Die Otto Group mit Hauptsitz in Hamburg ist eine führende Handels- und Dienstleistungsgruppe, die laut Gewerkschaft Verdi rund 51.800 Mitarbeiter beschäftigt und nach Amazon weltweit der zweitgrößte Onlinehändler ist. Schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie bot Otto Möglichkeiten zur Remote-Arbeit an und legte großen Wert auf Themen wie New Work, Work-Life-Balance und flexible Arbeitsmodelle in seiner Personalwerbung. Mitarbeitende hatten die Freiheit, selbstständig zu entscheiden, ob, wann und wie viel sie im Büro arbeiten möchten.
Die plötzliche Einführung einer Präsenzpflicht von 50 Prozent bei Otto ist nicht nur ein großer Einschnitt, sondern wirft auch Fragen auf hinsichtlich des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter. Selbst Unternehmen, die sich für flexible Arbeitskonzepte stark machen, scheinen im Moment Schwierigkeiten mit einem hohen Anteil an Homeoffice-Mitarbeitenden zu haben und schränken die Freiheiten ihrer Angestellten ein. Die Rückkehr zur Präsenz im Büro wird von Otto damit begründet, dass dies zu einem stärkeren Zusammenhalt und einer emotionalen Bindung der Mitarbeiter mit dem Unternehmen führen soll.
Es stellt sich die Frage, ob der Versandhändler es wirklich schaffen kann, die Präsenzpflicht erfolgreich umzusetzen, die derzeit bei vielen Mitarbeitern Kritik hervorruft. Für Otto geht es ab Januar 2025 nicht nur darum zu testen, wie gut die Anwesenheitspflicht in der Praxis funktioniert. Es wird auch eine Herausforderung für das Unternehmen sein, das eigene Selbstverständnis als Arbeitgeber und die Vorstellung von moderner Arbeit neu zu definieren, um die eigenen Mitarbeiter zu überzeugen.
Bisher hatten die Teams bei Otto in Hamburg die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie viel sie von zu Hause aus arbeiten und wie viel sie in Präsenz erscheinen. Doch das wird sich ab Januar ändern, wenn eine Anwesenheitspflicht von 50 Prozent eingeführt wird. Diese Regelung wird zunächst in einer Testphase erprobt, um langfristig zu entscheiden, wie weiter verfahren werden soll. Ein Unternehmenssprecher erklärte, dass bestimmte Absprachen einfacher, besser und schneller in Präsenz getroffen werden können, was den Anstoß für diese Änderung gab.
Die Mitarbeiter wurden über die neue Regelung in einem Artikel im Intranet informiert, woraufhin bereits Hunderte von 5.000 Beschäftigten in der Kommentarspalte des Artikels Kritik geäußert haben. Einige argumentieren, dass ihr Familienleben auf das Homeoffice ausgerichtet sei und sie die neue Regelung als Einschränkung empfinden. Am 14. November 2024 wird es eine Betriebsversammlung mit allen Beschäftigten und dem Vorstand geben, um über die Änderungen zu diskutieren und mögliche Bedenken anzusprechen. Dies zeigt, dass die Einführung der Anwesenheitspflicht auf Widerstand stößt und das Unternehmen vor der Herausforderung steht, seine Mitarbeiter zu überzeugen und ihre Bedürfnisse bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen.
Der Unternehmenssprecher betonte, dass viele Familien ihr Leben bereits auf das Arbeiten im Homeoffice ausgerichtet haben und nun gezwungen sind, sich neu zu organisieren. Um dies zu ermöglichen, findet am Donnerstag ein großes Meeting mit allen Mitarbeitern und dem Vorstand statt, bei dem Fragen gestellt und Kritik geäußert werden können.
Die Otto Group strebt die Schaffung einer ausgewogenen Balance zwischen Präsenz- und Remote-Arbeit an. Laut Unternehmenssprecher Frank Surholt wird ab Januar 2025 angepasst, dass 50 Prozent der Arbeitszeit auf dem Otto Group Campus und die restlichen 50 Prozent flexibel von zu Hause aus erfolgen können. Otto betont, dass es kein reines Remote-Unternehmen ist und die gemeinsame Arbeit im Büro den sozialen Zusammenhalt und die emotionale Bindung zum Unternehmen positiv beeinflusst. Die neue Regelung gelte für alle Mitarbeiter an allen Standorten, mit Ausnahme derjenigen, die 100 Prozent Remote-Arbeitsverträge unterzeichnet haben.
Die genaue Umsetzung dieser Regelung ist noch nicht endgültig entschieden, ein Zwischenfazit soll nach einer dreimonatigen Einführungsphase gezogen werden. Bisher hatten die Mitarbeiter bei Otto die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob sie im Büro oder im Homeoffice arbeiten möchten. Doch diese Flexibilität wird zukünftig durch die neue Regelung ab 2025 eingeschränkt.
Es ist unklar, ob Otto nach der Testphase ohne signifikante Produktivitätssteigerungen oder erhöhte Zufriedenheitsraten wieder zum alten Modell zurückkehren wird. Die Sprecherin erklärte, dass dies zum aktuellen Zeitpunkt nicht beurteilt werden könne. Es gab bisher keine Schulungsmaßnahmen für Mitarbeiter im Hinblick auf neue Arbeitsmethoden, die mit dem Homeoffice verbunden sind.
Die Personalvorständin Katy Roewer betonte im November 2023 öffentlich, dass Flexibilität am Arbeitsplatz wichtiger denn je ist, besonders um hochqualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Sie erklärte, dass bei Otto weiterhin die Möglichkeit besteht, von zu Hause, unterwegs oder sogar während einer Arbeitsreise zu arbeiten, da das Unternehmen seinen Mitarbeitenden vertraut. Die Frage, ob diese Flexibilität beibehalten wird, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.