Teilweise erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung nachträglicher gerichtlicher Klärung der Gewährung ausreichenden diplomatischen Schutzes

30. Januar 2025 -

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 11. Dezember 2024 zum Aktenzeichen 1 BvR 1426/24 der Verfassungsbeschwerde eines deutschen Journalisten, welcher im Rahmen eines Aufenthalts in Venezuela festgenommen und inhaftiert wurde, teilweise stattgegeben.

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 12/2025 vom 30.01.2025 ergibt sich:

Der Beschwerdeführer erhob nach seiner Haftentlassung und Rückkehr nach Deutschland Klage bei dem Verwaltungsgericht Berlin und beantragte verschiedene gerichtliche Feststellungen, die im Kern zum Inhalt haben, die Bundesrepublik Deutschland habe ihm während einer viermonatigen Haft in Venezuela weder hinreichenden diplomatischen Schutz noch ausreichende konsularische Betreuung gewährt. Die Klage wurde durch das Verwaltungsgericht teils als unbegründet und teils als unzulässig abgewiesen; das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat den Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.

Soweit die Klage mit der Begründung mangelnden Feststellungsinteresses als teilweise unzulässig abgewiesen wurde, verletzen die gerichtlichen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Der Beschwerdeführer hat insoweit Anspruch auf nachträgliche gerichtliche Klärung etwa der von ihm aufgeworfenen Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland (hier das Auswärtige Amt) sein aus dem Staatsbürgerschaftsrecht und den Grundrechten folgendes Recht auf angemessenen diplomatischen Schutz im Ausland verletzt hat, indem es während seiner Gefangenschaft weder öffentlich gegen seine Inhaftierung protestiert noch von der Republik Venezuela seine Freilassung verlangt habe.
Die Sache wird in diesem Umfang an das Verwaltungsgericht Berlin zurückverwiesen.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer, ein deutscher Journalist, wurde im Jahr 2018 im Rahmen eines Aufenthalts in Venezuela festgenommen und für rund vier Monate in einer Haftanstalt des venezolanischen Geheimdienstes inhaftiert. Nach seiner Entlassung und Rückkehr nach Deutschland erhob er im Jahr 2020 Klage bei dem Verwaltungsgericht Berlin und beantragte verschiedene gerichtliche Feststellungen, die im Kern zum Inhalt haben, die Bundesrepublik Deutschland habe ihm während seiner Haft weder hinreichenden diplomatischen Schutz noch ausreichende konsularische Betreuung gewährt. Insbesondere habe das Auswärtige Amt weder öffentlich gegen seine Inhaftierung protestiert noch gegenüber der venezolanischen Regierung seine Freilassung gefordert.

Das Verwaltungsgericht Berlin wies die erhobene Feststellungsklage mit dem angegriffenen Urteil teils als unzulässig und teils als unbegründet ab. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg lehnte mit ebenfalls angegriffenem Beschluss den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Die Klage sei teilweise unzulässig, weil sie ein infolge der Freilassung des Beschwerdeführers bereits erledigtes Rechtsverhältnis zum Gegenstand habe. Es bestehe kein Interesse an einer gerichtlichen Feststellung wegen Wiederholungsgefahr, da eine hypothetische zukünftige Inhaftierung durch einen anderen Staat eine wesentliche Veränderung der Umstände darstelle und es daher nicht hinreichend bestimmbar sei, dass sich das Auswärtige Amt bei einer erneuten Inhaftierung im Ausland in gleicher Weise verhalten würde. Ein Feststellungsinteresse könne auch nicht damit begründet werden, dass über eine Klage von im Ausland inhaftierten Deutschen auf Gewährung weiteren diplomatischen Schutzes oder zusätzlicher konsularischer Betreuung typischerweise nicht noch während der Dauer der Inhaftierung in der Hauptsache entschieden werde.

Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde unter anderem eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Soweit sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht seine Klage teilweise als unzulässig abgewiesen und das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung insoweit abgelehnt hat, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet.

Mit seiner engen Interpretation des Begriffs der Wiederholungsgefahr lässt das Verwaltungsgericht den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Rechtsschutz trotz womöglich drohender schwerer Grundrechtsgefährdungen der Sache nach leerlaufen.

Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, in der Vergangenheit mehrfach im Rahmen seiner Tätigkeit als investigativer Journalist in Krisen- und Kriegsgebieten inhaftiert worden zu sein und auch künftig an dieser Tätigkeit festhalten zu wollen. Damit ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben, dass er in Zukunft erneut in einem Land, das erhebliche rechtsstaatliche Defizite aufweist, inhaftiert und damit auf die Hilfe des Auswärtigen Amts angewiesen sein wird. In Anbetracht des Gebotes, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist nicht die Prognose erforderlich, dass einem zukünftigen behördlichen Vorgehen in allen Einzelheiten die gleichen Umstände zugrunde liegen werden.

b) Zudem hat das Verwaltungsgericht nicht ausreichend geprüft, ob auf Seiten des Auswärtigen Amts hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sind, die die Annahme rechtfertigen, es werde auch bei einer erneuten Inhaftierung des Beschwerdeführers im Ausland in der gleichen Weise verfahren. An einer solchen Prüfung fehlt es schon deshalb, weil sich das Verwaltungsgericht an keiner Stelle seines Urteils dazu verhält, aus welchen Gründen das Auswärtige Amt im Fall des Beschwerdeführers – anders als in anderen Fällen – auf einen öffentlichen Protest gegen dessen Inhaftierung sowie eine öffentliche Forderung seiner Freilassung verzichtet hat. Ohne Berücksichtigung dieser Gründe lässt sich indes nicht beurteilen, welche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse für das Unterlassen des Auswärtigen Amts maßgebend waren, sodass in der Folge auch keine Aussage darüber getroffen werden kann, ob diese Umstände auch künftig im Wesentlichen unverändert vorliegen werden.

Das Verwaltungsgericht hat Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG weiterhin dadurch verletzt, dass es ein Feststellungsinteresse auch bezogen auf die Fälle verneint hat, in denen Grundrechtseingriffe tatsächlich typischerweise vor einer gerichtlichen Klärung in der Hauptsache überholt sind.

Zunächst macht der Beschwerdeführer mit der Behauptung, das Auswärtige Amt habe sich nicht ausreichend für seine Freilassung aus der Haft in einem venezolanischen Geheimdienstgefängnis eingesetzt und dadurch die aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG gegenüber ihm als deutschem Staatsangehörigen bestehende Pflicht zur Gewährung von Auslandsschutz verletzt, einen für die Annahme eines Feststellungsinteresses hinreichend gewichtigen Grundrechtseingriff geltend.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist im Fall der Inhaftierung eines deutschen Staatsangehörigen durch ein ausländisches Regime die direkte Belastung, die von einer mangelnden Unterstützung durch das Auswärtige Amt ausgeht, auch regelmäßig auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Inhaftierte eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung typischerweise kaum zu erlangen vermag. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht nicht in den Blick genommen, dass es der typischen Situation eines im Ausland Inhaftierten entspricht, dass er während seiner Haftzeit regelmäßig nicht die Notwendigkeit dazu sieht, Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel zu erheben, das Auswärtige Amt zu einer stärkeren Unterstützung zu bewegen. Denn aufgrund der typischerweise unzureichenden Möglichkeiten der Information wird er während seiner Haft in der Regel gar nicht erkennen können, welche konkreten Maßnahmen das Auswärtige Amt zur Wahrung seiner Interessen ergreift und ob diese so unzureichend sind, dass die Erhebung einer Klage angezeigt ist. Darüber hinaus würden der Erhebung einer Klage selbst für den Fall, dass der Inhaftierte die Notwendigkeit hierzu bereits während seiner Haft erkennt, typischerweise nicht unerhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen. Denn nicht nur stellte sich die Frage, ob der Inhaftierte angesichts des regelmäßig nur sporadischen Kontakts nach außen überhaupt in der Lage ist, Klage in Deutschland zu erheben und seine Interessen im Rahmen des dortigen Gerichtsverfahrens angemessen wahrzunehmen. Vielmehr sähe er sich in der Regel auch dem Dilemma ausgesetzt, das Auswärtige Amt um Unterstützung bei der Erhebung einer Klage bitten zu müssen, mit der er eben dieses zu einer größeren Unterstützung in seiner Sache anzuhalten versucht. Im Übrigen zeitigte die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts die mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbarende Konsequenz, dass in diesen Fällen gerichtlicher Rechtschutz für den Bürger praktisch nicht zu erlangen und damit das Handeln des Auswärtigen Amts einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen wäre.

Das Oberverwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss die Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dadurch vertieft, dass es § 124 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung in sachlich nicht gerechtfertigter Weise angewandt und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert hat.