Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Juli 2024 zum Aktenzeichen 2 BvR 1614/23 entschieden, dass die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus verfassungswidrig ist.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Das Landgericht Kleve verurteilte den Beschwerdeführer am 22. Februar 2017, rechtskräftig seit dem 2. März 2017, wegen Bedrohung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und ordnete gleichzeitig dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Verurteilung lag die Vorgeschichte zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2014 begonnen hatte, die Geschädigte (…) (im Folgenden: Geschädigte), zu der er im Internet Kontakt aufgenommen und mit der er hauptsächlich über Internetspiele, aber auch TV-Serien, gechattet hatte, trotz deren Zurückweisung immer weiter in sexueller Absicht über soziale Medien mit Nachrichten zu bedrängen und zu bedrohen. In der Folge wurde der Beschwerdeführer mit Strafbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 17. Februar 2016 wegen Bedrohung der Geschädigten in zwei Fällen rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Am Tattag im Juli 2016 suchte der Beschwerdeführer – bewaffnet mit einer Machete (Klingenlänge ca. 40 cm) – die Geschädigte an deren 500 km entfernten Wohnort auf, weil er eine Liebesbeziehung mit ihr wünschte. Dort traf er zunächst auf die Mutter der Geschädigten, die er im Rahmen eines Gerangels erheblich verletzte (u.a. Rippenprellung, gebrochener Zeigefinger, Schnittverletzungen an einer Hand, Halswirbelzerrung), ehe er von der Geschädigten unter Einsatz einer Gaspistole bis zum Eintreffen der Polizei auf Abstand gehalten werden konnte. Kurz vor der Tat hatte der Beschwerdeführer an die Schwester der Geschädigten unter anderem geschrieben: „Alles was zählt, ist mein Samen in (…) Körper“ und „ich schlitze sie auf“. Sachverständig beraten war das erkennende Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Beschwerdeführer bei der Tat unter einer Persönlichkeitsstörung (des vermeidend selbstunsicheren Typs mit deutlichen Merkmalen einer schizoiden Persönlichkeitsstörung) litt, die sein Leben schon seit Jahren zunehmend beeinträchtigt hatte.

Der Beschwerdeführer war zunächst vom 14. Juli 2016 bis zum 2. März 2017 einstweilen und ist seit dem 3. März 2017 gemäß § 63 StGB untergebracht. Seit dem 7. November 2019 befindet er sich im (…) Klinikum für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie (…) (im Folgenden: Klinikum).

Das Landgericht Lübeck (im Folgenden: Landgericht) ordnete mit angegriffenem Beschluss vom 18. Juli 2023 die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers im psychiatrischen Krankenhaus an.

Dessen Behandlung im Maßregelvollzug müsse weiter fortdauern, da außerhalb der forensischen Unterbringung krankheitsbedingt weitere erhebliche rechtswidrige Taten von ihm zu erwarten wären. Diese prognostische Einschätzung folge aus der aktuellen ärztlichen Stellungnahme des Klinikums vom 20. Juni 2023 sowie dem Prognosegutachten des externen Sachverständigen Prof. Dr. Kröber vom 29. April 2023 und seinen ergänzenden Ausführungen hierzu in der mündlichen Anhörung vom 11. Juli 2023.

Ausweislich der ärztlichen Stellungnahme des Klinikums liege beim Beschwerdeführer unverändert das Krankheitsbild einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.6), das im Vordergrund stehe, sowie einer schizoiden Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.1) vor. Der externe Sachverständige diagnostiziere geringfügig abweichend eine im Vordergrund stehende schizoide Persönlichkeitsstörung mit Hinweisen auf paranoide Anteile. Ungeachtet dessen seien auch im zurückliegenden Behandlungszeitraum keine wesentlichen Fortschritte erzielt worden. Der Beschwerdeführer sei noch immer auf einer geschlossenen Station des besonders gesicherten Klinikbereichs untergebracht. Hier zeige er sich weiterhin abweisend, unkooperativ und den Kontakt zum Pflegepersonal auf das absolut Notwendige beschränkend. Die zuständige Psychologin ignoriere er völlig. Dazu passe, dass er erneut nicht an der gerichtlichen Anhörung teilgenommen habe.

Auch die Teilnahme an Freizeitangeboten, gemeinsamen Hofgängen oder anderen tagesstrukturierenden oder therapeutischen Angeboten unterstütze der Beschwerdeführer, wie schon im Jahr zuvor, nicht. Er scheine durch seine vollständige Verweigerungshaltung jeden Verdacht im Keim ersticken zu wollen, er könne mit den Behandlern kooperieren. Er habe nur zu einigen wenigen Mitpatienten Kontakt, mit denen er beispielsweise Schach spiele. Gelegentlich unterstütze er auch Mitpatienten mit Migrationshintergrund beim Erlernen der deutschen Sprache. Regelmäßige Besuche von Familienangehörigen lasse er dagegen zu.

Angesichts der Veränderung in der chefärztlichen Zuständigkeit habe zunächst Hoffnung bestanden, dass der Beschwerdeführer sich wenigstens ansatzweise auf eine Kommunikation mit dem neuen Chefarzt einlassen würde. Jedoch habe er auch insoweit sehr bestimmt geäußert, dass er keinen Kontakt zu ihm wünsche. Als er darauf hingewiesen worden sei, dass es zu den Aufgaben eines Chefarztes gehöre, regelmäßig nach den dort untergebrachten Menschen zu schauen, habe er abweisend, mit aggressivem Tonfall und erheblicher Anspannung reagiert. Im weiteren Verlauf habe er dann gegenüber dem neuen Chefarzt ähnliches Verhalten wie gegenüber der Psychologin gezeigt.

All dies zeige, dass es bislang nicht ansatzweise gelungen sei, therapeutischen Kontakt zum Beschwerdeführer herzustellen. Er befinde sich stattdessen in einem Machtkampf gegen die Klinik und agiere damit seine aversiven Gefühle aus. Es gehe ihm dabei aber auch, wie er selbst angegeben habe, um Spaß und die Kompensation von Langeweile. Empathie für andere könne er nicht aufbringen, sondern er wolle dem Personal in Form von körperlichen Übergriffen, Beschwerden, Anzeigen oder ähnlichem Schaden zufügen. Auch die zurückliegenden Vorfälle im Rahmen der Unterbringung, bei denen der Beschwerdeführer wiederholt nachhaltiges Interesse an Mitarbeiterinnen und damit deliktnahes Verhalten gezeigt habe, hätten mit ihm nicht ansatzweise therapeutisch bearbeitet werden können. Der Umstand, dass es dabei zu keinem nachstellenden oder gar gewalttätigen Verhalten gekommen sei und sich derartige Liebesbekundungen im zurückliegenden Jahr nicht mehr wiederholt hätten, sei allein auf die sehr klaren Strukturen des Maßregelvollzugs und der jetzigen Station zurückzuführen.

Demzufolge liege weiterhin das Krankheitsbild einer „schweren Persönlichkeit“ vor. Weder Symptome des Krankheitsbildes noch der Zusammenhang zwischen Krankheit und Anlasstat habe der Beschwerdeführer verinnerlicht, da er in keiner Phase der Unterbringung Behandlungsangebote unterstützt habe. Er sehe sich nicht als behandlungsbedürftig an, sondern betrachte sein Verhalten als „normales Werbungsverhalten“.

Demzufolge müsste bei einer sofortigen Entlassung ohne geeigneten Empfangsraum mit weiteren „Stalkingtaten“ auf dem Niveau der Anlasstat gerechnet werden. Es wäre zu erwarten, dass der Beschwerdeführer in Ermangelung von Alternativen erneut über das Internet Kontakt zu Frauen suche beziehungsweise aufnehme, sich abermals verliebe und dann auf bekannte Strategien zurückgreife, um diese Frau für sich zu gewinnen. Eine mögliche Zurückweisung würde er nicht akzeptieren können und stattdessen versuchen, durch hartnäckiges Nachstellen zu seinem Ziel zu gelangen. Sollten sich seine neuen „Opfer“ seinem Werben widersetzen, könnte es – je nachdem, welcher Widerstand ihm entgegengebracht werde – erneut zu Aggressionsdelikten, möglicherweise auch unter Einsatz gefährlicher Werkzeuge, kommen, also zu Taten, durch welche andere körperlich oder auch seelisch schwer geschädigt würden.

Diese prognostisch noch immer negative Einschätzung teile der externe Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten vom 29. April 2023. Der Sachverständige führe aus, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Entlassung, wenn er sich erneut ansatzlos „verlieben“ sollte und die betroffene Frau seine Bemühungen zurückweise, diese Zurückweisung wieder nicht akzeptieren und wiederum dem Glauben anheimfallen würde, dass er durch besondere Hartnäckigkeit und Konsequenz das „Blatt“ noch würde wenden können. Dabei sehe der Sachverständige die Gefahr weiterer Taten in Form von Belästigungen, möglicherweise auch Bedrohungen, die er für naheliegend halte, während er schwerere Straftaten nicht für überwiegend wahrscheinlich halte, sie aber auch nicht ausschließe. Gleichzeitig verkenne der Sachverständige jedoch nicht die große Hartnäckigkeit des Beschwerdeführers bei der Zielverfolgung in Bezug auf die Anlasstat.

Um mit dem Patienten wieder in therapeutischen Kontakt zu treten, rate er, ihm vielleicht die Möglichkeit einzuräumen, sich mit Computerspielen zu beschäftigen, weil er dies auch früher viel getan habe. Zudem müsse der Beschwerdeführer in weiteren Lockerungen erprobt werden, zum Beispiel in begleiteten Lockerungen. Er sehe aber auch die Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei Lockerungen die ein oder andere „Dummheit“ begehen, beispielsweise weglaufen, könnte. Diese Gefahr teile die behandelnde Psychologin. Sie schätze den Beschwerdeführer aber so ein, dass er sich angesichts seiner Verweigerungshaltung zurzeit nicht auf begleitete Ausführungen mit Pflegekräften einlassen würde, falls sie ihm denn überhaupt gewährt würden.

Die Kammer teile die vorgenannten Einschätzungen. Weder das Krankheitsbild noch der Zusammenhang mit der Anlasstat seien bisher hinreichend aufgearbeitet. Angesichts der Hartnäckigkeit und der Bewaffnungstendenz des Beschwerdeführers, die bei der Anlasstat zutage getreten seien, sehe die Kammer im Falle einer sofortigen Entlassung aus dem Maßregelvollzug, ohne ambulantes Setting, durchaus die Gefahr weiterer, auch erheblicher Aggressionsdelikte.

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (im Folgenden: Oberlandesgericht) verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 11. Oktober 2023 die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet.

Die Strafvollstreckungskammer habe mit dem angefochtenen Beschluss im Ergebnis zu Recht erneut die Fortdauer des Maßregelvollzugs angeordnet. Der Beschwerde des Beschwerdeführers sei allerdings zuzugeben, dass die Begründung dieser Entscheidung knapp ausgefallen sei und jedenfalls nicht ausdrücklich auf alle im Rahmen einer solchen Entscheidung zu berücksichtigenden Aspekte eingehe. Der Senat sehe sich aber in der Lage, anhand des Berichts des Klinikums und des Gutachtens des externen Sachverständigen zu der Einschätzung zu gelangen, dass der weitere Maßregelvollzug erforderlich sei.

Insbesondere das Gutachten des externen Sachverständigen beurteile der Senat nicht so positiv, wie es der Beschwerdeführer sehen wolle. Das bereits im Anlassurteil und in den jeweiligen Verlaufsberichten des Klinikums diagnostizierte Krankheitsbild liege beim Beschwerdeführer fraglos weiter vor. Hieraus ergebe sich auch seine fortbestehende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit. Der im Anlassurteil geschilderte Tatverlauf, der sich von zunächst im Wesentlichen virtuellen Belästigungen und Bedrohungen schließlich zu einer mit großer Energie und Konsequenz verfolgten tatsächlichen Gewalttat entwickelt habe, zeige auch hinreichend deutlich, in welchen Situationen und wodurch der Beschwerdeführer – in seinem jetzigen Zustand in Freiheit befindlich – wieder für die Allgemeinheit gefährlich würde.

Dass diese Gefahr nach wie vor bestehe, resultiere nicht zuletzt aus der hartnäckigen Verweigerungshaltung des Beschwerdeführers – er sei nicht einmal zum Anhörungstermin der Strafvollstreckungskammer erschienen –, die er gegenüber nahezu allen therapeutischen Ansätzen des Klinikums an den Tag lege. Nicht zuletzt dieser Umstand mache die Fortdauer des Maßregelvollzugs nach wie vor erforderlich und damit auch verhältnismäßig. Der Beschwerdeführer werde im eigenen Interesse versuchen müssen, diese Haltung zu ändern und sich auf therapeutische Ansätze einzulassen.

Andererseits sei in Erinnerung zu rufen, dass nach der Rechtsprechung des Senats Vollzugslockerungen keine nachträgliche „Belohnung“ für zuvor eingefordertes „Wohlverhalten“ seien. Bis zu einem gewissen Grad habe das Klinikum vielmehr ein „Erprobungswagnis“ einzugehen. Dies sei selbstverständlich abhängig vom Krankheitsbild und der jeweiligen aktuellen Gefährlichkeit des Beschwerdeführers. Entsprechende Versuche könnten bei zunächst therapieunwilligen Untergebrachten bei erfolgreichem Verlauf durchaus zu einem Wandel der Einstellung führen. Zuletzt werde mit fortschreitender Dauer der Unterbringung von allen am Verfahren Beteiligten zunehmend in den Blick zu nehmen sein, dass – was in dem angefochtenen Beschluss auch nicht ausdrücklich thematisiert werde – es nicht darum gehe, den Beschwerdeführer gänzlich auf sich selbst gestellt in Freiheit zu entlassen, sondern im Rahmen der Führungsaufsicht weniger einschneidende Maßnahmen als den Maßregelvollzug zu finden, die aber noch hinreichend geeignet seien, einer fortbestehenden Gefährlichkeit sicher entgegenzuwirken.

Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 Abs. 3 GG, weil sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen, die für die Anordnung der Fortdauer von Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus bestehen.

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann „die Freiheit der Person“ und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als „unverletzlich“ bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>).

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen. Das gilt auch für die Regelung der Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>).

Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 <222>) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 58, 208 <230>).

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Dieser lässt sich für die Entscheidung über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung nur dadurch bewirken, dass Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden (vgl. BVerfGE 70, 297 <311>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die darauf aufbauende Gesamtwürdigung hat die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen (vgl. BVerfGE 70, 297 <312 f.>).

Abzustellen ist auf die Gefahr solcher rechtswidriger Taten, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach ausreichen, auch die Anordnung der Maßregel zu tragen; diese müssen mithin „erheblich“ im Sinne des § 63 StGB sein. Die Beurteilung hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren; die Art und der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten sind zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bei allem ist auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind (vgl. BVerfGE 70, 297 <314 f.>; BVerfGK 16, 501 <506>).

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es zudem, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nur so lange zu vollstrecken, wie der Zweck der Maßregel dies unabweisbar erfordert und zu seiner Erreichung den Untergebrachten weniger belastende Maßnahmen nicht genügen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann es daher auf die voraussichtlichen Wirkungen der im Falle der Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 2 Satz 3 StGB) und der damit verbindbaren weiteren Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe (vgl. §§ 68a, 68b StGB), insbesondere also die Tätigkeit eines Bewährungshelfers und die Möglichkeit bestimmter Weisungen, ankommen (vgl. BVerfGE 70, 297 <313 f.>).

Da es sich bei der Gesamtwürdigung der für die Frage der Aussetzung (§ 67d Abs. 2 StGB) maßgeblichen Umstände um eine wertende Entscheidung unter Prognosegesichtspunkten handelt, kann das Bundesverfassungsgericht sie nicht in allen Einzelheiten, sondern nur daraufhin nachprüfen, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat und ob die dabei zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe der Verfassung entsprechen, insbesondere Inhalt und Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht verkennen. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs. Der im Einzelfall unter Umständen nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs wird jedoch dort an Grenzen stoßen, wo es im Blick auf die Art der von dem Untergebrachten drohenden Taten, deren Bedeutung und deren Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Untergebrachten in die Freiheit zu entlassen (vgl. BVerfGE 70, 297 <315>).

Das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung wirkt sich bei langdauernden Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) auch auf die an die Begründung einer Entscheidung nach § 67d Abs. 2 StGB zu stellenden Anforderungen aus. In diesen Fällen verengt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsgerichts; mit dem immer stärker werdenden Freiheitseingriff wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dem lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass das Gericht seine Würdigung eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag. Zu verlangen ist mithin vor allem die Konkretisierung der Wahrscheinlichkeit weiterer rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen, und deren Deliktstypus. Bleibt das Bemühen des Gerichts um Zuverlässigkeit der Prognose trotz Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Erkenntnismittel mit großen Unsicherheiten behaftet, so hat auch dies Eingang in seine Bewertung zu finden (vgl. BVerfGE 70, 297 <315 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Juli 2024 – 2 BvR 2276/20 -, Rn. 45).

Gemessen hieran tragen die angegriffenen Entscheidungen dem Freiheitsgrundrecht nicht hinreichend Rechnung. Es mangelt ihnen an der verfassungsrechtlich gebotenen Begründungstiefe hinsichtlich der Gefahrenprognose und der Verhältnismäßigkeitsprüfung.

Zwar dürfte den angegriffenen Entscheidungen noch hinreichend entnommen werden können, welche rechtswidrigen Taten die Fachgerichte befürchten (aa). Dies gilt allerdings nicht hinsichtlich des Wahrscheinlichkeitsgrades der Tatbegehung (bb).

Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts hat jedenfalls das Oberlandesgericht die zu erwartenden rechtswidrigen Straftaten noch hinreichend konkretisiert. Das Landgericht meint, dass im Falle einer sofortigen Entlassung ohne geeigneten Empfangsraum mit weiteren „Stalkingtaten“ auf dem Niveau der Anlasstat zu rechnen sei beziehungsweise ohne ambulantes Setting „durchaus“ die Gefahr weiterer, auch erheblicher Aggressionsdelikte, möglicherweise auch unter Einsatz gefährlicher Werkzeuge, bestehe, durch welche andere körperlich oder auch seelisch schwer geschädigt würden. Das Oberlandesgericht spezifiziert die vorgenannten Ausführungen des Landgerichts, auf die es Bezug nimmt, indem es die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die Allgemeinheit mit dem im Anlassurteil geschilderten Tatverlauf und insbesondere der „mit großer Energie und Konsequenz verfolgten tatsächlichen Gewalttat“ begründet. Damit wird insgesamt hinreichend deutlich, dass die Fachgerichte die Begehung einer vorsätzlichen Körperverletzung gemäß § 223 StGB – wie bei der Anlasstat – befürchten. Dagegen ist – wie vom Generalbundesanwalt überzeugend dargelegt – allein wegen des Einschubs in der landgerichtlichen Entscheidung „möglicherweise auch unter Einsatz gefährlicher Werkzeuge“ nicht anzunehmen, dass auch eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 StGB erwartet wird. Ob die von den Fachgerichten erwarteten vorsätzlichen Körperverletzungen mit Blick auf die Folgen, die die Anlasstat für die Mutter der Geschädigten hatte, verfassungsrechtlich vertretbar als erhebliche rechtswidrige Tat im Sinne von § 67d Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 Satz 2 StGB eingeordnet werden können, kann hier wegen der sogleich dargestellten Begründungsmängel dahinstehen.

So kann den angegriffenen Beschlüssen eine hinreichend begründete eigenständige richterliche Prognose hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit künftig vom Beschwerdeführer zu erwartender rechtswidriger Taten nicht entnommen werden.

Schon die Behauptung des Landgerichts, der externe Sachverständige teile die „negative Einschätzung“ des Klinikums, geht fehl. Das Landgericht nimmt eingangs des angegriffenen Beschlusses allgemein Bezug auf die ärztliche Stellungnahme des Klinikums vom 20. Juni 2023. Nach dieser ist das Risiko, dass der Beschwerdeführer bei einer erneuten Zurückweisung seines Werbens oder wenn sich Familienangehörige oder gar Partner einer Frau, an der er Interesse entwickelt habe, seinen Wünschen in den Weg stellten, auch körperliche Gewalt anwende, „durchaus als hoch“ zu bewerten. Ferner gibt das Landgericht später im angegriffenen Beschluss auszugsweise das Gutachten des externen Sachverständigen wieder. Es zitiert ihn insbesondere dahingehend, dass dieser schwerere Straftaten als Belästigungen, möglicherweise auch Bedrohungen, nicht für überwiegend wahrscheinlich halte, sie aber nicht ausschließe. Der externe Sachverständige meint ferner, dass aufgrund des im Maßregelvollzug gezeigten Verhaltens des Beschwerdeführers von einer grundsätzlich guten Affektregulation auszugehen sei, solange er sich nicht subjektiv einer Übermacht ausgesetzt sehe, und führt am Ende seines Gutachtens aus, dass „gegenwärtig kaum konkrete Anhaltspunkte für eine aktuelle fortbestehende Gefährlichkeit“ bestünden. Die Einschätzungen des externen Sachverständigen stehen somit nicht im Einklang mit der Bewertung des Klinikums. Vielmehr sprechen sie für eine für den Beschwerdeführer günstige Entscheidung gemäß § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB. Denn die dafür notwendige positive Erwartung setzt grundsätzlich voraus, dass die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens größer ist als diejenige des Rückfalls (vgl. Ziegler, in: v. Heintschel-Heinegg/ Kudlich, BeckOK StGB, § 67d Rn. 8 <Mai 2024>).

Vor dem Hintergrund dieser sich widersprechenden Einschätzungen findet eine eigene Bewertung des Landgerichts hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit einer erneuten Begehung von „Aggressionsdelikten“ im angegriffenen Beschluss nicht statt. Insoweit reicht nicht aus, dass das Landgericht bekundet, die Einschätzungen des Klinikums und des Sachverständigen zu teilen. Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, dass das Landgericht sich aus logischen Gründen nicht zwei widersprechenden Gefahreinschätzungen zugleich anschließen könne. Zusammengenommen wird deutlich, dass das Landgericht das Sachverständigengutachten nicht – wie geboten – vollständig inhaltlich erfasst und nicht die gebotene eigenständige Bewertung der gutachterlichen Aussagen vorgenommen hat (vgl. dazu BVerfGE 58, 208 <223>; 70, 297 <310>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Juli 2019 – 2 BvR 2256/17 -, Rn. 44).

Das Oberlandesgericht hat die Grundrechtsverletzung durch den angegriffenen Beschluss vom 11. Oktober 2023 vertieft. Zwar stellt es eingangs zutreffend fest, dass die Begründung der Entscheidung des Landgerichts knapp ausgefallen sei und jedenfalls nicht ausdrücklich auf alle im Rahmen einer solchen Entscheidung zu berücksichtigenden Aspekte eingehe. Allerdings lässt sich den dann folgenden Ausführungen des Oberlandesgerichts weder eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverständigengutachten noch eine eigenständige Gefahrenprognose entnehmen. Das Oberlandesgericht belässt es bei der Bemerkung, dass es das Gutachten nicht so positiv beurteile, wie der Beschwerdeführer es sehen wolle. Ergänzende Anmerkungen zum Wahrscheinlichkeitsgrad der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten fehlen.

Damit mangelt es gleichzeitig an einer ausreichenden Grundlage für die durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotene Abwägung zwischen dem Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers und den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit.

Der angegriffenen Entscheidung des Landgerichts sind bereits keinerlei Anhaltspunkte für die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu entnehmen. Das Oberlandesgericht begnügt sich trotz seiner Anmerkung zur Begründungstiefe der landgerichtlichen Entscheidung mit der formelhaften Feststellung, dass nicht zuletzt wegen der hartnäckigen Verweigerungshaltung des Beschwerdeführers, die er gegenüber nahezu allen therapeutischen Ansätzen des Klinikums an den Tag lege, die Fortdauer des Maßregelvollzugs nach wie vor erforderlich und auch verhältnismäßig sei. Es geht dabei nicht auf die Interessen des Beschwerdeführers ein. So befasst sich das Oberlandesgericht insbesondere nicht mit der Dauer der Unterbringung des Beschwerdeführers und dem durch den Sachverständigen thematisierten Umstand, dass die bisherige Form der geschlossenen Unterbringung, wegen des dadurch beim Beschwerdeführer immer wieder geweckten Gefühls der Ohnmacht und eines auf ihm lastenden Drucks, bei diesem zu einem anhaltenden „Totstellreflex“ geführt habe, der bisher Behandlungsfortschritte verhindert habe.

Schließlich ist den angegriffenen Entscheidungen keine hinreichend begründete Erforderlichkeitsprüfung zu entnehmen. Dies betrifft die Frage, ob etwa im Rahmen der Führungsaufsicht einer fortbestehenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers hinreichend sicher entgegengewirkt werden könnte. Der Hinweis des Oberlandesgerichts, dass diese Prüfung mit fortschreitender Dauer der Unterbringung von allen am Verfahren Beteiligten zunehmend in den Blick zu nehmen sei, und dessen vorgenannte Feststellung, die Fortdauer der Unterbringung sei erforderlich, ersetzen offensichtlich nicht die gebotene Prüfung und Begründung.