Das Arbeitsgericht Jeck hat mit Urteil vom 11.11.2019 zum Aktenzeichen 11 Ca 11/18 entschieden, dass ein Karnevalsverein einem männlichen Tanzmariechen eine Entschädigung wegen Diskriminierung zahlen muss.
Tanzmariechen findet man heute in nahezu jedem Karnevals-, Faschings- und Fastnachtsverein in Deutschland, Österreich, Belgien und Holland.
Sie treten einzeln, paarweise mit Tanzoffizieren oder zu mehreren in Tanzgarden auf, oft zu Marsch- oder Polkamusik, mittlerweile auch zu modernerer, an traditionelle Musik angelehnter Musik.
Das Tanzmariechen ist eine auf die früheren Marketenderinnen zurückgehende traditionelle Figur im Karneval und kam zunächst nur im Rheinland vor. Als gleichbedeutende Bezeichnungen werden auch Funke(n)mariechen und Regimentstochter benutzt (z. B. bei Prinzen-Garde oder Ehrengarde im Kölner Karneval). Die Tanzmariechen-Rolle wurde ursprünglich ausschließlich von Männern dargestellt. Durch Zugeständnisse der Karnevalisten an die Nationalsozialisten wurden diese aus Angst vor Transvestitismus durch Frauen ersetzt.
Und nun im Jahr 2019 wollen die Männer wieder an die Macht des Tanzmariechens.
In der Stellenanzeige des Karnevalsvereins im Internet und Tageszeitung hieß es:
Tanzmariechen für Karnevalssession 2019/2020 gesucht
Ein männlicher Tänzer bewarb sich und wurde vom Karnevalsverein prompt abgelehnt mit der Begründung, dass er keine Frau sei.
Nach den Arbeitsrichtern steht dem männlichen Bewerber aus § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung zu, weil ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG vorliegt.
Der Karnevalsverein hat den männlichen Bewerber gemäß § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG wegen seines Geschlechts benachteiligt. Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Arbeitgeber Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligen. Gemäß § 3 Abs. 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Der männlichen Bewerber hat bezüglich der von dem Beklagten ausgeschriebenen Stelle eine weniger günstige Behandlung erfahren als weibliche Bewerber. Zum einen war die Stelle nur für Frauen ausgeschrieben.
Die weniger günstige Behandlung erfuhr der männlichen Bewerber gerade wegen seines Geschlechts und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Benachteiligungsgrundes. Der zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem in § 1 AGG genannten Grund erforderliche Kausalzusammenhang ist vorliegend offensichtlich gegeben. Der Karnevalsverein hat dem männlichen Bewerber ausdrücklich mitgeteilt, dass er wegen seines Geschlechts im weiteren Bewerbungsverfahren nicht berücksichtigt wird.
Die Benachteiligung des männlichen Bewerbers wegen seines Geschlechts ist auch nicht gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig. Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist danach zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
Im konkreten Fall sahen es die jecken Arbeitsrichter als unvertretbar an, dass Männer oder Diverse die Tätigkeit des Tanzmariechens nicht genau so gut wie Frauen ausüben können, sowohl beim Gewicht kann keine Deutung erfolgen, dass Männer stets mehr wiegen als Frauen und deshalb das weibliche Geschlecht erforderlich sei, insbesondere für Würfe und Hebefiguren.
Und auch die lange Haarbracht ist heutzutage kein typisch weibliches Merkmal mehr, da viele Männer ebenfalls eine lange und pflegte Haarpracht tragen und auch mittels Perücken, die im Übrigen auch oft weibliche Tanzmariechen mit Kurzhaarfrisur gerichtsbekannt trugen, möglich sei.
Bei der Tanzkunst und der Körperbeherrschung wollten die Arbeitsrichter gar keine Abwägung zugunsten oder zum Nachteil eines Geschlechts herstellen, da dies paritätisch sei.
Insbesondere aus der Emanzipation der Frau und des gesellschaftlichen Wandels zu einer geschlechtsverwischten Personenstandeskultur sei es nicht mehr legitim Männer und / oder Frauen bei einer Tätigkeit zu bevorteilen oder zu benachteiligen
Zuletzt verwiesen die Arbeitsrichter darauf, dass es historisch nun einmal vor dem Nationalsozialismus so war, dass typischerweise Männer die Rolle des Tanzmariechens einnahmen und das Brauchtum nur durch das braune Gedankengut derart zwangsdiktiert wurde, dass fortan Frauen Tanzmariechen sind und keine als Frauen verkleideten Männer. Die Rückkehr zur Situation vor dem Nationalsozialismus gebiete es aber nicht, wieder ausschließlich das männliche Geschlecht in der Rolle des Tanzmariechens festzuschreiben, sondern dies geschlechtsneutral auszugestalten, so dass alle drei Geschlechter oder die Geschlechtsunbestimmten gleichberechtigt zu berücksichtigen sind.
Seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.10.2017, Aktenzeichen 1 BvR 2019/16 mit dem die Verfassungsrichter die Existenz eines dritten Geschlechts feststellten und seit dem der Gesetzgeber in § 22 Abs. 3 PStG den positiven Geschlechtseintrag als divers bezeichnet, hätte die diskriminierungsfreie Stellenausschreibung lauten müssen:
Tanzpersönchen (m/w/d/x) für Karnevalssession 2019/2020 gesucht