Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 12.09.2024 zum Aktenzeichen 6 SLa 76/24 entschieden, dass die Pflicht des Arbeitgebers aus § 167 Abs. 1 SGB IX bei aufkommenden Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen ein Präventionsverfahren durchzuführen, nicht auf den Zeitraum nach Ablauf der Wartezeit aus § 1 Abs. 1 KSchG beschränkt ist. Die Pflicht besteht also auch schon in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses.
Wenn das Präventionsverfahren nicht durchgeführt wird, kann dies gemäß § 22 AGG die Vermutung begründen,
dass eine Kündigung wegen der Behinderung ausgesprochen wurde und damit die Vermutung, dass die Kündigung
wegen des Diskriminierungsverbots in § 164 Abs. 2 SGB IX in Verbindung mit § 134 BGB nichtig ist.
Wegen der spezifischen Probleme, ein Präventionsverfahren vor Ablauf der „Probezeit“ zum Abschluss zu
bringen, gilt für die Widerlegung der Vermutung ein abgesenktes Maß der Darlegungs- und Beweislast.
Im konkreten Fall war die Vermutung als widerlegt zu betrachten, weil (unstreitige) Tatsachen vorlagen, die
gegen die Annahme sprachen, dass die streitgegenständliche Probezeitkündigung (zumindest auch) wegen der
Schwerbehinderung des Klägers ausgesprochen worden war.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Probezeitkündigung, die die Arbeitgeberin einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gegenüber ausgesprochen hat und dabei insbesondere über die Frage, ob die Arbeitgeberin vor Ausspruch dieser Kündigung ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX hätte durchführen müssen.
Im Folgenden wird weiter der verbreitete Begriff „Probezeit“ für die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG verwendet.
Der Kläger ist im März 1984 geboren und war damit im Zeitpunkt der hier streitigen Kündigung 39 Jahre alt. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von zunächst 90 anerkannt. Im Einzelnen ist die Schwerbehinderung auf die folgenden Faktoren zurückzuführen: Hirnfunktionsstörung bei frühkindlichem Hirnschaden (Einzel-GdB 50); Stuhlhalteschwäche bei angeborener Mastdarmfehlbildung (Einzel-GdB 30); Chronisch wiederkehrendes Wirbelsäulensyndrom, Nervenwurzelreizung (Einzel-GdB 20); Krampfleiden (Einzel-GdB 40). Wegen einer Besserung des letztgenannten Krampfleidens wurde der GdB während des hier streitgegenständlichen Arbeitsverhältnisses auf 80 herabgesetzt.
Der Beklagten waren diese Hintergründe der Schwerbehinderung bis zum Gütetermin im vorliegenden Klageverfahren, der mehr als einen Monat nach Zugang der streitgegenständlichen Kündigung stattgefunden hat, nicht bekannt. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste sie nur, dass der Kläger als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 90 (später 80) anerkannt war. In dieser Kenntnis hat sie den Kläger eingestellt.
Die Parteien haben einen Arbeitsvertrag für die Zeit ab dem 01.01.2023 abgeschlossen. Vereinbart war die Tätigkeit „Beschäftigter im Bauhof“ zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 2.800,00 EUR und die Anwendbarkeit der Vorschriften des TVöD-VKA mit dem Besonderen Teil Verwaltung. Es handelt sich um die erste Tätigkeit des Klägers auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Die Kündigung ist nicht sozialwidrig (1.), sie bedurfte nicht der Zustimmung des Integrationsamtes (2.), sie ist nicht mangels Beteiligung der zuständigen Gremien oder Ämter rechtswidrig (3.), sie ist nicht sittenwidrig, treuwidrig oder unverhältnismäßig (4.) und insbesondere ist sie nicht wegen eines Verstoßes gegen ein Diskriminierungsverbot unwirksam (5.).
Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, denn diese Vorschrift setzt voraus, dass das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat. Vorliegend begann das Arbeitsverhältnis am 01.01.2023 und das Kündigungsschreiben ist dem Kläger am 23.06.2023, mithin eine Woche vor Ablauf der Wartezeit, zugegangen.
Die Kündigung bedurfte nicht der Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 168 SGB IX, denn auch diese Vorschrift ist erst nach Ablauf von sechs Monaten anwendbar, was sich aus § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX ergibt.
Die Kündigung ist nicht wegen fehlender oder fehlerhafter Beteiligung von Gremien und Ämtern unwirksam. Sie ist nicht gemäß § 74 Abs. 3 LPVG NW unwirksam, denn die Beklagte hat den Personalrat mit Schreiben vom 19.06.2023 zu der beabsichtigten Kündigung angehört und dieser hat ausdrücklich erklärt, keine Einwände zu haben. Für die Anhörung zu einer Probezeitkündigung ist die Mitteilung der Sozialdaten und die Bezugnahme auf die Vermerke der Kolonnenführer ausreichend. Insbesondere ist die Mitteilung ausreichend, dass der Kläger schwerbehindert ist, ohne dass es der konkreten Angabe des Grades der Behinderung bedürfte. Aus dem gleichen Grund und mit dem gleichen Maßstab ist die Kündigung auch nicht gemäß § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam, denn die Schwerbehindertenvertretung ist genauso wie der Personalrat am 19.06.2023 angehört worden. Auch diese hat ausdrücklich erklärt, keine Einwände zu haben. Die Gleichstellungsbeauftragte ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gleichstellungsgesetzes NW am 19.06.2023 angehört worden und hat ebenfalls zugestimmt. Das Inklusionsamt wurde gemäß § 173 Abs. 4 SGB IX über die Kündigung informiert.
Die Kündigung ist nicht sittenwidrig, treuwidrig oder unverhältnismäßig im Sinne der §§ 138, 242 BGB, § 1 Abs. 2 KSchG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss v. 27.01.1998 – 1 BvL 15/87 -) sind die Beschäftigten dort, wo die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht greifen, durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt. Der gemäß Art. 12 Abs. 1 GG gebotene Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust über die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB dürfe jedoch nicht dazu führen, dass dem Arbeitgeber die im Kündigungsschutzgesetz vorgesehenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auch außerhalb seines Geltungsbereichs auferlegt werden. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass der Vorwurf objektiver Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 BGB nur in besonders krassen Fällen erhoben werden kann, wenn das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verletzt und nicht einmal ein ethisches Minimum gewahrt wird (BAG v. 22.05.2003 – 2 AZR 426/02 -). Weiter hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass eine Kündigung dann gegen § 242 BGB verstößt und nichtig ist, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Dies gelte jedenfalls für eine Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der 6-monatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, weil sonst für diese Fälle über § 242 BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt werde.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, dass die Kündigung der Beklagten nicht gemäß §§ 138, 242 BGB unwirksam ist.
Die Kündigung der Beklagten ist nicht sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB. Mit dem Ausspruch der Kündigung während der Arbeitsunfähigkeitszeit hat die Beklagte nicht in so grober Weise gegen die Einhaltung des „ethischen Minimums“ verstoßen, dass dieser Kündigung die rechtliche Anerkennung verweigert werden müsste. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Beklagte die Kündigung wegen der Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Kreuzbandrisses ausgesprochen hätte. Selbst wenn es so wäre, verstieße die Kündigung nicht gegen Gesichtspunkte von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB. Krankheit ist nämlich als personenbedingter Kündigungsgrund von § 1 KSchG erfasst. Eine ausführliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Kündigungsform des § 1 Abs. 1 KSchG hat die Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit krankheitsbedingter Kündigungen weitgehend geklärt. Wollte man die krankheitsbedingten Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, auf das das Kündigungsschutzgesetz noch keine Anwendung findet, für treuwidrig halten, würde über § 242 BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt (BAG v. 05.04.2001 – 2 AZR 185/00 -).
Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hilft vorliegend nicht weiter. Die Verpflichtung, vor Ausspruch einer Kündigung eine andere zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit einzuräumen, beruht auf der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen des § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG. Dieser Grundsatz ist aber gerade bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes nicht anwendbar (BAG, Urteil vom 22.05.2003 – 2 AZR 426/02 -). Mit dem Hinweis, er könne in einer der beiden zuletzt ausprobierten Kolonnen arbeiten oder auf einem Arbeitsplatz, der sich nach Durchführung eines Präventionsverfahrens als geeignet erweisen könnte, stellt der Kläger somit die Wirksamkeit der Probezeitkündigung nicht in Frage.
Es gilt somit in der Wartezeit der Grundsatz der Kündigungsfreiheit, soweit nicht Sonderregelungen zum Kündigungsschutz eingreifen und soweit die Kündigung nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstößt (dazu im Folgenden).
Die Kündigung verstößt nicht gegen ein gesetzliches Verbot, insbesondere nicht gegen ein Diskriminierungsverbot. Sie ist daher nicht gemäß § 134 BGB unwirksam.
Der Kläger hat zwar im Prozess nicht ausdrücklich geltend gemacht, die Beklagte habe mit dem Ausspruch der Kündigung gegen das Benachteiligungsverbot aus § 164 Abs. 2 SGB IX verstoßen und diese Kündigung sei daher gemäß § 134 BGB unwirksam. Vielmehr hat er sein Klagebegehren durchgehend auf eine Benachteiligung durch das Unterlassen eines Präventionsverfahrens und damit die Kündigungsschutzklage auf die Nichteinhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gestützt. Nachdem aber das Arbeitsgericht die Kündigung als benachteiligende Maßnahme identifiziert hat und nachdem der Kläger sich mit der Berufungserwiderung auf die Entscheidungsgründe des Urteils bezogen hat, wird zu seinen Gunsten unterstellt, dass er sich nicht nur auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stützt, der wie gezeigt außerhalb des Kündigungsschutzes nicht weiterhilft, sondern auch auf eine verbotene Benachteiligung durch die ausgesprochene Kündigung.
Die Regelung in § 167 Abs. 1 SGB IX, die die Durchführung eines Präventionsverfahrens gebietet, ist selbst kein Verbotsgesetz, gegen das die Kündigung verstoßen könnte (a.). Als ein solches Verbotsgesetz kommt hier § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in Betracht („Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Menschen nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen“), das dem allgemeinen Diskriminierungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG entspricht (b.). Die bloße Nichtdurchführung des Präventionsverfahrens allein stellt keine Benachteiligung in diesem Sinne dar (c.). Unter Berücksichtigung der besonderen Beweislastregel in § 22 AGG kommt die Nichtdurchführung des Präventionsverfahrens aber als Tatsache in Betracht, die mit Blick auf die Kündigung eine Benachteiligung vermuten lässt (d.). Das gilt auch für die Zeit der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses (e.). Die so entstandene Vermutung ist im vorliegenden Fall aber widerlegt (f.).
Die Regelung in § 167 Abs. 1 SGB IX, die die Durchführung eines Präventionsverfahrens gebietet, ist selbst kein Verbotsgesetz, gegen das die Kündigung verstoßen könnte. Ein für die Anwendbarkeit des § 134 BGB berücksichtigungsfähiges Verbot muss sich gerade gegen die Vornahme des Rechtsgeschäfts richten. Dem Wortlaut des § 167 Abs. 1 SGB IX (früher: 84 Abs. 1 SGB IX) lässt sich aber nicht entnehmen, dass die Rechtsfolge einer Verletzung der Vorschrift stets die Unwirksamkeit einer Kündigung sein soll (vgl. BAG v. 07.12.2006 – 2 AZR 182/06; BAG v. 28.06.2007 – 6 AZR 750/06; BAG v. 24.01.2008 – 6 AZR 96/07).
Als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB, dessen Verletzung zur Unwirksamkeit der Kündigung führen kann, kommt hier § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in Betracht („Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Menschen nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen“), das dem allgemeinen Diskriminierungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG entspricht (vgl. BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12).
Die bloße Nichtdurchführung des Präventionsverfahrens allein stellt keine Benachteiligung im Sinne von § 164 Abs. 2 SGB IX und § 3 Abs. 1 AGG dar. Denn das Präventionsverfahren ist keine „positive Maßnahme“ zugunsten schwerbehinderter Menschen iSv. § 5 AGG sowie von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die infrage zu stellen hier kein Anlass ersichtlich ist, kann ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen aufstellen, grundsätzlich „nur“ die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung im Sinne des § 22 AGG begründen, dass der schwerbehinderte Mensch die unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG wegen der (Schwer)Behinderung erfahren hat (BAG v. 23.01.2020 – 8 AZR 484/18 –). Streitentscheidend wird die Frage, ob das Präventionsverfahren eine Maßnahme nach § 5 AGG darstellen kann, im Übrigen nur bei einem geltend gemachten Entschädigungsanspruch gemäß § 15 AGG, um den es hier nicht geht.
Unter Berücksichtigung der besonderen Beweislastregel in § 22 AGG kommt die Nichtdurchführung des Präventionsverfahrens aber als Tatsache in Betracht, die eine Benachteiligung durch den Ausspruch der Probezeitkündigung wegen der Behinderung vermuten lässt. § 167 Abs. 1 SGB IX ist eine Vorschrift, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen aufstellt.
Das gilt auch für die Zeit der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses. Soweit der 8. Senat des BAG zuletzt eine andere Auffassung vertreten hat (BAG v. 21.04.2016 – 8 AZR 402/14 -), überzeugt er die erkennende Berufungskammer ebenso wenig, wie die 18. Kammer des Arbeitsgerichts Köln in der streitgegenständlichen Entscheidung, auf deren Ausführungen ab Seite 8 Bezug genommen wird. Weder ergibt sich aus der Auslegung der Vorschrift eine zeitliche Begrenzung noch sind Gründe für eine teleologische Reduktion erkennbar (vgl. zur Kritik auch Kohte, jurisPR-ArbR 1/2018 Anm. 1; Kohte ZfPR – online 2024, Nr. 6 S. 19-21, Göttling, Festschrift für Preis, 2021, Seite 353, 362).
Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich keine zeitliche Beschränkung.
Die Systematik des Gesetzes ist eindeutig: Das Präventionsverfahren ist im Kapitel 3 „Sonstige Pflichten der Arbeitgeber“ geregelt. In diesem Kapitel ist nirgends von einer zeitlichen Begrenzung die Rede. Alle hier geregelten Pflichten der Arbeitgeber gelten (spätestens) ab dem ersten Tag der Beschäftigung. Erst im darauffolgenden Kapitel 4 „Kündigungsschutz“ ist in § 173 SGB IX eine zeitliche Beschränkung für die „Vorschriften dieses Kapitels“ vorgesehen. Diese zeitliche Beschränkung gilt unbestritten dann wieder nicht für das folgende Kapitel 5. Dort wurde vom Gesetzgeber am 30.12.2016 der neue § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (ehemals § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) eingefügt, demzufolge eine Kündigung ohne vorherige ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam ist. Soweit ersichtlich gibt es niemanden, der meint, diese Pflicht der Arbeitgeber entstehe erst nach Ablauf der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses.
Der Sinn und Zweck der Regelung über das Präventionsverfahren in § 167 Abs. 1 SGB IX, nämlich durch ein präventives Vorgehen die Integration der schwerbehinderten Menschen zu fördern, bestehende Arbeitsverhältnisse möglichst aufrecht zu erhalten und bei aufkommenden Problemen die sachkundigen Stellen bei der Suche nach Lösungen einzubeziehen (BAG v. 21.04.20216 – 8 AZR 402/14), spricht sogar deutlich gegen eine zeitliche Beschränkung. Gerade in der Probezeit kann es sinnvoll sein durch die Ermittlung und Anwendung unterstützender Maßnahmen das Arbeitsverhältnis über die ersten sechs Monate hinaus und für die weitere Zukunft zu sichern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Tag des Ablaufs der Wartefrist lediglich eine gesetzlich geregelte zeitliche Zäsur darstellt. Bis dahin kann eine Arbeitgeberin eine Probezeitkündigung aussprechen, sie muss es aber nicht. Erfährt die Arbeitgeberin von Schwierigkeiten im Sinne des § 167 Abs. 1 SGB IX und kommt sie, ggfls. nach Rücksprache mit der Schwerbehindertenvertretung, zu der Prognose, dass diese Schwierigkeiten nicht Anlass für eine Probezeitkündigung sein sollen und sein werden, ist vor dem Hintergrund des beschriebenen Gesetzeszwecks kein Grund ersichtlich, den Beginn der Pflicht zur Einleitung des Präventionsverfahrens auf einen Zeitraum nach dem Ablauf von sechs Monaten zu verschieben. Beispielsweise kann sich bei einem sehbehinderten Menschen, der sich in den ersten Wochen der Einarbeitungszeit fachlich und menschlich Anerkennung erarbeitet hat, für den sich aber am Computerarbeitsplatz erhebliche Schwierigkeiten auftun, die Frage stellen, wie, von wem und finanziert durch welche Mittel Hardware und Software an seine Bedürfnisse angepasst werden können; und dies mit dem Ziel, eine Vertiefung dieser Schwierigkeiten zu vermeiden und die Schwierigkeiten für die Zukunft ggfls. ganz zu beseitigen. In einem solchen Fall wäre es abwegig, mit der Prävention erst nach Ablauf von 6 Monaten zu beginnen. Ein Präventionsverfahren, das einschließlich der Implementierung ggfls. identifizierter Förderungsmaßnahmen ohne weiteres drei Monate oder noch mehr Zeit in Anspruch nehmen kann, kann so auch sinnvoll im letzten Monat der Probezeit begonnen werden – wenn die Arbeitgeberin nicht beschlossen hat, das Arbeitsverhältnis aus zu berücksichtigenden und nichtdiskriminierenden Gründen noch während der Probezeit zu beenden.
Für eine teleologische Reduktion der Vorschrift auf Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht, fehlt es bereits an einer planwidrigen Lücke. Von einer solchen planwidrigen Lücke kann dann ausgegangen werden, wenn sich die betreffende Vorschrift, gemessen an ihrer zugrundeliegenden Regelungsabsicht, in dem Sinn als unvollständig erweisen würde, dass sie einen erforderlichen Ausnahmetatbestand nicht aufweist. Ihre Anwendung müsste demnach zu zweckwidrigen Ergebnissen führen (BAG v. 20.07.2023 – 6 AZR 228/22 –). Solche zweckwidrigen Ergebnisse hat der 8. Senat in seiner Entscheidung vom 21.04.2016 – 8 AZR 402/14 – nicht benannt und sind auch nicht ersichtlich. Der von den Akteuren der betrieblichen Praxis mitunter geäußerte Einwand, die Notwendigkeit eines Präventionsverfahrens auch während der Probezeit führe dazu, dass nun von den deshalb abgeschreckten Arbeitgebern noch weniger schwerbehinderte Menschen eingestellt würden, kann sogar als richtig unterstellt werden. Denn der Zweck der Vorschrift ist die Sicherung des bestehenden Arbeitsverhältnisses und nicht der Zugang zu einem solchen. Gegen die Annahme einer planwidrigen Lücke spricht auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber mit dem Bundesteilhabegesetz aus dem Jahre 2016 und dem Teilhabestärkungsgesetz aus dem Jahre 2021 in Kenntnis der umstrittenen Frage nach dem Anwendungsbereich des Präventionsverfahrens Gesetzesnovellierungen vorgenommen hat, ohne die Formulierung des § 167 Abs. 1 SGB IX zu ändern.
Wegen der teilweise ähnlichen Wortwahl in § 167 Abs. 1 SGB IX und in § 1 Abs. 1 KSchG oder wegen Praktikabilitätserwägungen kommt nach alldem eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 167 SGB IX auf die Zeit nach Ablauf von sechs Monaten nicht in Betracht. Der Einwand des 8. Senats, „personen-, verhaltens- und betriebsbedingte Schwierigkeiten“ seien nur dann relevant, wenn es um die Verhinderung von personen-, verhaltens- und betriebsbedingten Kündigungen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gehen könne, schon deshalb wenig überzeugend, weil es auch im Kleinbetrieb Kündigungen geben kann, die durch solche Gründe bedingt sind, obwohl das Kündigungsschutzgesetz dort keine Anwendung findet und obwohl es auf die soziale Rechtfertigung der Kündigung nicht ankommen kann. Außerdem kann ein Arbeitsverhältnis während eines laufenden Präventionsverfahrens nach Ablauf der Probezeit in den Anwendungsbereich des § 1 KSchG hineinwachsen. Die Praktikabilitätserwägungen des 8. Senats in der zitierten Entscheidung, die insbesondere die beschränkte Zeit bis zum Ablauf der Wartefrist adressieren, sind zwar nachvollziehbar, öffnen aber keine planwidrige Lücke, weil sie offensichtlich nur Fälle im Fokus haben, in denen die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis während der Probezeit beenden möchte. Für diese Fälle ist zuzugeben, dass die in Literatur und Rechtsprechung vorgeschlagene Gegenmaßnahme „Vereinbarung einer Erprobungsbefristung wegen Behinderung“ ein erhebliches Prozessrisiko auslöst und daher nicht geeignet ist, für Rechtsfrieden zu sorgen. Man stelle sich nur einen Entfristungsrechtsstreit vor, in dem sich ein schwerbehinderter Mensch gegen die Wirksamkeit einer solchen Befristung wendet mit der Begründung, er sei von der Arbeitgeberin veranlasst worden, sein unbefristetes Arbeitsverhältnis zur Verhinderung einer – wegen behinderungsbedingter Minderleistung beabsichtigter – Probezeitkündigung aufzugeben und in ein befristetes umzuwandeln. Auch der Ratschlag, man möge das Präventionsverfahren wenigstens beginnen (durch einen Anruf beim Integrationsamt?), um dann kurz vor Ablauf der Wartefrist rechtssicher die Probezeitkündigung aussprechen zu können, reduziert das Präventionsverfahren auf eine reine Förmelei, was wiederum Sinn und Zweck wiedersprechen würde.
Die Entscheidung des EuGH vom 10.02.2022 (C-485/20) bestätigt die Sichtweise, dass eine Beschränkung von Fördermaßnahmen auf den Zeitraum nach Ablauf der Probezeit nicht in Betracht kommt. In der dortigen Entscheidung ging es um einen behinderten Menschen der „kein endgültig eingestellter Bediensteter“ war. Wie weit der dort entschiedene Fall vom vorliegenden Sachverhalt im Übrigen entfernt ist, wird noch zu zeigen sein. Bestätigt wird das Ergebnis allerdings auch durch eine neuere Entscheidung des EuGH vom 18.01.2024 (C-631/22).
Um den dargestellten strukturellen Problemen zu begegnen und um die Probezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht faktisch auszuschließen, muss der besagte Zeitdruck, der am Ende der Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG eintritt, beim Maß der notwendigen Darlegung Berücksichtigung finden, wenn es um die Frage geht, ob die nach § 22 AGG entstandene Vermutung einer Diskriminierung widerlegt ist.
Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass das Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX von den Arbeitgebern durchzuführen ist, wenn die dort genannten Schwierigkeiten auftreten. Diese Verpflichtung ist nicht beschränkt auf den Zeitraum nach Ablauf der Probezeit. Wird das Präventionsverfahren nicht durchgeführt, obwohl die Arbeitgeberin Schwierigkeiten im Sinne des § 167 Abs. 1 SGB IX festgestellt hat und wird danach eine Kündigung ausgesprochen, so stellt die Nichtdurchführung des Präventionsverfahrens ein vermutungsbegründendes Indiz im Sinne des § 22 AGG dafür dar, das die Arbeitgeberin den schwerbehinderten Menschen durch den Ausspruch der Kündigung wegen seiner Behinderung im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX benachteiligt hat.
Die so entstandene Vermutung, die Kündigung sei wegen der Behinderung ausgesprochen worden, ist im vorliegenden Fall aber widerlegt. Zu diesem Ergebnis ist die erkennende Kammer unter Berücksichtigung des Sachvortrages der Parteien, insbesondere unter Berücksichtigung des unstreitigen Sachverhalts nach § 286 ZPO gelangt.
Besteht die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt grundsätzlich das Beweismaß des sogenannten Vollbeweises. Die Arbeitgeberin muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere Gründe als die hier vorliegende Schwerbehinderung zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG v. 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 –). Das ist ihr hier – zusammen mit den unstreitigen Tatsachen – gelungen.
Mangels weiterer berücksichtigungsfähiger Einwände des Klägers nach § 138 Abs. 2 ZPO genügte im vorliegenden Fall zusammen mit dem unstreitigen Sachverhalt die Behauptung der Beklagten, sie habe wegen mangelnder Eignung eine Probezeitkündigung ausgesprochen und im Motiv dafür sei die Schwerbehinderung des Klägers nicht vorgekommen.
Bei der Prüfung, welches Maß an die Darlegung der Arbeitgeberin angelegt werden muss, die Schwerbehinderung sei in ihrem Motivbündel bei Ausspruch der Kündigung nicht vorgekommen, sind einige allgemeine Besonderheiten des Präventionsverfahrens während der Probezeit zu beachten (1. bis 4.) und einige Facetten des konkreten hier zu entscheidenden Falles (5. bis 12.):
Es geht hier um eine „Probezeitkündigung“ also um eine Kündigung während der Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes. Wie gezeigt ist die Wartezeit Ausdruck des vom BVerfG als hinreichend ausgewogenen erkannten Kündigungsschutzverfahrens und berücksichtigt neben dem Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten und deren Recht auf Gleichbehandlung die Interessen der Arbeitgeber am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie wechselseitig die Grundrechtspositionen aus Art 12 GG. Während in Deutschland das Ergebnis dieser Abwägung einen Zeitraum von 6 Monaten betrifft, ging es im Fall des EuGH (C-485/20) um eine „Probezeit“ von 22 Monaten.
Die Pflicht, bei auftretenden Schwierigkeiten ein Präventionsverfahren durchzuführen – und dies nach dem hier gefundenen Ergebnis sogar vom ersten Tag des Arbeitsverhältnisses an – ist nach diesem verfassungsrechtlichen Verständnis eine Belastung der Dispositionsfreiheit der Arbeitgeber, einer Dispositionsfreiheit, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Abwägung der beiderseitig betroffenen Grundrechte mit der freien Kündigungsmöglichkeit während der Wartezeit gewährleistet sein soll und muss.
Ein Präventionsverfahren mit bis zu sieben Teilnehmern (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Betriebsrat/Personalrat, Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt, ggfls. Integrationsfachdienst, ggfls. Betriebsarzt), das dem Sinn des Verfahrens entspricht, also einen echten Austausch und ein echtes Bemühen der Beteiligten um die Beseitigung der Schwierigkeiten zum Gegenstand hat, und sich nicht in purem Informationsaustausch erschöpft, braucht Zeit. Die Betrachtung der Sachlage nach Durchführung eines solchen Verfahrens und damit die Beurteilung, ob eine Probezeitkündigung umgangen werden kann, braucht ebenfalls Zeit. Schließlich wird auch zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses einige Zeit vergehen müssen, bis Schwierigkeiten im Sinne des § 167 Abs. 1 SGB IX von typischen Anfängerfehlern unterschieden werden können. So dürfte sich typischerweise das Zeitfenster für ein während der Probezeit ordnungsgemäß durchzuführendes Präventionsverfahren Anfang des zweiten Monats öffnen und am Ende dieses zweiten Monats gleich wieder schließen. Das bedeutet, dass schwerbehinderte Beschäftigte während der Probezeit besonders genau beobachtet werden müssen. Die Arbeitgeber stehen damit vor einem Dilemma: Kontrollieren sie die schwerbehinderten Menschen genauer als die nicht schwerbehinderten Menschen, um im noch geöffneten Zeitfenster handeln zu können, dann kann sich diese Kontrolle als nachteilige Behandlung darstellen. Kontrollieren sie nicht und beurteilen sie – wie bei nichtbehinderten Menschen – am Ende der „Probezeit“ anhand von Beurteilungen der Vorgesetzten vor Ort, ob eine weitere Zusammenarbeit in Betracht kommt, wird ihnen ggfls. vorgehalten, dass sie – wiederum benachteiligend – durch Abwarten den Effekt des Präventionsverfahrens vereitelt haben.
Ein berücksichtigungsfähiges Gewicht haben die zu vernehmenden Bedenken, dass sich die als „zusätzlich“ empfundene Arbeitgeberpflicht während der Probezeit als Einstellungshemmnis darstellen könnte, verbunden mit der Befürchtung, die einmal Eingestellten nie mehr wieder loszuwerden zu können – auch nicht während der Probezeit.
Schon wegen der vorgenannten allgemeinen Schwierigkeiten im Zusammenspiel von Wartezeit und Präventionsverfahren muss bei der Darlegungs- und Beweislast für die Widerlegung der Diskriminierungs-Vermutung ein dynamischer Maßstab angelegt werden.
Im hier konkret vorliegenden Fall hat die Beklagte den Kläger in Kenntnis eines GdB von 90 eingestellt. Das zeigt alles andere als eine Voreingenommenheit gegenüber schwerbehinderten Menschen. Dem gegenüber erwarb der Arbeitnehmer im vom EuGH entschiedenen Fall (C-485/20) erst während des laufenden Arbeitsverhältnis den Status des schwerbehinderten Menschen.
Die Beklagte hat die Kündigung nicht ausdrücklich wegen der Behinderung ausgesprochen. Das unterscheidet den Sachverhalt von dem vom EuGH entschiedenen Fall. Dort kündigte die Arbeitgeberin ausdrücklich wegen der Herzprobleme des Klägers, die die ihr bekannte Grundlage der Schwerbehinderung waren.
Der Beklagten waren die Hintergründe der Schwerbehinderung nicht bekannt, insbesondere nicht die Hirnfunktionsstörung des Klägers. Auch hier unterscheidet sich der Sachverhalt von dem Sachverhalt der EuGH-Entscheidung. Dort wusste die Arbeitgeberin von der behinderungsbegründenden Herzfunktionsstörung.
Das Gegenargument, diese Nichtkenntnis werde in einem ordnungsgemäß durchgeführten Präventionsverfahren beseitigt, stellt einen dialektisch unzulässigen Zirkelschluss dar und setzt im Übrigen eine nicht selbstverständliche Offenbarung und eine Schweigepflichtentbindung durch den Kläger voraus. Der Kläger hat zwar bemängelt, nie nach einer Schweigepflichtentbindung gefragt worden zu sein, er hat aber nicht vorgetragen, er habe beabsichtigt, auf eine solche Frage eine Schweigepflichtentbindung zu erklären. Zu berücksichtigen ist in dieser Hinsicht auch, dass bis zum Ablauf der Probezeit genauso wie die Frage nach einer Schwerbehinderung im Allgemeinen die Frage nach dem Hintergrund der Schwerbehinderung im Besonderen selbst als Indiz für eine Benachteiligung herangezogen werden könnte (vgl. BAG v. 17.12.2009 – 8 AZR 670/08 –).
Zur Bewertung des relevanten Motivbündels, dessen Gegenstand nicht und auch nicht teilweise die Behinderung des betroffenen Menschen sein darf, ist noch das folgende zu beachten: Der „objektive“ Verstoß des Arbeitgebers gegen Bestimmungen, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann die Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung regelmäßig nur begründen, wenn dem Arbeitgeber „subjektiv“ die Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung der betreffenden Person bekannt war oder sie diese kennen musste. Ist dies nicht der Fall, kann weder die Schwerbehinderung noch die Gleichstellung „Bestandteil eines Motivbündels“ gewesen sein, das die Entscheidung des Arbeitgebers (mit)beeinflusst hat (zum Motivbündel vgl. BAG v. 18.09.2014 – 8 AZR 753/13 -). Strukturell gleiches gilt, wenn es um den konkreten Hintergrund der im Übrigen bekannten Schwerbehinderung geht. Dieser Hintergrund kann nur Teil des Motivbündels sein, wenn die Arbeitgeberin ihn kennt.
Wegen ihrer Unkenntnis hatte die Beklagte keine Veranlassung, die in den Vermerken zum Ausdruck gekommenen Mängel an Bemühungen um Arbeitssicherheit, um Kollegialität, um Weisungstreue usw. auf die Schwerbehinderung des Klägers zurückzuführen.
Ein Beschäftigter im Bauhof muss Weisungen befolgen, er sollte ausführliche Diskussionen mit seinen Vorgesetzten über Aufgabenzuweisung und Aufgabenverteilung unterlassen, er sollte sich nicht als Besserwisser aufspielen, er sollte nach Einarbeitung mit Maschinen umgehen können, er sollte Selbstgefährdung und Fremdgefährdung vermeiden, er sollte eine kollegiale Kommunikation mit den anderen Mitgliedern der Kolonne pflegen, er sollte versuchen sich insgesamt so zu positionieren, dass nicht ganze Kolonnen ablehnen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Das gilt für nichtbehinderte Menschen genauso wie für Menschen mit Behinderung. Der Kläger hat das genannte Programm für die Probezeit nicht erfüllt, jedenfalls ist diese Beurteilung aus dem Blickwinkel der Beklagten angesichts der vorgelegten Vermerke nachvollziehbar. Da der Beklagten nicht bekannt war, welchen Hintergrund die Schwerbehinderung des Klägers hatte, konnte und musste sie nicht davon ausgehen, dass die Nichterfüllung des besagten Programms im Zusammenhang mit seiner Behinderung stand.
Die Beklagte hat sich um ein breites Bild bemüht, indem sie den Kläger nicht nur in einer Kolonne (z.B. nur Spielplatzpflege) eingesetzt hat, sondern in der Grünflächenunterhaltung, in der Pflege des Straßenbegleitgrüns, in der Sportplatzpflege, und in der Kolonne „Verkehr und Service“. Sie ist danach insgesamt zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Kläger während der Probezeit nicht bewährt habe und sich nicht ausreichend in das Team eingefügt habe. Bei der Lektüre der Vermerke über die letzten beiden Kolonnen fällt in der Tat auf, dass diese nicht ganz so negativ ausfallen, wie die vorangegangenen, wenn es in den letzten beiden Vermerken von Herrn M und Herrn D empathisch heißt: „jederzeit nett und freundlich“ und „respektvoll und nett zu mir“. Trotzdem ist dort die Rede von „weitestgehend zur Zufriedenheit“, „leider … nicht immer die Aufgaben ausgeführt“, „kleinere Diskussionen“, „empfand … andere Arbeiten … als wichtiger als seine eigentliche Aufgabe“, „interne Konflikte“, „aufgeregten und unruhigen Eindruck“, „Konzentrationsschwäche“ und „arbeitete oft weiter mit Gehörschutz“. Bei Herrn M heißt es in seiner Mail vom 19.06.2023 also in der jüngsten Äußerung eines Vorgesetzten: „definitiv keine Arbeit mit ihm vorstellen“, „richtige Konflikte“ und „empfehle ich, das Arbeitsverhältnis zu beenden.“
Die Anhörungen der Gremien bieten keinen Hinweis auf die Schwerbehinderung des Klägers als Motiv oder als Teil eines Motivbündels für die Kündigung. Wie der Betriebsrat und die Gleichstellungsbeauftragte hat auch die Schwerbehindertenvertretung zur beabsichtigten Probezeitkündigung ausdrücklich „keine Bedenken“ mitgeteilt.
Die Personalverantwortlichen der Beklagten haben unstreitig erst am 19.06.2023 von den Vermerken der Vorgesetzten Kenntnis erlangt, also elf Tage vor Ablauf der Probezeit. Das entspricht den üblichen Wiedervorlagen in Personalabteilungen zur Prüfung der Probezeitbewährung. Die Arbeitgeberin durfte die Durchführung des Präventionsverfahrens in dieser kurzen Zeit als unmöglich betrachten. Nur um der guten Ordnung Willen ein Präventionsverfahren zu „beginnen“, wäre in dieser Situation reine Förmelei. Eine gesonderte Wiedervorlage zum Ende des ersten Monats mit dem Vermerk „Schwerbehinderung! Präventionsverfahren?“ könnte sich wiederum als Indiz zur Begründung einer Benachteiligungsvermutung darstellen, genauso wie eine standardmäßig eingerichtete „Engführung“ aller schwerbehinderten Beschäftigten in der Probezeit. Dass die Beklagte keine dieser beiden Erkenntnisquellen genutzt hat, war deshalb nicht pflichtwidrig.
Ein freier Arbeitsplatz, auf dem der Kläger als „Beschäftigter im Bauhof“ hätte eingesetzt werden können, ist weder vom Kläger bezeichnet worden noch ist er ersichtlich. Gleiches gilt für einen Arbeitsplatz außerhalb des Bauhofes, für den die Qualifikation des Klägers ausreicht.
Die Einlassung der Beklagten, sie habe die Kündigung nicht (wenigstens auch) wegen der Schwerbehinderung des Klägers ausgesprochen, sondern weil der Kläger ihre Erwartungen nicht erfüllt und weil er sich nicht ins Team eingefügt habe, ist daher nicht nur eine reine Behauptung. Ihre Evidenz ergibt sich aus den vorgenannten 12 Gesichtspunkten.
Zusammengefasst kann daher festgestellt werden, dass die Pflicht zur Durchführung des Präventionsverfahrens nicht auf die Zeit nach Ablauf der Probezeit beschränkt ist, dass die Verletzung dieser Pflicht ein Indiz zur Begründung einer Benachteiligungsvermutung darstellt, dass der Maßstab zur Widerlegung dieser Vermutung in Fällen des unterbliebenen Präventionsverfahrens schon im allgemeinen beschränkt ist und dass hier im Besonderen nichts für ein Motivbündel spricht, in welchem die Behinderung des Klägers bei Ausspruch der Kündigung vorgekommen sein könnte.