Das Verwaltungsgericht Hannover hat mit Beschluss vom 16.04.2020 zum Aktenzeichen 15 B 2147/20 entschieden, dass die Allgemeinverfügung des Landkreises Hildesheim, mit der ein Besuchs- und Betretungsverbot für ambulant betreute Wohngemeinschaften angeordnet wird, voraussichtlich rechtmäßig ist.
Aus der Pressemitteilung des VG Hannover vom 16.04.2020 ergibt sich:
Die Antragstellerin zu 1) lebt in einer sog. „Intensiv-Pflege-WG“. Der Antragsteller zu 2) ist ihr Sohn und gerichtlich bestellter Betreuer. Die Antragsteller wenden sich mit ihrem Antrag gegen die vom Landkreis Hildesheim wegen der Corona-Epidemie am 09.04.2020 erlassene Allgemeinverfügung, mit der ein Besuchs- und Betretungsverbot für ambulant betreute Wohngemeinschaften nach § 2 Abs. 3 des Niedersächsischen Gesetzes über unterstützende Wohnformen (NuWG), für Formen des betreuten Wohnens nach § 2 Abs. 4 NuWG sowie für ambulant betreute Wohngemeinschaften zum Zweck der Intensivpflege, die nicht in den Geltungsbereich des NuWG fallen, angeordnet wird. Sie machen insbesondere geltend, dass das Besuchs- und Betretungsverbot unverhältnismäßig sei. Es sei aufgrund seiner erheblichen Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden nicht geeignet, die Gesundheit der Bewohner der Einrichtung zu erhalten. Zudem gäbe es mildere Mittel. So könnten andere Schutzmaßnahmen, wie beispielsweise das Tragen von Atemschutzmasken, ergriffen werden.
Das VG Hannover hat den Antrag abgelehnt.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Antrag unbegründet. Die Allgemeinverfügung sei jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig. Dem in jeder Hinsicht anzuerkennenden und nachvollziehbaren dringenden Wunsch der Antragsteller nach einem persönlichen Besuchskontakt und den mit dem Besuchsverbot verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffen stünde eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit und des Lebens nicht nur der Antragstellerin zu 1), sondern insbesondere auch der übrigen Bewohner der Einrichtung sowie der Pflegekräfte gegenüber. Bewohner von Pflegeeinrichtungen, bzw. den in der Allgemeinverfügung genannten Wohngemeinschaften, gehörten typischerweise zu einer besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppe. Im vorliegenden Einzelfall komme hinzu, dass sämtliche Bewohner der Einrichtung, in der die Antragstellerin zu 1) wohnhaft ist, tracheotomiert seien. Hierbei handele es sich um einen Luftröhrenschnitt, der dazu führe, dass Viren direkt in die Lunge gelangen könnten. Bei den Betroffenen bestehe somit auch ohne die Corona-Pandemie eine besondere Anfälligkeit für nosokomiale Infektionen. Im Falle einer Erkrankung an Covid-19 ergebe sich aus diesen Vorerkrankungen ein gesteigertes Risiko eines tödlichen Verlaufs.
Da die Bewohner der „Intensiv-Pflege-WG“ in einer Haushaltsgemeinschaft wohnen und auch ein Kontakt zwischen den Bewohnern der Einrichtung und den Pflegern nicht ausgeschlossen werden könne, bestünde die Gefahr, dass eine nicht sofort entdeckte Ansteckung sich unter allen Bewohnern der Einrichtung ausbreite. Die Risiken einer Ansteckung könnten dadurch minimiert werden, dass die Betroffenen möglichst wenig direkten Kontakt zu außenstehenden Personen haben. Für das Verwaltungsgericht seien bei dem derzeit allgemein begrenzten Kenntnisstand zur Pandemie keine milderen Mittel ersichtlich, die zumindest gleichermaßen effektiv wie ein Besuchs- und Betretungsverbot seien. Soweit die Antragsteller unter anderem geltend gemacht haben, dass beispielsweise das Tragen von Atemschutzmasken als mildere Maßnahme in Betracht komme, so wies das Verwaltungsgericht darauf hin, dass derartige Masken ohne Luftfilter nach den bisherigen Erkenntnissen nur begrenzten Schutz bieten. Hinsichtlich weiterer professioneller Schutzkleidung bestehe die Problematik, dass diese derzeit nur in sehr eingeschränktem Umfang zur Verfügung stehe und zudem besonderer Vorsicht und Sorgfalt bei der Nutzung bedürfe. Selbst ein im Vorfeld durchgeführter Coronatest treffe keine Aussage darüber, ob zum Zeitpunkt des Besuchs eine Infektion vorliege, da entsprechend kurzfristige Tests derzeit noch nicht verfügbar seien.
Das Verwaltungsgericht berücksichtigte bei ihrer Entscheidung schließlich auch, dass das Besuchsverbot zeitlich zunächst bis einschließlich zum 18.04.2020 befristet ist und Ausnahmeregelungen, wie etwa den Besuch durch nahestehende Personen von palliativmedizinisch versorgten Bewohnern vorsieht. Durch diese Ausnahmetatbestände werde besonderen Härtefällen Rechnung getragen. Die Befristung der Maßnahme stelle zudem sicher, dass die Allgemeinverfügung unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen der Corona-Pandemie zum Ablauf des 18.04.2020 erneut überprüft werden könne. Hierbei sei insbesondere bei fortschreitender Zeitdauer eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen und zu untersuchen, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden kann, das Besuchs- und Betretungsverbot – gegebenenfalls unter strengen Auflagen – zu lockern bzw. aufzuheben.
Den Beteiligten steht das Rechtsmittel der Beschwerde zum OVG Lüneburg zu.