Das Oberlandesgericht Celle hat mit Urteil vom 04.03.2020 zum Aktenzeichen 14 U 182/19 entschieden, dass ein Autofahrer seine Geschwindigkeit bei Dunkelheit und erkennbarem Gegenverkehr auf schmalen Straßen den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen anpassen muss und daher bei einem Zusammenstoß mit einem überbreiten Traktor auch dann haften kann, wenn er die erlaubte Geschwindigkeit nur geringfügig überschritten hat.
Aus der Pressemitteilung des OLG Celle Nr. 18/2020 vom 05.03.2020 ergibt sich:
Im September 2017 ereignete sich bei Dunkelheit auf einer 4,95 m breiten Gemeindestraße ohne Fahrbahnmarkierungen ein Verkehrsunfall zwischen einem etwa 75 bis 85 km/h (bei erlaubten 80 km/h) fahrenden PKW und einem ordnungsgemäß beleuchteten, überbreiten landwirtschaftlichen Gespann (Schlepper und Anhänger) mit einer Breite von 2,95 m, das etwa 25 bis 35 km/h fuhr. Es entstand erheblicher Sach- und Personenschaden. Der Eigentümer des landwirtschaftlichen Gespanns und der Haftpflichtversicherer des PKW stritten darüber, in welchem Verhältnis die jeweiligen Unfallschäden zu ersetzen seien. Der Haftpflichtversicherer meinte, dass der Fahrer des landwirtschaftlichen Gespanns den Schaden zu 50% verursacht habe, und zahlte deshalb nur die Hälfte des an dem Schlepper und dem Anhänger entstandenen Schadens. Demgegenüber meinte der Eigentümer des landwirtschaftlichen Gespanns, dass die Fahrerin des PKW den Unfall alleine verursacht habe. Er verlangte deshalb Ersatz des gesamten Schadens.
Das LG Verden hat die Klage abgewiesen und meinte, der Unfall sei überwiegend (65%) von dem Fahrer des landwirtschaftlichen Gespanns verursacht worden.
Das OLG Celle hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Landgerichts teilweise geändert und dem Eigentümer des landwirtschaftlichen Gespanns weiteren Schadensersatz zugesprochen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat die Fahrerin des PKW den Unfall verursacht, weil sie – trotz einer allenfalls geringen Überschreitung der erlaubten Geschwindigkeit von 80 km/h – nicht die den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen angepasste Geschwindigkeit eingehalten habe. Bei Dunkelheit auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen und nicht befestigtem Seitenstreifen sowie erkennbaren Gegenverkehr (Fahrzeugbeleuchtung) in einer leichten Rechtskurve seien selbst 75 km/h zu schnell, um den Anforderungen des § 3 Abs. 1 StVO zu genügen. Vielmehr habe die Fahrerin des PKW einkalkulieren müssen, dass das für sie im Gegenverkehr erkennbare Gespann überbreit war und ihr weniger Platz zur Verfügung stand als bei einem entgegenkommenden Pkw. Sie habe deshalb so langsam fahren müssen, dass sie ihr Fahrzeug mindestens innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke hätte anhalten können (§ 3 Abs. 1 Satz 5 StVO [halbe Sicht]).
Darüber hinaus sei die Fahrerin des PKW entgegen § 2 Abs. 2 StVO nicht weit genug rechts gefahren, denn der von ihr gelenkte PKW war lediglich ca. 1,70 m breit, sodass auch angesichts des ihr auf der 4,95 m breiten Straße trotz des entgegenkommenden 2,95 m breiten Gespanns ausreichend Platz zur Verfügung gestanden habe, um aneinander vorbeizufahren.
Trotz dieser Verkehrsverstöße auf Seiten der Unfallgegnerin habe der Eigentümer des landwirtschaftlichen Gespanns aber keinen Anspruch auf vollständigen Ersatz seiner Schäden. Er müsse sich die – bei einem überbreiten landwirtschaftlichen Gespann mit einem Gewicht von 18 t erhöhte – Betriebsgefahr des § 7 StVG anrechnen lassen und könne deshalb nur 70% seiner Schäden ersetzt verlangen. Aufgrund der Betriebsgefahr und der dadurch begründeten verschuldensunabhängige Haftung des Fahrzeughalters folge, dass ein Fahrzeughalter sich bei einem Unfall unter bestimmten Umständen auch dann eine Mithaftung anrechnen lassen müsse, wenn sich der Fahrer seines Fahrzeugs nicht verkehrswidrig verhalten habe.