Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 24.10.2019 zum Aktenzeichen B 9 SB 1/18 R zum Merkzeichen „Bl“ (Blindheit) entschieden.
Aus Pressemitteilungen des Bundessozialgerichts ergibt sich:
Die 2007 geborene Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer ausgeprägten Stoffwechselstörung (nichtketotische Hyperglycinämie – NKH). Bei ihr besteht seit jeher Pflegebedürftigkeit nach der Stufe III (jetzt Pflegegrad 5) bei einem anerkannten Grad der Behinderung (GdB) von 100 und Feststellung der Merkzeichen H, B, G, aG und RF. Den im Oktober 2012 gestellten Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens Bl lehnte der Beklagte ab. Die Vorinstanzen haben den Beklagten nach augenärztlicher Begutachtung der Klägerin antragsgemäß verurteilt. Aufgrund der geänderten Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 11.08.2015 – B 9 BL 1/14 R), wonach es für den Begriff der Blindheit nicht mehr darauf ankomme, dass bei cerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens bestehe, sei die Klägerin blind. Zwar fehle der Klägerin das Augenlicht nicht vollständig, auch habe sich eine gleichzusetzende geringgradige Sehschärfe nicht beweisen lassen. Jedoch läge eine andere gleichzustellende Störung des Sehvermögens vor, weil die Klägerin nicht zu einer differenzierten Sinneswahrnehmung im Stande sei und auch kein Interesse an einer optischen Sinneswahrnehmung zeige.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte einen Verstoß gegen Teil A Nr 6 Buchst c der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (AnlVersMedV), indem das Landessozialgericht zur Feststellung von Blindheit eine gnostische Störung habe ausreichen lassen. In Teil A Nr. 6 AnlVersMedV sei eindeutig geregelt, dass eine Unfähigkeit zur Sinneswahrnehmung, welche aus einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen resultiere, nicht als Blindheit aufgefasst werden dürfe. Die neue Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 11.08.2015 – B 9 BL 1/14 R) beziehe sich nicht auf den Fall, dass eine Beeinträchtigung des Sehapparats praktisch auszuschließen sei. Sie gelte nur für diejenigen Fälle, in denen aufgrund hirnorganischer Beeinträchtigungen Beweisschwierigkeiten beständen, weil z.B. eine Mitwirkung des Patienten nicht möglich sei oder für klärende Untersuchungen erforderliche Narkotisierungen unzumutbar seien.
Auf die Revision des beklagten Landes hat das BSG die Sache zur erneuten Entscheidung und Verhandlung zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BSG fehlen Feststellungen zur Rindenblindheit als einer weiteren möglichen Störung des Sehorgans, die das Merkzeichen Bl rechtfertigen kann. Diese werden von der Vorinstanz nachzuholen sein.
Die Unfähigkeit zur Sinneswahrnehmung, die aus einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen resultiert, reicht dagegen nicht zur Annahme von Blindheit nach Teil A Nr. 6 Anlage zu § 2 VersMedV. Behinderungen werden im Schwerbehindertenrecht unter ausschließlich medizinischen Gesichtspunkten getrennt nach Organ- und Funktionseinheiten erfasst und anschließend insgesamt in ihren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bewertet. Hieran orientieren sich auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen. Blindheit ist danach beschränkt auf Störungen des Sehapparats im organischen Sinn und erfasst keine gnostischen – neuropsychologischen – Störungen des visuellen Erkennens. Für diese stehen im Schwerbehindertenrecht – wie hier auch zuerkannt – andere Merkzeichen passgenau zur Verfügung. Diese rechtliche Ausgangslage weicht insoweit maßgeblich von der im Bayerischen Blindengeldrecht ab, die den Senat zur Aufgabe seiner Rechtsprechung zur spezifischen Sehstörung veranlasst haben (Urt. v. 11.08.2015 – B 9 BL 1/14 R).