Das Landesarbeitsgericht Kiel hat mit Beschluss vom 06.02.2020 zum Aktenzeichen 3 SaGa 7 öD/19 entschieden, dass die Freistellung einer ordentlich unkündbaren geschäftsführenden Oberärztin nach einem Chefarztwechsel zur Erzwingung und Durchführung von Verhandlungen über die Aufhebung ihres Vertragsverhältnisses rechtsmissbräuchlich ist.
Aus der Pressemitteilung des LArbG Kiel Nr. 6/2020 vom 08.04.2020 ergibt sich:
Die klagende Fachärztin ist bei der mehrere Kliniken betreibenden Beklagten beschäftigt, zuletzt als geschäftsführende Oberärztin. Sie ist tariflich unkündbar. Ihre Arbeitsverpflichtung umfasst neben der Mitwirkung an der Krankenversorgung auch Lehrverpflichtungen und wissenschaftliche Dienstleistungen. 2018 übernahm ein neuer Chefarzt die Klinik, in der die Klägerin tätig war. Seit dessen Arbeitsantritt kam es u.a. zu Spannungen zwischen den beiden. Als die Ärztin Ende November 2019 nach längerer Arbeitsunfähigkeit wieder zur Arbeit erschien, wurde sie unter Fortzahlung der Vergütung „insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses“ freigestellt. Weiterhin musste sie ihre Mitarbeiterausweise, Zugangsberechtigungen, Laptop, Datenträger, Visitenkarten und Schlüssel abgeben. Ihr Account im System der Arbeitgeberin wurde gelöscht. Die Ärztin verlangte per Einstweiliger Verfügung ihre Beschäftigung als geschäftsführende Oberärztin.
Die Ärztin war beim Arbeitsgericht mit ihrem Eilantrag erfolgreich, sie wurde vorübergehend in einer anderen Klinik eingesetzt, dort aber nicht als geschäftsführende Oberärztin. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts besteht in einem ungekündigten Anstellungsverhältnis grundsätzlich ein Anspruch auf Beschäftigung. Das folge aus dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Nur wenn der Arbeitgeber überwiegende und schutzwerte Interessen vorzuweisen habe, könne der Arbeitnehmer nach einer Abwägung der Interessen beider Seiten unter Umständen auch gegen seinen Willen suspendiert werden. Die Freistellung einer ordentlich unkündbaren geschäftsführenden Oberärztin nach einem Chefarztwechsel zur Erzwingung und Durchführung von Verhandlungen über die Aufhebung ihres Vertragsverhältnisses sei nicht schutzwürdig. Gegen die Entscheidung legte die Arbeitgeberin Berufung ein.
Das LArbG Kiel hat die Berufung zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin einen Anspruch auf Beschäftigung als geschäftsführende Oberärztin, den sie durch einstweilige Verfügung durchsetzen kann. Sie verliere ihre Position nicht dadurch, dass diese an einen vom Chefarzt mitgebrachten Oberarzt vergeben werde. Ein durch den neuen Chefarzt hervorgerufener Teamüberhang oder ein nicht – mehr – passendes Team sei kein schutzwürdiges Interesse für eine Freistellung. Nach der Überzeugung des Gerichts lassen persönliche Animositäten den Beschäftigungsanspruch nicht entfallen. Die Beklagte habe die Klägerin durch die erzwungene Freistellung von einem Tag auf den anderen beruflich ausgeschaltet, ohne dass sich die Klägerin etwas zu Schulden habe kommen lassen. Die Klinik habe die einseitige Freistellung zur Durchsetzung nicht schutzwürdiger Eigeninteressen missbraucht: Kein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer müsse gegen seine Willen Verhandlungen über die Aufhebung und Abwicklung des eigenen Anstellungsvertrages führen.
Der Anspruch der Klägerin sei dringend gewesen. Die Klinik habe sie mit der Freistellung und der damit einhergehenden Trennung von den Systemen und EDV-Zugängen, aber auch mit den Veränderungen auf der Homepage für Dritte „unsichtbar“ gemacht. Sie sei sowohl für die Krankenversorgung als auch für die Wissenschaft und die Forschung auf Veranlassung der Beklagten nicht mehr existent. Dem habe mit einer Eilentscheidung Einhalt geboten werden müssen.