Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 25. November 2021 zum Aktenzeichen 8 AZR 313/20 in einem von Rechtsanwalt & Fachanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. der Kölner kanzlei JURA.CC vertretenen Fall entschieden, dass der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, regelmäßig die Vermutung im Sinne von § 22 AGG begründet, dass der/die erfolglose schwerbehinderte Bewerber/in im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde.
Zwischen den Parteien besteht Streit darüber, ob der beklagte Landkreis (nachfolgend „Beklagter“ genannt) verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) aufgrund einer vermuteten Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderung zu zahlen.
Im November 2017 veröffentlichte der Beklagte über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit eine Stellenausschreibung für die Position eines Amtsleiters im Rechts- und Kommunalamt des Landkreises. Die Anforderungen an die Bewerber waren ein abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium in Rechtswissenschaften oder ein juristisches Staatsexamen, mehrjährige einschlägige Berufs- und Führungserfahrung im kommunalen Bereich.
Der schwerbehinderte Kläger mit einem Grad der Behinderung von 50 bewarb sich unter Angabe seiner Schwerbehinderung auf die Stelle. Der Beklagte informierte ihn im April 2018, dass er sich für einen anderen Bewerber entschieden habe, ohne den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Daraufhin beschwerte sich der Kläger schriftlich beim Beklagten und forderte erfolglos eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Auf seine Beschwerde erhielt er keine Antwort.
In seiner Klage behauptete der Kläger, dass der Beklagte ihn aufgrund seiner Schwerbehinderung diskriminiert habe.
Er argumentierte unter anderem, dass der Beklagte nicht den gesetzlichen Pflichten gemäß SGB IX nachgekommen sei, indem er die Schwerbehindertenvertretung nicht über die Bewerbung informiert und den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe.
Der Kläger beantragte eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Der Beklagte wies die Ansprüche des Klägers zurück und argumentierte, dass er keine Diskriminierung begangen habe.
Er behauptete, dass er die gesetzlichen Anforderungen erfüllt habe, die Schwerbehindertenvertretung informiert habe und der Kläger nicht die erforderliche Berufs- und Führungserfahrung für die Stelle mitgebracht habe.
Auf die Klage des Bewerbers durch Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. vor dem Arbeitsgericht Dresden hat dieses die Klage des Bewerbers zurückgewiesen und auch das Sächsische Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Bewerbers durch Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Bewerbers durch Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. hat das Bundesarbeitsgericht die Revision zugelassen.
Auf die Revision des Bewerbers durch Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. hat das Bundesarbeitsgericht nun eine Entschädigung von 1,5 Bruttomonatsgehältern in Höhe von 6.864,00 Euro ausgeurteilt.
Die obersten Arbeitsrichter des Bundesarbeitsgerichts stellten fest, dass der beklagte Landkreis den Bewerber wegen der Schwerbehinderung benachteiligt hat und ihm deshalb die Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG schuldet.
Der beklagte Landkreis hatte es entgegen § 165 Satz 1 SGB IX unterlassen, den ausgeschriebenen, mit schwerbehinderten Menschen besetzbaren Arbeitsplatz der zuständigen Agentur für Arbeit zu melden.
Die Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit stellt keine Meldung iSv. § 165 Satz 1 SGB IX dar.
Der Umstand der unterlassenen Meldung begründet die Vermutung, dass der Bewerber im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde.
Nach § 165 Satz 1 des Sozialgesetzbuches IX sind öffentliche Arbeitgeber dazu verpflichtet, frühzeitig freie und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze den Agenturen für Arbeit zu melden, nachdem eine interne Besetzung des Arbeitsplatzes erfolglos geprüft wurde.
Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung seitens des öffentlichen Arbeitgebers kann die Vermutung begründen, dass ein/e erfolgloser schwerbehinderter Bewerber/in aufgrund seiner/ihrer Schwerbehinderung benachteiligt wurde, gemäß § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
Um eine ordnungsgemäße Meldung gemäß § 165 Satz 1 SGB IX vorzunehmen, ist es erforderlich, einen Vermittlungsauftrag an die besonderen Stellen bei der Agentur für Arbeit zu erteilen, die gemäß § 187 Abs. 4 SGB IX für die Durchführung der gesetzlichen Aufgaben zur Teilhabe behinderter und schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben zuständig sind.
Dabei müssen alle relevanten Daten angegeben werden, die für einen qualifizierten Vermittlungsvorschlag erforderlich sind.
Der Beklagte hat entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts die zu besetzende Stelle nicht entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. des § 165 Satz 1 SGB IX nF bei der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet.
Dies lässt vermuten, dass der Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung eine unmittelbare Benachteiligung erfahren hat.
Es ist also nicht nur möglich, dass weitere Verstöße des Beklagten gegen Förder- und Verfahrensbestimmungen für schwerbehinderte Menschen vorlagen, sondern auch, dass die Nichtbeantwortung der Beschwerde des Klägers nach § 13 AGG ein Indiz für eine Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderung sein könnte.
Gemäß § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 1 SGB IX nF sollen Dienststellen öffentlicher Arbeitgeber frei werdende und neu zu besetzende Stellen frühzeitig bei den Agenturen für Arbeit melden, damit geeignete schwerbehinderte Bewerber die Chance erhalten, diese Stellen zu besetzen.
Dies dient der Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben und der Umsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.
Die Nichtmeldung oder unzureichende Meldung an die Agentur für Arbeit begründet daher die Vermutung einer Benachteiligung aufgrund einer Schwerbehinderung, da der Arbeitgeber den Eindruck erweckt, Desinteresse an der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen zu haben.
Die ordnungsgemäße Meldung erfordert die Erteilung eines Vermittlungsauftrags an die speziellen Stellen bei der Agentur für Arbeit, um geeignete Vermittlungsvorschläge für Arbeitsuchende und Arbeitgeber zu ermöglichen.
Die bloße Veröffentlichung eines Stellenangebots über die Jobbörse der Agentur für Arbeit genügt nicht den Anforderungen der Meldungspflicht nach dem Sozialgesetzbuch IX.
Daher ist die Vermutung naheliegend, dass der Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung eine unmittelbare Benachteiligung erfahren hat.
Es ist nicht relevant, ob der Kläger Kenntnis von der Stellenausschreibung hatte, da allein der Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen Grund genug für die Annahme einer Benachteiligung wegen Schwerbehinderung ist.
Selbst wenn dem Kläger die fachliche Eignung für die Stelle fehlen würde, würde dies den Beklagten lediglich von der Einladungspflicht zu einem Vorstellungsgespräch befreien, jedoch nicht von seiner Meldepflicht an die Agentur für Arbeit.