Entsperren das Handys des Beschuldigten mit Fingerauflegen auf Handy ist erlaubt

31. Januar 2025 -

Das Oberlandesgericht Bremen hat mit Beschluss vom 08.01.2025 zum Aktenzeichen 1 ORs 26/24 entschieden, dass die Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons auf die Ermächtigungsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO gestützt werden kann.

Als Annexkompetenz ermächtigt § 81b Abs. 1 StPO auch zur Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons.

Der Zugriff auf die im Mobiltelefon gespeicherten Daten und deren Verwendung für die Zwecke des Strafverfahrens ist nicht auf § 81b Abs. 1 StPO zu stützen, sondern auf die Bestimmungen zur Durchsuchung und Beschlagnahme in den §§ 94 und 110 StPO.

Mit Urteil vom 29.08.2023 verhängte das Amtsgericht Bremerhaven gegen den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je EUR 10,-. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Berufung ein. Mit Urteil der Strafkammer 63 des Landgerichts Bremen vom 07.03.2024 wurde die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Nach den Feststellungen des Landgerichts zur vorgeworfenen Tat wurde am 01.02.2023 die Wohnung des Angeklagten aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Bremen wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornographischer Schriften polizeilich durchsucht. Zu Beginn der Durchsuchungsmaßnahme teilte der Angeklagte auf Nachfrage mit, er besitze kein funktionierendes Smartphone. Während der Durchsuchung klingelte sodann ein Mobiltelefon, welches im Bereich des auf einem Sofa sitzenden Angeklagten aufgefunden wurde. Das Mobiltelefon war gesperrt und der Angeklagte wurde durch die Polizeibeamtin … aufgefordert, das Mobiltelefon mittels Fingerabdruck zu entsperren. Nachdem der Angeklagte die Mitwirkung verweigert hatte, wurde er darüber belehrt, dass andernfalls eine Entsperrung mittels Zwang durchgeführt werde. Der Angeklagte versuchte sich daraufhin der Maßnahme durch Verlassen des Zimmers in Richtung der Wohnungstür zu entziehen. Um dies zu verhindern, ergriff der Polizeibeamte … den Arm des Angeklagten, woraufhin dieser versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, indem er mehrfach um sich schlug und sich wegdrehte. Da sich der Angeklagte trotz wiederholter Aufforderungen weiter widersetzte, musste er schließlich zu Boden gebracht und fixiert werden. Nachfolgend wurde das Mobiltelefon durch Auflegen des Fingers des Angeklagten auf den Fingerabdrucksensor entsperrt.

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte am 08.03.2024 Revision ein, die er mit Schriftsatz vom 15.05.2024 begründete. Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts. Der Angeklagte meint, die vorgeworfene Tat sei aufgrund des § 113 Abs. 3 StGB nicht strafbar, da die Diensthandlung nicht rechtmäßig gewesen sei. Der Angeklagte sei aufgrund des strafverfahrensrechtlichen Selbstbelastungsverbots nicht zur Mitwirkung an der Entsperrung des Mobiltelefons verpflichtet gewesen, vielmehr wäre das Mobiltelefon sicherzustellen gewesen und die Eigentumsverhältnisse daran wären dann durch weitere Ermittlungen festzustellen gewesen, ohne dass der Angeklagte hieran hätte mitwirken müssen. Zudem sei die Maßnahme auch unter dem Aspekt nicht verhältnismäßig gewesen, dass es nicht allein um die Bestimmung des Eigentümers gegangen sei, sondern auch um die Sicherstellung von auf dem Mobiltelefon gespeicherten Beweismitteln. Schließlich sei das Landgericht auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Irrtum des Angeklagten bezüglich der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung vermeidbar gewesen sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 09.09.2024 Stellung genommen und beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.

Die Revision des Angeklagten ist statthaft (§ 333 StPO), form- und fristgerecht eingelegt (§ 341 StPO) und begründet (§§ 344, 345 StPO) worden. Die Revision ist aber nicht begründet. Die Nachprüfung des Urteils der Strafkammer 63 des Landgerichts Bremen vom 07.03.2024 zeigt auf die mit der Revision allein erhobene Sachrüge keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten auf.
Die Verurteilung des Angeklagten zeigt keinen sachlich-rechtlichen Mangel zum Nachteil des Angeklagten auf. Rechtsfehler bezüglich der Beweiswürdigung des Landgerichts sind nicht ersichtlich und es tragen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB. Insbesondere steht entgegen der Auffassung der Revision nicht die Regelung des § 113 Abs. 3 StGB der Strafbarkeit der vorgeworfenen Tat entgegen. Die Diensthandlung der einschreitenden Polizeibeamten, mit Anwendung unmittelbaren Zwanges gegen den Willen des Angeklagten dessen Mobiltelefon durch Auflegen seines Fingers auf den Fingerabdrucksensor zu entsperren, wogegen sich der Angeklagte widersetzte, war rechtmäßig.

Die Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons kann auf die Ermächtigungsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO gestützt werden. Dies ist bereits mehrfach in der Rechtsprechung so entschieden worden (siehe LG Ravensburg, Beschluss vom 14.02.2023 – 2 Qs 9/23, juris Rn. 8, NStZ 2023, 446; AG Baden-Baden, Beschluss vom 13.11.2019 – 9 Gs 982/19, juris Rn. 15 ff.) und entspricht auch der wohl überwiegenden Auffassung in der Literatur (siehe BeckOK-Goers, 53. Ed., § 81b StPO Rn. 4.1; Deutscher, StRR 2023, 26 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl., § 81b StPO Rn. 8a; MK-Trück, 2. Aufl., § 81b StPO Rn. 8; Neuhaus, StV 2020, 489 f.; Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 ff.; Ruhs, GSZ 2024, 254). Soweit von Teilen der Literatur demgegenüber vertreten wird, dass § 81b Abs. 1 StPO keine geeignete Grundlage für eine solche Maßnahme darstellen könne (so Bäumerich, NJW 2017, 2718, 2720; Bock/Fülscher, StraFo 2023, 386, 388; Grzesiek/Zühlke, StV 2021, 117, 119; Hecken/Ziegler, jurisPR-ITR 10/2023 Anm. 5; Horter, NStZ 2023, 447 f.; Momsen, DRiZ 2018, 140 f.; Nadeborn/Irscheid, StraFo 2019, 274 f.; Nadeborn/Albrecht, NZWiSt 2021, 420, 421; zweifelnd auch BeckOK, Schild, 50. Ed, § 46 BDSG Rn. 52), ist dem nicht zu folgen.

§ 81b Abs. 1 StPO erlaubt die Vornahme von Maßnahmen an einem Beschuldigten gegen dessen Willen nicht nur in Bezug auf die in der Vorschrift genannten Maßnahmen der Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken sowie der Vornahme von Messungen, sondern die Vorschrift ist ausdrücklich technikoffen formuliert und erlaubt damit auch die Vornahme ähnlicher Maßnahmen (so auch LG Ravensburg, Beschluss vom 14.02.2023 – 2 Qs 9/23, juris Rn. 11, NStZ 2023, 446; ebenso Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 195; Ruhs, GSZ 2024, 254 f. m.w.N.). Das Auflegen eines Fingers auf einen Fingerabdrucksensor ist als ähnliche Maßnahme zur Aufnahme eines Fingerabdrucks anzusehen: In beiden Fällen werden durch eine grundsätzlich ohne stärkeren Zwang mögliche und rein auf äußerlich erkennbare Daten beschränkte Maßnahme identische biometrische Daten des Beschuldigten in Form der individuellen anatomischen Merkmale der Papillarleisten vermessen, ähnliches gilt auch für eine Entsperrung durch eine Gesichtserkennung (Face-ID) oder einen Irisscan im Hinblick auf die Vergleichbarkeit mit einer Lichtbildaufnahme. Zudem handelt es sich bezogen auf den Schutz der betroffenen Daten des Beschuldigten um eine weniger eingriffsintensive Maßnahme, da die Aufnahme von Fingerabdrücken noch weitergehend die Speicherung dieser Daten und die Verarbeitung durch den Vergleich mit beliebigen weiteren Spuren erlaubt, während es sich bei dem Auflegen des Fingers auf einen Fingerabdrucksensor eines Mobiltelefons um eine Vermessung zur einmaligen Verwendung und ohne dauerhafte Speicherung durch die Ermittlungsbehörden handelt.

Die Ermächtigungsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO ist auch nicht auf Maßnahmen von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zu erkennungsdienstlichen Zwecken beschränkt (so aber Bäumerich, NJW 2017, 2718, 2720; Horter, NStZ 2023, 447 f.; Nadeborn/Albrecht, NZWiSt 2021, 420, 421): Zwar ist die mit Gesetz vom 17.07.2015 (BGBl. I S. 1332) eingeführte amtliche Überschrift des § 81b StPO auf „erkennungsdienstliche Maßnahmen“ beschränkt, der Wortlaut der Norm selbst aber gestattet die Vornahme der nach dieser Vorschrift vorgesehenen Maßnahmen „für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens“ im Allgemeinen, ohne hier weitere Einschränkungen vorzusehen (vgl. so auch Ruhs, GSZ 2024, 254). Soweit der Bundesgerichtshof ausgeführt hat, dass die Vorschrift es allgemein gestatte, für die Individualität einer Person signifikante dauerhafte Persönlichkeitsgegebenheiten auch gegen den Willen des Beschuldigten zu fotografieren, zu vermessen oder in anderer Weise zu registrieren, um durch einen Vergleich mit bereits vorliegenden Erkenntnissen feststellen zu können, ob sie auf den Beschuldigten als Täter hindeuteten (siehe BGH, Urteil vom 09.04.1986 – 3 StR 551/85, juris Rn. 21, BGHSt 34, 39), schließt dies dementsprechend die Vermessung anatomischer Merkmale des Beschuldigten zu sonstigen Zwecken der Durchführung des Strafverfahrens nicht aus. Auch der Gesetzgebungsgeschichte ist eine Beschränkung der Zweckrichtung der nach § 81b Abs. 1 StPO zulässigen Maßnahmen nicht zu entnehmen: Vielmehr beruht die Neufassung des § 81b StPO durch die Hinzufügung der Absätze 2 bis 5 aufgrund des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816 sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 10.08.2021 (BGBl. I S. 3420) auf den Vorgaben der Verordnung (EU) 2019/816 zur Einrichtung eines zentralisierten Systems für die Ermittlung der Mitgliedstaaten, in denen Informationen zu Verurteilungen von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen (ECRIS-TCN) vorliegen, zur Ergänzung des Europäischen Strafregisterinformationssystems und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1726 (ABl. L 135/1 vom 22.05.2019), ohne dass der Gesetzesbegründung eine Absicht der Beschränkung des Anwendungsbereichs der Norm im Übrigen zu entnehmen wäre (siehe die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816 sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 09.03.2021, BT-Drucks. 19/27432, S. 20).

Wie generell im Rahmen der nach § 81b Abs. 1 StPO vorgesehenen Maßnahmen beinhaltet die Vorschrift als Annexkompetenz auch eine Ermächtigung zur Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Durchsetzung der betreffenden Maßnahme (vgl. BGH, Urteil vom 09.04.1986 – 3 StR 551/85, juris Rn. 21, BGHSt 34, 39; siehe auch Begr. Reg.-Entw. BT-Drucks. 19/27432, S. 22), vorliegend damit die hier gegenständliche Diensthandlung des Auflegens des Fingers des Angeklagten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons durch die einschreitenden Polizeibeamten.

Die Erstreckung des § 81b StPO auf Maßnahmen der (zwangsweisen) Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf einen Fingerabdrucksensor steht auch nicht im Widerspruch zu höherrangigem Recht. Eine Verletzung des auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu stützenden Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit (nemo-tenetur-Grundsatz), wonach im Strafverfahren niemand gezwungen werden darf, sich selbst durch eine Aussage einer Straftat zu bezichtigen und damit zu seiner Überführung beizutragen (siehe BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10, juris Rn. 60, BVerfGE 133, 168; Beschluss vom 06.09.2016 – 2 BvR 890/16, juris Rn. 35, StV 2017, 241), liegt nicht vor. Dieser Grundsatz verbietet nur den Zwang zu aktiver Mitwirkung, nicht aber, dass der Beschuldigte gezwungen wird, gegen ihn gerichtete Beweisermittlungsmaßnahmen passiv zu erdulden (siehe BVerfG, a.a.O.).

Mit dem (zwangsweisen) Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor eines Mobiltelefons liegt wegen der damit verbundenen Vermessung individueller biometrischer Daten des Betroffenen dagegen ein Eingriff in dessen Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vor, der allerdings – wie bereits ausgeführt – eine nur geringe Eingriffsintensität aufweist und daher im Hinblick auf den allgemeinen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG durch die Regelung des § 81b Abs. 1 StPO gerechtfertigt werden kann.

Zugleich wird mit der zwangsweisen Entsperrung des Mobiltelefons eines Beschuldigten auch in das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme als besonderer Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingegriffen, da sich auf einem solchen Mobiltelefon möglicherweise Daten befinden, die Erkenntnisse bis in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Beschuldigten erbringen könnten (siehe zu diesem Grundrecht BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, juris Rn. 166 ff., BVerfGE 120, 274). Dabei ist zu beachten, dass bereits die Entsperrung des Mobiltelefons wegen des damit ermöglichten Datenzugriffs einschließlich der Gefahr unbefugter oder missbräuchlicher Verwendung als relevanter Grundrechtseingriff anzusehen ist (vgl. so auch EuGH, Urteil vom 04.10.2024 – C-548/21, juris Rn. 77 (Bezirkshauptmannschaft Landeck)). Andererseits ist der spätere Datenzugriff selbst und die Verwendung der erlangten Daten als separater – vorliegend nicht verfahrensgegenständlicher – Eingriff zu betrachten, dessen Zulässigkeit insbesondere unter Zuständigkeits- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gesondert zu beurteilen ist (so bereits LG Ravensburg, Beschluss vom 14.02.2023 – 2 Qs 9/23, juris Rn. 13, NStZ 2023, 446; ebenso auch Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 197), hier nach den §§ 94 und 110 StPO, wobei das Bundesverfassungsgericht hierzu die vorhandenen Bestimmungen der StPO zu Durchsuchungen und Beschlagnahme auch in Bezug auf Mobiltelefone und Personal Computer als verfassungsgemäße und ausreichende Grundlage angesehen hat (siehe BVerfG, Urteil vom 02.03.2006 – 2 BvR 2099/04, juris Ls., NJW 2006, 976). Auch unter Berücksichtigung der Einschlägigkeit des Schutzgehalts des Grundrechts auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme erweist sich die Erstreckung des § 81b StPO auf die vorliegende Fallkonstellation aber als verfassungskonform: Soweit das Bundesverfassungsgericht dahingehend gesteigerte Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs in dieses Grundrecht aufgestellt hat, dass die heimliche Infiltration eines solchen informationstechnischen Systems verfassungsrechtlich nur zulässig sein kann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen, und unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen ist (siehe BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, juris Rn. 242 ff., BVerfGE 120, 274), gelten diese Anforderungen für den vorliegenden Fall eines offenen Zugriffs gerade nicht und das Bundesverfassungsgericht hat den offenen Zugriff ausdrücklich als eine mildere Maßnahme angesehen (siehe BVerfG, a.a.O., juris Rn. 225, 238). Daher gebietet auch die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (siehe EuGH, a.a.O., juris Rn. 81 ff.) – abgesehen davon, dass der vorliegende Eingriff bereits nicht den Regelungen der Richtlinie 2002/58 vom 12.07.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation sowie der Richtlinie 2016/680 vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr unterliegt und damit die genannte Rechtsprechung keine unmittelbare Anwendung findet – nicht die Heranziehung der dort formulierten und in ähnlicher Weise gesteigerten Eingriffsvoraussetzungen für den vorliegenden Fall der offenen bloßen Entsperrung des Mobiltelefons.

Die zwangsweise Entsperrung des Mobiltelefons des Angeklagten durch Auflegen eines Fingers des Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor eines Mobiltelefons in Anwendung der Rechtsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO unterliegt damit im Übrigen lediglich dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch insoweit erweist sich im vorliegenden Fall die Maßnahme der einschreitenden Polizeibeamten als rechtmäßig. Sie diente dem legitimen Ziel der weiteren Aufklärung des Tatvorwurfs der Verbreitung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB, dessen der Angeklagten ausweislich des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Bremen vom 02.01.2023 verdächtig war; die Maßnahme war wegen der Wahrscheinlichkeit des Auffindens entsprechender als Beweismittel geeigneter Daten auf dem Mobiltelefon auch geeignet. Eine mildere gleich geeignete Maßnahme stand wegen der Schwierigkeiten einer anderweitigen Entsperrung eines Mobiltelefons hierfür nicht zur Verfügung; insbesondere wäre eine alternativ vorzunehmende Anfertigung eines Fingerabdrucks des Angeklagten zur Erstellung einer Fingerabdruck-Attrappe, mit welcher die Entsperrung vorzunehmen gewesen wäre, mit dem intensiveren Eingriff einer dauerhaften Speicherung der biometrischen Daten des Angeklagten einhergegangen. Zuletzt war die Maßnahme auch als angemessen anzusehen, dies namentlich auch im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung der im konkreten Fall zu schützenden Rechtsgüter: Im Vergleich hierzu tritt die Intensität sowohl des Eingriffs in die informationelle Selbstbestimmung wegen der Vermessung individueller biometrischer Daten des Betroffenen wie auch der Eingriff in die körperliche Freiheit durch das – hier nur mittels milder Maßnahmen herbeigeführte – zwangsweise Auflegen des Fingers auf den Sensor zurück. Wie bereits ausgeführt wurde, ist der weitere Datenzugriff und die Verwendung der erlangten Daten nicht Gegenstand der hier betroffenen Maßnahme gewesen; es ist auch nichts dazu ersichtlich, dass nach den Umständen des vorliegenden Falles bereits die bloße Ermöglichung des Datenzugriffs einschließlich der damit verbundenen Gefahr unbefugter oder missbräuchlicher Verwendung von einer Eingriffsintensität für den Betroffenen gewesen wären, die die Maßnahme der zwangsweisen Entsperrung des Mobiltelefons durch die einschreitenden Polizeibeamten als im Hinblick auf die betroffenen Schutzgüter nicht mehr angemessen erscheinen gelassen hätten. Dass im weiteren Verfahren die Verwendung der durch offenen Zugriff erlangten Daten durch die Ermittlungsbehörden in unzulässiger Weise erfolgt wäre oder dies konkret gedroht hätte, ist auch von der Revision nicht geltend gemacht worden.

Nach den Feststellungen des Landgerichts unterlag der Angeklagte keinem Irrtum hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, so dass sich die Frage einer Vermeidbarkeit dieses Irrtums im Sinne des § 113 Abs. 4 StGB bereits nicht stellt. Dass in der Literatur eine Gegenauffassung zu herrschenden Meinung der Zulässigkeit der Maßnahme der einschreitenden Polizeibeamten vertreten wird, begründet im Übrigen nicht ohne weiteres auch im konkreten Fall die Annahme eines entsprechenden vermeidbaren oder unvermeidbaren Irrtums des Angeklagten.