Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen hat mit Urteil vom 05.12.2019 zum Aktenzeichen L 7 AS 845/19 entschieden, dass ein Leistungsbezieher, dem die Unfruchtbarkeit in Folge einer Chemotherapie droht, ein Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Kryokonservierung von Samenzellen nach dem SGB II hat.
Aus der Pressemitteilung des LSG NRW vom 30.01.2020 ergibt sich:
Der Kläger bezieht SGB II-Leistungen. In Folge eines Immundefektes musste er sich einer Chemotherapie unterziehen. Zuvor beauftragte er aufgrund des drohenden Fertilitätsverlustes die Kryokonservierung von Spermienzellen. Die Kosten betragen 297,50 Euro pro Jahr. Das beklagte Jobcenter lehnte deren Übernahme ab. Es handele sich um eine Maßnahme, die nicht der Sicherung des Lebensunterhalts, sondern der persönlichen Familienplanung diene.
Das SG Duisburg bestätigte dies und ließ die Berufung zu.
Das LSG Essen hat sich nun der Rechtsauffassung des Klägers angeschlossen und die Kosten als unabweisbaren laufenden besonderen Bedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II anerkannt.
Nach Auffassung des Landessozialgerichts zählen die Kosten zur Gesundheitspflege, übersteigen den hierfür im Regelbedarf vorgesehenen Betrag von 180 Euro jährlich deutlich und haben aufgrund eines atypischen Sachverhalts einen atypischen Umfang. Die Kryokonservierung sei eine medizinisch zur Erhaltung der Fähigkeit, eigene Kinder zu haben, zwingend notwendige, ärztlich empfohlene und in das Gesamtbehandlungskonzept eingebundene Maßnahme gewesen. In einer derartigen Fallgestaltung sei sie keine Maßnahme, die lediglich die Wünsche eines Versicherten für seine individuelle Lebensgestaltung betreffe, sondern handele es sich um einen Bestandteil einer umfassenden Krankenbehandlung und damit einen existenziell notwendigen Bedarf i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GG. Dieser dürfe dem Kläger nicht deshalb verschlossen bleiben, weil er nicht über die Mittel zu seiner Finanzierung verfüge.
Ein Anspruch bestehe im Übrigen gegenüber der Krankenkasse weiterhin nicht. § 27a Abs. 4 SGB V sei erst zum 11.05.2019 in Kraft getreten, die Richtlinien hierzu stünden noch aus. Der Kläger könne schließlich nicht darauf verwiesen werden, die Aufwendungen aus dem vom anzurechnenden Kindergeld abzusetzenden Freibetrag zu bestreiten.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden.