Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 20.09.2024 zum Aktenzeichen 1 Ca 1982/24 in einem von Fachanwalt für Arbeitsrecht Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. der Kölner Schwerpunktkanzlei für Kündigungsschutz & Arbeitsrecht JURA.CC vertretenen Fall entschieden, dass ein Arbeitgeber in der Lage ist den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.
Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.
Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, siehe statt vieler BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, AP Nr. 11 zu § 5 EntgeltFG, zu I. 1. a) der Gründe m.w. Nachw.).
Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung i.S des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (ständige Rechtspr. und über-wiegende Ansicht in der Lit., siehe die zahlr. Nachw. bei BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, a.a.O., zu I. 1. a) aa) der Gründe).
Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet jedoch keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit i.S. des § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre (ständige Rechtspr. und überwiegende Ansicht in der Lit., siehe die zahlr. Nachw. bei BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, a.a.O., zu I. 1. a) bb) der Gründe). Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt jedoch ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeits-bescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regel-beispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, a.a.O., zu I. 1. a) bb) der Gründe). Hierfür gibt es weder nach Wortlaut, Systematik und Zweck der Regelung, der in der Bekämpfung eines Missbrauchs der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall liegt (vgl. BT-Drs. 12/5263 S. 10), hinreichende Anhaltspunkte. Diese Bestimmung gibt ihm lediglich ein zusätzliches Instrument zur Erschütterung des Beweiswerts an die Hand, um einem missbräuchlichen Verhalten des Arbeitnehmers begegnen zu können. Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, a.a.O., zu I. 1. a) bb) der Gründe).
Bei der näheren Bestimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hat das Bundesarbeitsgericht bereits erkannt, dass dem Arbeitgeber, der sich auf eine Fortsetzungserkrankung i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG beruft, hinsichtlich der ihn in-soweit treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen sind (sie-he die Nachw. bei BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, a.a.O., zu I. 1. a) cc) der Gründe). Ebenso hat es entschieden, dass in Bezug auf die vom Arbeitgeber im Rahmen von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorzutragenden Indizien für das Vorliegen ei-nes einheitlichen Verhinderungsfalls der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen angemessen Rechnung zu tragen ist (vgl. BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, a.a.O., zu I. 1. a) cc) der Gründe m.w. Nachw.). Da die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung oder eine Beweislastumkehr auslöst, dürfen an den Vortrag des Arbeitsgebers, der ihren Beweiswert erschüttern will, keine – unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten – überhöhten Anforderungen gestellt werden. Der Arbeit-geber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, a.a.O., zu I. 1. a) cc) der Gründe).
Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweis-last wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag z.B. dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, a.a.O., zu I. 1. b) der Gründe).
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat hier der Kläger die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung für die streitgegenständliche Zeit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht dargetan.
Der Beweiswert der vom Kläger eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist in zweifacher Hinsicht erschüttert: Zum einen dadurch, dass der Kläger – gleichsam „passgenau“ – direkt am Folgetag, nachdem zwischen den Parteien unstreitig Gespräche über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im Raume standen, arbeitsunfähig erkrankt geworden sein will. Zum anderen aus dem – mehr als ungewöhnlichen – Umstand, dass die vom Kläger eingereichten Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen z.Tl. jeweils Zeiträume von 4 (in Worten: vier!) Wochen umfassen.
In der Folge trägt der Kläger (wieder) die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung eines Entgeltfortzahlung-anspruchs nach § 3 Abs. 1 EFZG. Es wäre an ihm gewesen, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine in der streitgegenständlichen Zeit bestehende Erkrankung zulassen (vgl. BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, a.a.O., zu I. 2. b) der Gründe). An einem solchen konkreten Tatsachenvortrag des Klägers fehlt es bislang völlig. Insbesondere fehlt es an einem substantiierten Vortrag zu den während des streitgegenständlichen Zeitraums konkret bestehenden gesundheitlichen Beschwerden und Einschränkungen, deren Intensität und ihren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Klägers für die von diesem geschuldete Tätigkeit (zu diesen Erfordernissen siehe im Einzelnen BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, a.a.O., zu I. 2. b) der Gründe). Die vom Kläger eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vermochten einen insoweit erforderlichen substantiierten Tatsachenvortrag bereits deshalb nicht zu ersetzen, weil darin die Diagnoseschlüssel (ICD-10-Codes) jeweils durch Schwärzungen unkenntlich gemacht wurden.
Der Kläger ist damit seiner primären Darlegungslast zu einer im Klagezeitraum objektiv bestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht nachgekommen.