen beschaffen, die er in eine öffentlich geführte Debatte einspeisen oder aus denen er politische Forderungen ableiten möchte, kann dieses Informationsanliegen den mit der Einsicht verbundenen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen nicht rechtfertigen. Zwar ist der Wunsch eines Abgeordneten nach Teilnahme an einer öffentlichen Debatte anzuerkennen, zumal eine solche Debatte durch die Abgeordneten in den parlamentarischen Raum getragen und dort zu politischer Willensbildung verdichtet werden kann. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument ist ein wesentliches Element des demokratischen Parlamentarismus. Dies bedeutet aber nicht, dass an sämtlichen Informationen, die zur politischen Willensbildung beitragen können, ein öffentliches Interesse im Sinne eines berechtigten Interesses nach § 12 GBO besteht. Einem Einsichtsgesuch, mit dem im Rahmen einer allgemeinen Recherche Hintergrundwissen gesammelt werden soll, muss im Hinblick auf das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Geheimhaltungsinteresse des Eigentümers der Erfolg versagt bleiben, da kein Interesse von einem Gewicht erkennbar ist, das den Eingriff in dieses Grundrecht rechtfertigen könnte, und das Merkmal des berechtigten Interesses anderenfalls seine begrenzende Funktion verlöre.
Nach diesen Maßstäben hat die Antragstellerin kein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO an der Einsicht in die Grundbücher, in denen Grundstücke verzeichnet sind, die im Eigentum der D. oder eines ihrer Tochterunternehmen stehen.
Soweit die Antragstellerin ihren Antrag darauf stützt, dass sie die Kenntnis des Grundbuchinhalts für eine effektive Kontrolle der Regierung benötige, ist nicht erkennbar, welches konkrete Regierungshandeln sie beanstandet bzw. überprüfen möchte. Der allgemeine Verweis auf die Kontrollfunktion des Parlaments, an der die Abgeordneten teilhaben, reicht nach dem zuvor Gesagten nicht aus, um ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht zu begründen.
Ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Einsicht in alle die D. und deren Tochtergesellschaften betreffende Grundbücher ergibt sich auch nicht daraus, dass diese Unternehmen neben anderen Gegenstand einer im Land Berlin angestoßenen Volksinitiative (Art. 61 Verf BE) bzw. eines entsprechenden Volksbegehrens (Art. 62, 63 Verf BE) zur Vergesellschaftung größerer Immobilienbestände sind.
Einem hieraus abgeleiteten Interesse der Antragstellerin an der Grundbucheinsicht als Grundlage für die Teilnahme an der öffentlichen Debatte lässt sich allerdings, anders als das Beschwerdegericht meint, die Berechtigung nicht mit der Begründung absprechen, dass ein in erster Linie auf die Vergesellschaftung des Immobilienvermögens eines bestimmten privaten Unternehmens ausgerichtetes Gesetz im Hinblick auf das in Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG enthaltene Verbot des Einzelfallgesetzes „verfassungsrechtlich problematisch“ wäre. Ist das wirtschaftliche oder rechtliche Handeln, für das die Einsichtnahme die Grundlage bereiten soll, wie hier grundsätzlich erlaubt, steht es dem Grundbuchamt nicht zu, dieses inhaltlich zu bewerten, oder aufgrund rechtlicher Bedenken unberücksichtigt zu lassen. Etwas anderes kann allenfalls in Ausnahmefällen gelten, etwa wenn das Einsichtsgesuch ersichtlich missbräuchlich oder das beabsichtigte Handeln offensichtlich rechtswidrig oder verfassungswidrig ist. Bloße (verfassungs-)rechtliche Bedenken reichen hierfür nicht aus.
Allein der Wunsch der Antragstellerin nach einer fundierten Teilnahme an der Debatte über die Volksinitiative bzw. das Volksbegehren zur Vergesellschaftung des Immobilienvermögens der D. und anderen Wohnungsgesellschaften begründet aber kein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Grundbücher, in denen Grundstücke solcher Unternehmen verzeichnet sind.
Ihrem Antrag zufolge beschränkt sich das Informationsanliegen der Antragstellerin darauf, genaue Kenntnis über die Anzahl und Lage der von der Initiative betroffenen Grundstücke zu erhalten, um sich eine eigenständige und von den Informationen der Exekutive unabhängige Meinung zu bilden. Bei diesem Anliegen handelt es sich um ein allgemeines Rechercheinteresse, mit dem lediglich Hintergründe aufgeklärt werden sollen, nämlich welche Grundstücke im Eigentum welches Unternehmens stehen. Ein solches allgemeines Interesse begründet, wie dargelegt, kein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 Abs. 1 GBO.
Soweit die Rechtsbeschwerde erstmals vorbringt, es gehe der Antragstellerin ferner darum, die amtliche Schätzung der sich aus der Verwirklichung des Volksbegehrens ergebenden Kosten auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, kann dahinstehen, ob der Senat dieses Vorbringen überhaupt berücksichtigen kann (vgl. § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 Abs. 1 ZPO). Denn auch hiermit wäre, da der Inhalt des Grundbuchs keine belastbaren Rückschlüsse auf den Wert eines Grundstücks erlaubt, ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO nicht dargelegt. Auch ein etwaiges Interesse, allein anhand der Zahl und der Lage der im Eigentum bestimmter Personen stehenden Grundstücke den Wert dieser Grundstücke und damit die Höhe der im Fall einer Enteignung zu leistenden Entschädigung zu schützen, kann keinen Vorrang vor den Interessen der eingetragenen Eigentümer beanspruchen; denn eine solche Schätzung fiele zwangsläufig so grob aus, dass sie keine zuverlässigen Erkenntnisse lieferte, wäre also ungeeignet, den erstrebten Zweck zu erreichen.
Anders als die Rechtsbeschwerde meint, steht die Antragstellerin als Abgeordnete damit nicht schlechter, als ein Journalist. Denn auch ein Journalist hätte bei einem ansonsten identischen Einsichtsgesuch kein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO und damit keinen Anspruch auf die begehrte Grundbucheinsicht.
Aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Senats über die Grundbucheinsicht durch die Presse folgt nicht, dass Journalisten stets, allein aufgrund ihres Berufsstandes und unabhängig von dem konkreten Rechercheanliegen, einen Anspruch auf Grundbucheinsicht haben. Vielmehr hat das Grundbuchamt auch bei Presseanfragen zu prüfen, ob sich der mit der Grundbucheinsicht verbundene Grundrechtseingriff als verhältnismäßig darstellt. Dabei hat das Zugangsinteresse der Presse (nur) Vorrang, wenn es um Fragen geht, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen und wenn die Recherche der Aufbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen Auseinandersetzung dient, da (nur) dann die Interessen des Eigentümers nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden. Mit einem lediglich allgemein gehaltenen Rechercheinteresse, namentlich mit einer noch nicht auf einen konkreten Verdacht bezogenen Hintergrundrecherche, kann auch ein Journalist ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO nicht darlegen.
Aus der Entscheidung des Senats kann insbesondere nicht gefolgert werden, dass einem Journalisten, der über eine Volksinitiative bzw. das Volksbegehren zur Vergesellschaftung größerer Immobilienbestände zu berichten beabsichtigt und zu diesem Zweck recherchiert, Einsicht in sämtliche Grundbücher zu gewähren wäre, in denen Grundstücke verzeichnet sind, die im Eigentum der D. und ihrer Tochtergesellschaften stehen. In dem von dem Senat entschiedenen Fall hatte sich die Antragstellerin, die Herausgeberin eines Nachrichtenmagazins, zur Begründung ihres Antrags auf Einsichtnahme in das Grundbuch und die Grundakten eines im Eigentum eines bekannten Politikers und seiner Ehefrau stehenden Grundstücks auf den Verdacht berufen, den Eheleuten seien für den Erwerb des Grundstücks finanzielle Vergünstigungen durch einen bekannten Unternehmer gewährt worden, und auf eine hierauf aufbauende journalistische Recherche. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die herausgehobene politische Stellung eines der Eigentümer ist der Senat zu dem Schluss gelangt, dass das Interesse der Presse an der Kenntnisnahme des Grundbuchinhalts sich gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Eingetragenen als vorrangig erweist.