Zu auffällig gestaltetes Grad verstößt gegen Friedhofsatzung

19. Oktober 2024 -

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 07.10.2024 zum Aktenzeichen 1 S 800/24 entschieden, dass ein mit Sockel 1,55 m hohes Grabmal in Gestalt einer Person in leuchtendem weiß, gelb, orange und rot errichten, verstößt gegen Friedhofssatzung.

Nach § 15 FS müssen Grabmale und sonstige Grabausstattungen „der Würde des Friedhofs in seinen einzelnen Teilen und in seiner Gesamtanlage entsprechen“. § 14 BestattG bestimmt: „Gestaltung und Ausstattung der Grabstätten müssen der Würde des Orts entsprechen“. Bei den genannten Vorschriften handelt es sich um allgemeine Gestaltungsvorschriften, die einen zu berücksichtigenden gestalterischen Mindeststandard bilden und die der Erreichung des Friedhofszwecks dienen. Grundsätzlich sind die Angehörigen oder sonstigen Grabnutzungsberechtigten berechtigt, die Grabstätte in einer ihrem ästhetischen oder religiösen Empfinden entsprechenden Weise zu gestalten und gärtnerisch zu pflegen. Diese Gestaltungsfreiheit ist Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG. Da es sich bei einem Friedhof um eine Ansammlung von verschiedenen Grabflächen handelt, kann die einzelne Grabstätte dabei nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist immer im Kontext mit den anderen Grabstätten zu sehen. Das äußere Bild des Friedhofs wird auch durch das Aussehen einzelner Grabstätten mitbestimmt. Hierbei ist zu beachten, dass sich auch die anderen Friedhofsnutzer auf die jeweils einschlägigen Grundrechte, z.B. der allgemeinen Handlungsfreiheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen können. Wie die Kläger zu Recht vortragen, müssen Nutzer eines Friedhofs insoweit eine „Grundspannung“ aushalten. Das Recht auf individuelle Grabgestaltung kann aufgrund des Gemeinschaftsbezugs jedoch nicht schrankenlos sein, sondern unterliegt den Beschränkungen, die sich aus dem Gemeinschaftscharakter des Friedhofs ergeben. Der Friedhofsträger hat mithin Vorsorge zu treffen, dass die verfassungsimmanenten Schranken – das sind auch die Grundrechte anderer – nicht überschritten werden.

Was einer würdigen Bestattung und einem ungestörten Totengedenken entspricht, ist nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung und danach zu entscheiden, was ein sog. „gebildeter Durchschnittsbetrachter“ darunter versteht. Hierdurch sollen Spannungen ausgeglichen werden, die durch naturgemäß differierende religiöse und künstlerisch-ästhetische Meinungen einer Vielzahl von Nutzern, wie sie auf Friedhöfen zusammentreffen, bestehen. Bei der Beurteilung ist daher weder auf den besonders geschulten, kunstsachverständigen oder empfindsamen Betrachter, noch auf die Ansicht solcher Menschen abzustellen, die ästhetischen Eindrücken gegenüber gleichgültig sind, sondern auf den „gebildeten Durchschnittsbetrachter“, der zwischen diesen Personenkreisen steht. Mit Blick auf den oben ausgeführten Gemeinschaftscharakter eines Friedhofs und der Vielzahl in Ausgleich zu bringenden Auffassungen ist die Heranziehung dieses Maßstabs entgegen der Auffassung der Kläger nicht zu beanstanden. Die Argumentation der Kläger, dass der Durchschnittsbetrachter „selbstverständlich keinen Grundrechtsträger“ darstelle, geht an den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils vorbei. Das Verwaltungsgericht hat den „Durchschnittsbetrachter“ in Einklang mit der ständigen (obergerichtlichen) Rechtsprechung nur zur Maßstabsbildung herangezogen.

Einer würdigen Bestattung und einem ungestörten Totengedenken stehen daher Grabmale, die aus Sicht des gebildeten Durchschnittsbetrachters aufdringlich, effektheischend oder sonst objektiv geeignet wären, Ärgernis zu erregen und den allgemeinen Friedhofszweck des Totengedenkens zu beeinträchtigen, entgegen.

Gemessen hieran hat das Verwaltungsgericht in nachvollziehbarer und vertretbarer Weise nach Einnahme eines Augenscheins festgestellt, dass das von den Klägern ohne Genehmigung errichtete Grabmal in Form einer annähernd lebensgroßen, in leuchtendem Gelb und Orange eingefärbten Skulptur des Verstorbenen aufgrund Farbgebung und Größe – auch aus der Sicht des gebildeten Durchschnittsbetrachters – geeignet ist, die Aufmerksamkeit der anderen Friedhofsbesucher derart auf sich zu ziehen, dass diese sich dessen Wirkung kaum entziehen können und somit ein ungestörtes Totengedenken nicht gewährleistet ist. Dies ist mit dem allgemeinen Friedhofszweck und damit der Würde des Friedhofs nicht vereinbar ist.

Diese Abwägung hält auch vor dem Hintergrund der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG stand, auch wenn weder von den Klägern noch vom Verwaltungsgericht Art. 4 Abs. 1 GG im erstinstanzlichen Verfahren in Bezug genommen wurde.

Dabei steht nicht in Frage, dass die Kläger sich bei der Gestaltung der Grabstelle ihres Sohnes auf Art. 4 Abs. 1 GG berufen können und dieses Grundrecht auch nicht durch ein einfaches Gesetz beschränkt werden kann. Das Fehlen eines Gesetzesvorbehalts in Art. 4 Abs. 1 GG führt allerdings nicht dazu, dass die Grundrechtsausübung der Kläger ohne Einschränkungen möglich wäre. Die Grenzen ihrer Grundrechtsausübung finden sich in kollidierendem Verfassungsrecht, d.h. der Grundrechte anderer, sowie sonstiger Rechtsgüter mit Verfassungsrang. Als kollidierendes Verfassungsrecht kommt vorliegend u.a. die staatliche Schutzpflicht für die Persönlichkeitsrechte anderer, die Religions- und Weltanschauungsfreiheit Dritter und der Schutz der Totenruhe in Betracht. Insoweit ist der Friedhofszweck des ungestörten Totengedenkens und der Würde des Friedhofs auch Ausdruck grundrechtlicher Positionen Dritter, die im Wege der praktischen Konkordanz im Rahmen der Religionsfreiheit der Kläger Berücksichtigung finden können. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, das Grabmal der Kläger könne das Totengedenken anderer Friedhofsbesucher beeinträchtigen und sei daher mit der „Würde des Friedhofs“ nicht vereinbar, trägt somit auch vor dem Hintergrund des Art. 4 Abs. 1 GG. In dem öffentlichen Raum eines Friedhofs, der für eine Vielzahl von Nutzern mit unterschiedlichen Glaubensvorstellungen geschaffen ist, können sich die einzelnen Besucher gerade nicht der Glaubensbekundung anderer entziehen, soweit dies auf eine besonders auffällige Weise geschieht. Um die verschiedenen Interessen in Ausgleich zu bringen, ist die Rücksichtnahme aller gefordert und es kann den Klägern zugemutet werden, ein weniger auffälliges Grabmal – wie dies ursprünglich auch von der Beklagten genehmigt wurde – zu errichten.

Auf die differenzierten Ausführungen der Kläger, wessen subjektive Rechte (genannt werden beispielsweise Spaziergänger und „einfache Besucher“) auf einem Friedhof schutzwürdig sind, kommt es hier schon deshalb nicht an, weil zumindest die anderen Grabnutzungsberechtigten und ihre Angehörigen ihrerseits grundrechtlich geschützte Rechtspositionen geltend machen können, die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind.

Auch die Frage, ob Meinungsverschiedenheiten bezüglich Grabgestaltung zwischen Nutzungsberechtigten auf dem Zivilrechtsweg zu klären sind, wie die Kläger vortragen, kann hier dahinstehen, denn Streitgegenstand ist vorliegend einzig die Frage der Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsverfügung und die öffentlich-rechtliche Genehmigungsfähigkeit der errichteten Grabskulptur.

Keine Richtigkeitszweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vermögen die Kläger mit ihrem Verweis auf die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG darzulegen. Soweit sie geltend machen, das Verwaltungsgericht verkenne Funktion und Reichweite der Kunstfreiheit, denn das Grabmal sei unstreitig ein Kunstwerk, dringen sie hiermit nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat ohne Rechtsfehler hierzu ausgeführt, dass die künstlerische Gestaltung eines Grabmals ihre Grenze in der Gemeinschaftsgebundenheit der nebeneinander liegenden Grabmale findet und die Rechte der anderen Nutzungsberechtigten insoweit nicht beeinträchtigt werden dürfen. Die Bedeutung eines Grabmals als Kunstwerk wurde in dem erstinstanzlichen Urteil (vgl. S. 12 f. UA) gewürdigt und eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen.

Auch mit ihrem Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe ihre Rechte nicht unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gewürdigt und die gesamte Interaktion des Grabmals mit seiner Umgebung außer Acht gelassen, legen die Kläger keine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils dar. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, widerspricht das von den Klägern errichtete Grabmal aufgrund seiner Größe und auffallenden gelben Farbgebung der Würde des Friedhofs gem. § 14 Abs. 1 BestattG und der Würde des Ortes gem. § 15 FS. Die zuvor aufgezeigten verfassungsimmanenten Schranken rechtfertigen auch einen Eingriff in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, zudem stellen die genannten Vorschriften ein allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG dar. Im Hinblick auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung ist es den Klägern unter Berücksichtigung des Friedhofszwecks zumutbar, eine Grabgestaltung zu wählen, die weniger auffällig und hervorstechend ist.

Keine Richtigkeitszweifel begründet auch der Vortrag, das Verwaltungsgericht hätte bei der Bildung des Durchschnittsmaßstabs berücksichtigen müssen, dass sich in den letzten Jahrzehnten ein „eklatanter Wandel“ der deutschen Bestattungskultur vollzogen habe. Mit der Begründung, dass sich die „gravierende Umwälzungen des Friedhofs- und Bestattungswesens“ in der Zunahme von Feuerbestattungen, Seebestattungen, Grabgemeinschaftanlagen, Bestattungswäldern zeigten, legen die Kläger nicht dar, dass sich dieser Umbruch gerade auch in Form, Größe und Farbe der Gestaltung von Grabmalen manifestiert, sondern verweist auf gänzlich andere Bestattungsformen, die neben „normalen“ Friedhöfen existieren. Dessen ungeachtet hat das Verwaltungsgericht in seinen Entscheidungsgründen (vgl. S. 12 UA) darauf hingewiesen, dass die Beklagte mit Änderung der Friedhofssatzung im Jahre 2010 dafür gesorgt habe, dass auch Grabmale mit gestalterischen Besonderheiten zulässig seien und eine uniforme Grabgestaltung nicht mehr verlangt werde, sodass hier nicht davon auszugehen ist, dass die Beklagte nicht in der Lage ist, gestalterische Veränderungen auf ihrem Friedhof zuzulassen.