Das Landgericht Meiningen hat mit Urteil vom 15.01.2025 entschieden, dass eine sehbehinderte Frau eine AGG-Entschädigung erhält, weil sie ein gebuchtes Zimmer nicht erhielt.
Eine blinde Frau, der der Zutritt zu einer von ihr gebuchten Pension aufgrund ihrer Sehbehinderung verweigert wurde, hat einen rechtlichen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 1.200 Euro. Dieser Anspruch ergibt sich aus den Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), insbesondere aus § 21 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1, sowie aus § 253 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Im Sommer des Jahres 2022 vereinbarte die Frau über ihren Begleiter einen Aufenthalt in einer Pension für eine Dauer von vier Nächten. Der Preis betrug jeweils 55 Euro pro Nacht. Die Pension informierte sie telefonisch darüber, dass lediglich ein Zimmer im Dachgeschoss zur Verfügung stand, was die Klägerin akzeptierte. Bei dieser Gelegenheit gab sie jedoch keinen Hinweis auf ihre Sehbehinderung, sodass die Betreiberin der Pension darüber nicht informiert war.
Erst bei der Ankunft der blinden Frau fiel der Betreiberin auf, dass die Klägerin sehbehindert ist. Diese Erkenntnis führte dazu, dass sie den Zutritt zur Pension verwehrte, da sie der Ansicht war, dass der Weg zum Zimmer zu gefährlich und beschwerlich sei, insbesondere mangels eines Aufzugs. Trotz weiterer Gespräche und Diskussionen über die Situation blieb die Betreiberin bei ihrer Entscheidung, den Zugang zu verweigern, sodass die Frau letztendlich gezwungen war, eine andere Unterkunft zu finden. Für diese alternative Übernachtungsmöglichkeit musste sie 87 Euro pro Nacht bezahlen, was zu einer Differenz von insgesamt 130 Euro im Vergleich zur ursprünglich gebuchten Pension führte. Während des ersten Instanzenverfahrens zahlte die beklagte Pension dieser Frau aus Kulanz den Betrag der Differenz.
Zusätzlich zu dieser Erstattung forderte die Klägerin eine Entschädigung für die Diskriminierung, die ihr aufgrund ihrer Blindheit und der damit verbundenen Verweigerung des Zugangs zur Pension widerfahren war. Die Betreiberin der Pension rechtfertigte ihr Verhalten damit, dass die Verweigerung des Zutritts aus der Sicht der Verkehrssicherheit für sehbehinderte Personen nachvollziehbar sei. Sie berief sich auf die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 2 Nummer 1 AGG und argumentierte weiterhin, dass diese Entscheidung im Rahmen der allgemeinen Privatautonomie der Betreiberin legitim sei.
Nachdem das Amtsgericht die Klage zunächst abgewiesen hatte, erzielte die Klägerin mit ihrer Berufung letztendlich einen Erfolg. Das Landgericht (LG) erkannte insbesondere, dass der Anwendungsbereich des Benachteiligungsverbots gemäß den Bestimmungen der §§ 19 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Abs. 1 Nr. 8 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eröffnet war. Eine entscheidende Rolle spielte hierbei die Klassifizierung des Beherbergungsvertrags als Massengeschäft.
Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG handelt es sich bei einem Massengeschäft um Verträge, die „typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“. Das LG veranschaulichte dies durch einen Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), die insbesondere bei Verträgen aus dem Bereich der Konsumgüterwirtschaft sowie bei standardisierten Dienstleistungen, wie sie im Einzelhandel, in der Gastronomie oder im Transportwesen üblich sind, Anwendung findet.
Im Gegensatz zur Vermietung von Wohnraum, die als Dauerschuldverhältnis betrachtet wird und bei der Vermieter in der Regel vor dem Abschluss eines Vertrages eine sorgfältige Prüfung und Auswahl der potenziellen Mieter vornehmen, sieht die Kammer die Vermietung von Hotelzimmern lediglich als Dienstleistungsverträge, die für kurze Zeiträume geschlossen werden, und damit als Teil des Massengeschäfts.
Die Kammer argumentierte unter anderem, dass in vielen Hotels mittlerweile Betriebsmodelle existieren, die nahezu ohne Personal auskommen, häufig unterstützt durch die Verwendung von Schlüsselcodes für den Zugang zu den Zimmern. Sie betont zudem, dass die Größe der Unterkunft in diesem Kontext nicht relevant ist, weshalb auch für die kleine Pensionsunterkunft der Beklagten mit nur 13 Zimmern die gleiche Einschätzung gilt. Ergänzend dazu brachte die Betreiberin der Pension vor, dass Übernachtungsverträge „in der Regel mit jedem abgeschlossen werden, der anfragt“, was die Einstufung als Massengeschäft weiter stützt.
Die Kammer hielt § 19 Abs. 5 Satz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), auf den die Beklagte verwiesen hat, in diesem Fall für nicht anwendbar. Gemäß dieser Vorschrift kann ein Anspruch unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen werden, insbesondere wenn ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien besteht. Allerdings wies das Landgericht darauf hin, dass dieser Einwand durch die grundlegende Natur des Übernachtungsvertrags als Massengeschäft hinfällig wird. Es wurde betont, dass es nicht ausreichend ist, dass die Betreiberin der Pension im selben Gebäude wohnt.
Des Weiteren stellte die Kammer fest, dass auch eine Rechtfertigung der Benachteiligung durch einen sachlichen Grund gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 Nummer 1 AGG nicht gegeben war. Das Gericht argumentierte, dass die Begründung für die Ablehnung seitens der Pension im direkten Widerspruch zu den Zielen des AGG steht. In dem Urteil wird ausgeführt, dass das Hauptziel des AGG darin besteht, die Schwierigkeiten, die Menschen aufgrund von Behinderungen im Zugang zum Zivilrechtsverkehr erfahren, zu beseitigen. In diesem Zusammenhang hatte die sehbinderte Klägerin erklärt, dass sie sich den Aufenthalt in der Pension, trotz der zahlreichen Stufen, durchaus zutrauen würde. Dies hätte die Pension berücksichtigen müssen, insbesondere, da die Frau von einer sehenden Person begleitet wurde. Die Kammer betonte zudem, dass das AGG auch den Schutz von Menschen mit Behinderungen vor Bevormundung bezweckt.
In Anbetracht dieser Aspekte entschied das Landgericht, dass eine Entschädigung in Höhe von 1.200 Euro als angemessen erachtet wird. Der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wurde als eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin gewertet. Zudem stellte die Kammer fest, dass die Beklagte keine Bemühungen zur Wiedergutmachung unternommen hatte, sondern vielmehr die Klägerin unterstellt hatte, sie würde durch ihre Reisen im Land versuchen, sich mit anwaltlicher Hilfe unrechtmäßige finanzielle Vorteile zu verschaffen.
Für die Anwältin der Klägerin gingen die Vorwürfe der Beklagten sogar noch weiter. Die Beklagte bezeichnete die Klägerin sowohl im vorgerichtlichen als auch im gerichtlichen Verfahren als „hochmütig“, indem sie ein angeblich höheres Risiko von Verletzungen aufgrund der Blindheit der Klägerin anführte.