Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim hat am 26.03.2020 zum Aktenzeichen 1 S 424/20 entschieden, dass die AfD-Fraktion im Reutlinger Gemeinderat nicht dadurch in ihren Rechten verletzt wurde, dass nach der Gemeinderatswahl vom 26.05.2019 der alte Gemeinderat noch Beschlüsse fasste, bevor der neu gewählte Gemeinderat zusammentrat.
Aus der Pressemitteilung des VGH BW Nr. 12/2020 vom 15.04.2020 ergibt sich:
Am 26.05.2019 wurde der Reutlinger Gemeinderat neu gewählt. Er trat in der konstituierenden Sitzung vom 25.07.2019 zusammen. Zwei Tage zuvor, am 23.07.2019, hielt der Gemeinderat in seiner alten, noch keine AfD-Fraktion umfassenden Zusammensetzung eine Sitzung ab. Die Tagesordnung umfasste mehrere Punkte, zu denen der alte Gemeinderat Beschlüsse fasste. Darunter waren die Wahl der Leiterin/des Leiters des Amtes für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde (TOP 5) und der Beschluss eines städtebaulichen Konzepts sowie die Durchführung von Verfahrensschritten (u.a. frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit) für ein Bebauungsplanverfahren und damit im Zusammenhang die Anordnung eines öffentlich-rechtlichen Baulandumlegungsverfahrens (TOP 8 – „Wohnbauflächenoffensive 2025“). Der alte Gemeinderat fasste ferner Beschlüsse über die Aufstellung eines weiteren Bebauungsplans zur Innenentwicklung (TOP 9 – „Neues Leben für die ehemaligen Fabriken Ernst und Gustav Wagner“) und die Durchführung von weiteren Verfahrensschritten in einem dritten und einem vierten Bebauungsplanverfahren (TOP 10 und 11/11.1, jeweils Beschlüsse über die öffentliche Auslegung und die Beteiligung der Öffentlichkeit sowie der Träger öffentlicher Belange).
Die AfD-Fraktion im neuen Gemeinderat hat einen Eilrechtsantrag zum VG Sigmaringen gestellt, mit dem sie sich unter anderem gegen die vom alten Gemeinderat am 23.07.2019 gefassten Beschlüsse wendet. Das Verwaltungsgericht hat den Eilrechtsantrag mit Beschluss vom 23.12.2019 abgelehnt.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der AfD-Fraktion hatte vor dem VGH Mannheim keinen Erfolg.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs vermitteln die Vorschriften in § 30 Abs. 2 GemO den Fraktionen im Gemeinderat keine Rechte gegen den Bürgermeister der Gemeinde. Schützenswerte Rechtspositionen könnten sich allenfalls für das Verhältnis zwischen dem Gesamtgremium Gemeinderat auf der einen und dem Bürgermeister auf der anderen Seite ergeben. Soweit der Gesetzgeber Fraktionen im Gemeinderat eigene Rechtspositionen einräumen wolle, nenne er die Fraktionen ausdrücklich und treffe differenzierte Bestimmungen zu ihren Rechten (z.B. in § 20 Abs. 3, § 24 Abs. 3, § 34 Abs. 1 Satz 4 GemO). In § 30 Abs. 2 GemO würden Fraktionen demgegenüber an keiner Stelle erwähnt. Der Gesetzgeber habe dort stattdessen mehrfach auf den „bisherigen Gemeinderat“ und den „neu gebildeten Gemeinderat“ abgestellt und Regelungen zu deren Verhältnis getroffen.
Der Beschluss ist unanfechtbar.