Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat in einem von Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. der Kölner Rechtsanwaltskanzlei JURA.CC geführten Verfahren mit Beschluss vom 29.01.2020 zum Aktenzeichen 1 L 1813/19 entschieden, dass ein Polizeibewerber wegen eines Löwenkopf-Tattoos auf der linken Brust im nicht sichtbaren Bereich nicht vom weiteren Auswahlverfahren zur Einstellung in den gehobenen Polizeidienst ausgeschlossen werden darf.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen stellt fest, dass es anerkannt ist, dass Tätowierungen – trotz der Zunahme von Tätowierungen in der Gesamtbevölkerung – Aussagekraft in Bezug auf die Persönlichkeit haben können und dementsprechend die gewählten Motive einen Mangel der charakterlichen Eignung erkennen lassen können, ohne, dass es in diesem Zusammenhang darauf ankommt, ob die Tätowierung dienstlich oder außerdienstlich sichtbar wird.
Die Verwaltungsrichter führen weiter aus, dass dies auch gilt unter Berücksichtigung dessen, dass eine Tätowierung zunächst nur eine Körperdekorierung darstellt. Denn durch diese wird der Körper bewusst als Kommunikationsmedium eingesetzt. Mit dem Tragen einer Tätowierung ist eine plakative Kundgabe verbunden, durch die eine mit ihr verbundene Aussage das „forum internum“ verlässt. Durch eine Tätowierung erfolgt eine nach außen gerichtete und dokumentierte Mitteilung durch deren Träger über sich selbst. Dieser kommt im Falle der Tätowierung sogar besonderer Stellenwert zu, weil das Motiv in die Haut eingestochen wird und der Träger sich damit dauerhaft und in besonders intensiver Weise bekennt.
Der Schluss auf eine fehlende charakterliche Eignung ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn die Art und der Inhalt der Tätowierung auf eine innere Einstellung schließen lassen, die mit den Grundpflichten eines Beamten, vgl. § 34 BeamtStG) unvereinbar ist, der Werteordnung des Grundgesetzes widerspricht und damit Zweifel an dessen charakterlicher Eignung begründet.
Die Einstellungsbehörde darf berechtigte Zweifel an der charakterlichen Eignung eines Bewerbers hegen, wenn der Inhalt einer Tätowierung Rückschlüsse darauf zulässt, dass der Bewerber nicht die durch § 7 Abs. 1 Nr. 2 BeamtStG geforderte Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten.
Der Rückschluss vom Inhalt einer Tätowierung auf die innere Einstellung des Bewerbers setzt jedoch eine Gesamtwürdigung des Verhaltens des Bewerbers unter Berücksichtigung aller aus dem Bewerbungsverfahren bekannten Umstände voraus.
Ein Ausschluss von der Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst unter Verweis auf die Tätowierung eines Zähne fletschenden Löwenkopfes auf der Brust ist dazu jedoch nicht geeignet. Soweit das LAFP einwendet, der Löwenkopf wirke angriffslustig und aggressiv auf den Beobachter, er vermittele einen gewaltverherrlichenden Eindruck, der sich nicht mit dem an einen Polizeivollzugsbeamten des Landes NRW gestellten Anforderungsprofil vereinbaren lasse, überzeugt rechtlich nicht, denn es handelt sich zunächst bei der Abbildung nicht um einen Zähne fletschenden, sondern um einen brüllenden Löwen, wobei das Motiv weder angriffslustig noch aggressiv wirke. Darüber hinaus ist die Schlussfolgerung des LAFP, dass der brüllende Löwe einen gewaltverherrlichenden Eindruck vermittele, nicht nachvollziehbar.
Das LAFP hat selbst ermittelt, dass die allgemeine Bedeutung von Löwentattoos keinen aggressiven oder gewaltverherrlichenden Eindruck zuschreibt. Vielmehr repräsentiert der Löwe Stärke, Mut und Macht. Allein daraus folgt noch keine zweifelhafte charakterliche Einstellung des Trägers der Tätowierung zu Gewalt. Der brüllende oder auch Zähne fletschende Löwe ist darüber hinaus ein in der Natur regelmäßig vorkommendes Bild, ohne dass hierdurch – beispielsweise in Naturfilmdokumentationen – automatisch ein gewaltverherrlichender Eindruck entsteht. Gleichsam ziert der Löwe regelmäßig unterschiedliche Gebäude, nicht zuletzt beispielsweise auch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig – auch mit geöffnetem Maul, ohne dass aufgrund dessen von einer gewaltverherrlichenden Grundeinstellung der dort arbeitenden oder lebenden Personen ausgegangen wird. Die Deutung des Bildes eines Löwen im Rahmen einer künstlerischen Darstellung als aggressiv und gewaltverherrlichend kann durch unterschiedliche Betrachter individuell verschieden ausfallen. Dies gilt auch für die Tätowierung des Bewerbers, auf der lediglich der Löwenkopf zu sehen ist. Insbesondere werden durch die Tätowierung des Bewerbers auch keine gewaltvollen Handlungen des Löwen dargestellt, wobei dahingestellt bleibt, ob dies automatisch einen gewaltverherrlichenden Eindruck vermitteln würde. Das LAFP überschreitet den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum, wenn es auf einen aus seiner Sicht aggressiven und gewaltverherrlichend wirkenden Tätowierung des Bewerbers auf eine solche innere Einstellung schließt. Denn mit Blick auf die dargestellten individuellen Deutungsmöglichkeiten des Löwenkopfes durch unterschiedliche Betrachter ist ohne weitere Anhaltspunkte der Schluss auf eine gewaltverherrlichende innere Einstellung des Bewerbers und infolge dessen auf das Fehlen der charakterlichen Eignung desselbigen nicht gerechtfertigt.
Der Bewerber bietet keinen Anlass für die Annahme, dass das von ihm für die Tätowierung ausgewählte Motiv Ausdruck einer bei ihm gegebenen inneren gewaltverherrlichenden und aggressiven Einstellung ist. Der Bewerber hat erklärt, er habe sich die Tätowierung stechen lassen, weil der Löwe für ihn ein Tier sei, welches mentale Stärke und Durchhaltevermögen symbolisiere. Er sei keineswegs eine gewaltverherrlichende Person. Bei der Gestaltung des Motives der Tätowierung, die der Tätowierer für ihn entworfen habe, sei ihm wichtig gewesen, dass dieser Mut, Kraft und Willensstärke ausdrücken sollte. Ein Ausdruck von Gewalt oder eine gewaltverherrlichende Grundeinstellung sei nicht seine Motivation gewesen. Aufgrund seines Werdegangs seien ihm benannten symbolischen Eigenschaften wichtig, denn er habe es durch diese geschafft, ausgehend von einem Hauptschulabschluss durch eigene Leistungen das Fachabitur zu absolvieren. Die Tätowierung habe er sich daher auch im letzten Jahr seines Fachabiturs machen lassen, um für sich selbst zu symbolisieren, dass man im Leben mit Mut, Kraft und Willensstärke vieles erreichen kann. Das er sich hierbei, dem Vorschlag des Tätowierers folgend, für einen Zähne zeigenden Löwen entschieden hat, lässt nicht den Schluss auf eine zweifelhafte charakterliche Neigung zu. Denn die dem Löwen zugesprochenen Eigenschaften – Mut, Kraft und Willensstärke – sind auch im Polizeidienst erforderlich. Darüber hinaus ist der Bewerber nie strafrechtlich – insbesondere nicht durch Gewaltdelikte – in Erscheinung getreten, wodurch für die Deutung des LAFP keine Anhaltspunkte vorliegen.