Das Sozialgericht Osnabrück hat mit Urteil vom 27.11.2019 zum Aktenzeichen S 30 SB 543/17 entschieden, dass ein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) nicht besteht, wenn kein mobilitätsbezogener Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 80 besteht.
Aus der Pressemitteilung des SG Osnabrück vom 18.12.2019 ergibt sich:
Dies gelte auch, wenn das Merkzeichen begehrt werde, um eine Gangunsicherheit oder Stürze zu vermeiden, so das Sozialgericht.
Die 1939 geborene Klägerin leidet unter Verschleißveränderungen im Bereich der Wirbelsäule, der Hüft-, Knie- und Fußgelenke. Das beklagte Land Niedersachsen hatte auf Antrag der Klägerin hierfür zunächst einen GdB von 50 und später – da zusätzlich eine Schwerhörigkeit geltend gemacht wurde – insgesamt einen GdB von 80 anerkannt. Zudem erkannte das Land die Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), „RF“ (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) sowie „B“ (Notwendigkeit einer Begleitperson) an; das Merkzeichen „aG“ lehnte der Beklagte jedoch ab.
Mit ihrer wegen dieses Merkzeichens erhobenen Klage machte die Klägerin weiter geltend, dass ihr die Fortbewegung im öffentlichen Raum ohne Hilfe nicht möglich sei. Sie sei auf fremde Hilfe durch eine Begleitperson und einen Rollstuhl angewiesen.
Das SG Osnabrück hat sich der Einschätzung des beklagten Landes angeschlossen und die Klage abgewiesen.
Nach § 229 Abs. 3 Satz 1 SGB IX muss für das Merkzeichen „aG“ eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung mit einem GdB von mindestens 80 bestehen. Dabei setze das Merkzeichen nicht voraus, dass der schwerbehinderte Mensch nahezu unfähig sein müsse, sich auf seinen Beinen fortzubewegen. Vielmehr sei weiterhin erforderlich, aber auch ausreichend, dass der schwerbehinderte Mensch – selbst unter Einsatz orthopädischer Hilfsmittel – praktisch von den ersten Schritten außerhalb eines Kraftfahrzeuges an nur mit fremder Hilfe oder nur mit äußerster Anstrengung gehen könne oder sein Restgehvermögen so unbedeutend sei, dass er schon nach kürzester Strecke schmerz- und/oder erschöpfungsbedingt eine Pause einlegen müsse, bevor er weitergehen könne. Das Sozialgericht hat Bezug genommen auf die ständige Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urt. v. 16.03.2016 – B 9 SB 1/15 R), wonach aufgrund der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, an die Vergabe des Merkzeichens „aG“ hohe Anforderungen zu stellen seien, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten. Bei der Klägerin bestehe zwar ein GdB von 80, dieser sei jedoch nicht nur mobilitätsbezogen. Die Funktionseinschränkungen, die sich auf ihre Mobilität auswirkten, bedingten insgesamt nur einen GdB von 50.
Ferner sei darauf hinzuweisen, dass auch aus präventiven Gründen (beispielsweise zur Vermeidung eines Sturzes) das Merkzeichen „aG“ nicht festgestellt werden könne. Der Klägerin sei wegen der Gangunsicherheit das Merkzeichen „B“ zuerkannt worden. Sinn und Zweck des Merkzeichens „aG“ sei es nicht, der Begleitperson, deren Erforderlichkeit bereits durch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „B“ Rechnung getragen worden sei, eine weitere Erleichterung zu verschaffen.