Keine Tabakwerbung an Tankstelle

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 01.08.2024 zum Aktenzeichen 2 UKI 2/24 entschieden, über die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs nach § 2 UKlaG i.V.m. § 20a Satz 1 TabakerzG entschieden. Maßgeblich für das Vorliegen von Außenwerbung i. S. d. § 2 Nr. 9 TabakerzG ist der Ort, an dem die Werbung bestimmungsgemäß oder doch erwartbar wahrgenommen wird. Zu den Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands gemäß § 20a Satz 2 TabakerzG, insbesondere dem Begriff des Fachhandels.

Dem aus §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG antragsberechtigten Verfügungskläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 20a Satz 1 i.V.m. § 2 Nr. 9 TabakerzG zu. Durch die streitgegenständliche, vom Verfügungsbeklagten durchgeführte (dazu a) als prozessrechtliche Einheit anzusehende Handlung (dazu b) hat der Verfügungsbeklagte Außenwerbung für Tabakerzeugnisse und elektronische Zigaretten i.S.d. § 20a Abs. 1 Satz 1 TabakerzG i.V.m. § 2 Nr. 9 TabakerzG betrieben (dazu c) und dadurch gegen das verbraucherschützende Verbot aus § 20a Abs. 1 Satz 1 TabakerzG verstoßen. Denn der Ausnahmetatbestand des § 20a Satz 2 TabakerzG greift nicht zu Gunsten des Verfügungsbeklagten ein (dazu d). Obwohl sich die Werbemaßnahme auf Zigaretten beschränkte, erfasst der Unterlassungsanspruch als kerngleiche Handlungen auch Werbung für die anderen im Tenor Ziffer 1 genannten Tabakerzeugnisse.

Die angegriffenen Display-Darstellungen des Verfügungsbeklagen sind unstreitig. Der Verfügungsbeklagte bestreitet zwar, dass die vorgelegten Lichtbilder seine Tankstelle zeigten, nicht aber, dass er in seiner Tankstelle eine elektronische Werbestele betreibt, wie vom Verfügungskläger vorgetragen, und dass auf dieser am 23. Februar 2024, um 16.31 Uhr, die vom Verfügungskläger behaupteten Werbetexte nebst -bildern von außerhalb des Gebäudes zu sehen waren. Das Bestreiten des Verfügungsbeklagten bezieht sich lediglich auf die Glaubhaftmachung. Zum eigentlichen Tatvorwurf schweigt der Verfügungsbeklagte. Dieser ist damit unstreitig (§ 138 ZPO) und braucht daher nicht glaubhaft gemacht zu werden, so dass die Einwände zu den hierzu vorgelegten Glaubhaftmachungsmitteln ins Leere gehen.

Die angegriffenen Bildschirm-Anzeigen stellen prozessual einen einheitlichen Streitgegenstand dar. Hier hat der Verfügungskläger von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die konkrete Verletzungsform als Einheit anzugreifen und zur Begründung ihrer Rechtswidrigkeit kumulativ auf zwei in ihr enthaltene Werbedarstellungen für verschiedene Zigarettenmarken zurückzugreifen (vgl. BGHZ 194, 314, juris Rn. 19 ff. – Biomineralwasser), die vom Verfügungsbeklagten ausgestrahlt wurden. Bei natürlicher Betrachtung liegt eine einheitliche Handlung vor (vgl. zur Abgrenzung Hofmann, NJW 2019, 2126). Denn die Darstellungen auf dem Bildschirm wechselten – unstreitig – gemäß einer Voreinstellung (Programmierung) automatisch, so dass es keines erneuten Handelns des Verfügungsbeklagten mehr bedurfte, um von einer Darstellung zur anderen zu wechseln.

Mit diesen Ausstrahlungen hat der Verfügungsbeklagte Außenwerbung für Tabakerzeugnisse und elektronische Zigaretten i.S.d. § 20a Abs. 1 Satz 1 TabakerzG i.V.m. § 2 Nr. 9 TabakerzG betrieben.

Dass es sich bei diesen um kommerzielle Kommunikation mit dem Ziel handelt, den Verkauf eines Erzeugnisses zu fördern, also um Werbung i.S.d. § 2 Nr. 5 TabakerzG, steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

Diese Werbung ist Außenwerbung i.S.d. § 2 Nr. 9 TabakerzG. Der Begriff „Außenwerbung“ umfasst in dieser Norm jede Werbung außerhalb geschlossener Räume. Während der Wortlaut insoweit keinen eindeutigen Aufschluss gibt (vgl. Boch, in: TabakerzG, 2. Online-Auflage, 2022, Rn. 11 zu § 2 TabakerzG), lassen Sinn und Zweck der Norm erkennen, dass dabei nicht auf den Ort abzustellen ist, an dem die Verlautbarung abgegeben wird, sondern auf den Ort, an dem die Werbung bestimmungsgemäß oder doch erwartbar wahrgenommen wird.

Der Zweck des Tabakwerbeverbotes besteht darin, den Konsumenten außerhalb von Ladenlokalen vor den Anreizen zu schützen, die von Tabakwerbung ausgehen und ihn anreizen sollen, Tabakprodukte zu erwerben und zu konsumieren. Für den Konsumanreiz spielt es keine Rolle, ob die Werbebotschaft innerhalb oder außerhalb eines Gebäudes produziert und abgesandt wird. Entscheidend für die Wirkung ist, ob sie in dem „geschützten“ Raum wahrgenommen wird.

Diese Konzeption zeigt sich auch in dem klarstellenden Hinweis, dass Schaufensterwerbung als Außenwerbung gilt. Auch sie wird innerhalb des Ladenlokals produziert, aber typischerweise von außen angesehen.

In dieselbe Richtung weisen die Gesetzgebungsmaterialien. In BT-Drs. 19/19495, S. 10 f. heißt es:

„Die Verbote der Außenwerbung und die weitergehende Einschränkung der Kinowerbung sowie ein Verbot der kostenlosen Abgabe in Kombination mit den bereits bestehenden Werbeverboten werden als wirksame Mittel eingeschätzt, um eine weitere Senkung der Raucherquote zu erreichen. Außenwerbung für Tabakerzeugnisse ist allgemein präsent“

und

„Im Hinblick auf das Verbot der Außenwerbung ist ferner der Jugendschutz als weiterer Rechtfertigungsgrund anzuführen, da sich Jugendliche dieser allgemein präsenten Werbeform nicht entziehen können“

und

„Dadurch werden die Werbemaßnahmen aus den besonders hochrangigen Gründen des Gesundheits- und Jugendschutzes so kanalisiert, dass von ihnen primär Personen erreicht werden, die sich ohnehin schon in einem einschlägigen Verkaufsumfeld mit Warenpräsentation und ggf. werbenden Verkaufsgesprächen befinden“.

Das Argument des Verfügungsbeklagten, wer die Werbung wahrnehme, befinde sich schon in dem Verkaufsumfeld, in dem der Gesetzgeber kein Werbeverbot habe verhängen wollen, überzeugt nicht. Wer sich noch außerhalb der Tankstellenräume befindet, wird in aller Regel noch nicht von Verkaufspersonal auf Tabakerzeugnisse angesprochen und hat auch noch keinen Bereich betreten, in dem es – ausschließlich oder primär – um Geschäfte mit Tabakwaren geht.

Stellte man hingegen auf den Ort der Mitteilungshandlung ab, so erschiene die Abgrenzung willkürlich. Es machte dann einen Unterschied, ob eine Werbung an der Innenseite einer Fensterfläche angebracht wäre oder auf der Außenfläche derselben Scheibe. Eine sachbezogene Differenzierung läge darin nicht.

Erfasst wird somit neben dem Einsatz von Werbemitteln außerhalb des Ladenlokals auch Werbung im Ladenlokal, wenn sie im Außenbereich wahrgenommen wird.

Der Verfügungskläger hat durch seine streitgegenständliche Werbung gegen das, wie aus den vorstehenden Zitaten ersichtlich, dem Verbraucherschutz dienende Verbot aus § 20a Abs. 1 Satz 1 TabakerzG verstoßen. Denn der Ausnahmetatbestand des nachfolgenden Satz 2 greift nicht zu seinen Gunsten ein.

Nach Satz 2 dieser Norm gilt das Verbot des Betreibens von Außenwerbung nicht für Werbung an Außenflächen einschließlich dazugehöriger Fensterflächen von Geschäftsräumen des Fachhandels.

Nach der amtlichen Begründung (BT.-Drs. 19/19495) wird hier der einschlägige Fachhandel privilegiert, mithin der Fachhandel für Tabakerzeugnisse, elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter.

Diese Ausnahme soll das Werbeverbot ersichtlich vor dem Verdikt der Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG und gegen das Übermaßverbot schützen. Ein Verstoß gegen die grundrechtlichen Schutzschranken läge vor, wirkte das Werbeverbot gegenüber „klassischen“ Tabakwarenhändlern erdrosselnd. Für den Bestand dieses hergebrachten Berufszweiges wöge ein Werbeverbot weit schwerer als gegenüber Unternehmen mit einem gemischten Warensortiment. Es beeinträchtigte sie im Kernbereich ihrer wirtschaftlichen Betätigung, weil ihnen eine nach außen wirkende Werbung für ihr Warenangebot im Ergebnis unmöglich gemacht würde und sie damit weitgehend von Laufkundschaft abgeschnitten würden.

Vor diesem Hintergrund ist die Ausnahme zu verstehen und zu interpretieren.

Für den Fachhandel charakteristisch ist ein eher schmales, häufig sehr tiefes, in sich geschlossenes Branchen-Sortiment mit Beratung durch speziell geschulte Verkaufskräfte (Gabler Wirtschaftslexikon, Fachgeschäft). Damit fallen Händler, die (neben anderen Produkten) lediglich Zigaretten anbieten, nicht unter den Begriff des Fachhandels; also nicht Einzelhandelsgeschäfte mit einem gemischten Sortiment (OLG Köln, a.a.O.), namentlich nicht Lebensmittelgeschäfte und Tankstellen (Horst, in: recht. Die Zeitschrift für europäisches Lebensmittelrecht, 2020, 178; zustimmend zitiert von Boch, in: Tabakerzeugnisgesetz, 2. Online-Auflage, 2022, Rn. 5 zu § 20a TabakerzG). Dahinstehen kann, ob eine Ausschließlichkeit zu fordern ist, worüber die Parteien streiten oder ob traditionell mit dem Fachhandel für Tabakwaren einhergehende Geschäftsfelder wie insbesondere der Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften sowie Annahme und Verkauf von Lotteriescheinen die Zuordnung zum Fachhandel ausschließen.

Denn unabhängig davon erfüllt die Tankstelle des Verfügungsbeklagten die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nicht.

Eine Tankstelle wird gemeinhin nicht als Fachhandelsgeschäft für Tabakerzeugnisse verstanden. Ihr primärer Zweck ist die Versorgung der Bevölkerung mit Fahrzeugtreibstoffen. Hinzugekommen sind im Laufe der Zeit der Verkauf von Reisebedarf (Getränken, Süßigkeiten etc.) und von Hilfsmitteln, die zum sicheren Betrieb eines Kraftfahrzeugs kurzfristig erforderlich sein können und mit denen sich der Autofahrer selbst weiterhelfen kann (z.B. Motorenöl). Dieser Zuschnitt erlaubt es Tankstellen, ihr Sortiment auch außerhalb der regulären, gesetzlich beschränkten Ladenöffnungszeiten zu verkaufen.

Der Verfügungsbeklagte, welcher die für den Ausnahmetatbestand erforderlichen Tatsachen vortragen und glaubhaft machen müsste, hat nichts vorgetragen, woraus sich ergäbe, dass in seiner Tankstelle eine Spezialisierung vorliegt, wie sie von einem Fachhandel zu erwarten wäre:

In weiten Teilen bezieht sich sein Vortrag gar nicht auf seine Tankstelle, sondern ist branchenbezogen und allgemeiner Natur. Außerdem bleibt der Vortrag substanzlos.

Lediglich zur Wandfläche, welche bei ihm Tabakwaren einnehmen, gibt er eine ungefähre Vorstellung. Auch insoweit lässt sich aber zum einen nicht erkennen, dass das Sortiment dem entspräche, was man in einem Fachhandelsgeschäft erwartete. Zum Verhältnis des Sortiments zu anderen Warengattungen (z.B. Getränken) fehlen aussagekräftige Angaben und folgerichtigerweise auch eine Glaubhaftmachung.

Den Treibstoffabsatz blendet der Verfügungsbeklagte unter Verweis auf Pauschalvergütungen vollständig aus. Solche Vertragsgestaltungen ändern nichts daran, dass sich eine Tankstelle primär als Ort zur Treibstoffversorgung mit Nebenangeboten darstellt, die denen eines Gemischtsortimenters entsprechen, und somit nicht als Tabakwarenfachhandel angesehen werden können.

Auch eine besondere Qualifikation seines Personals in Tabakwaren zeigt der für die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes darlegungs- und glaubhaftmachungsbelastete Verfügungsbeklagte nicht auf.

Ohne Erfolg wendet der Verfügungsbeklagte ein, eine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sei vorliegend ausgeschlossen, die Sache sei zu kompliziert, als dass sie im Verfügungsverfahren entschieden werden könnte, und die wirtschaftlichen Folgen eines Verbotes für den Verfügungsbeklagten stünden einer solchen Entscheidung entgegen.

Die Grundentscheidung des Gesetzgebers (vgl. §§ 916, ff., 935 ff. ZPO, §§ 8, 12 f. UWG) geht dahin, dem Anspruchsberechtigten einen Weg zur einstweiligen Sicherung seiner Rechte zu eröffnen, um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Diesen Weg hat der Gesetzgeber de lege lata auch dann nicht beschränkt, wenn die Rechtslage besonders kompliziert oder höchstrichterlich ungeklärt ist. Beides böte zudem keinen sachlichen Gesichtspunkt für eine Beschränkung des Rechtsschutzes. Denn eine höchstrichterliche Rechtsprechung bindet die Untergerichte schon wegen der richterlichen Unabhängigkeit und der Bindung der Richter allein an Recht und Gesetz nicht.

Dem Umstand, dass der einstweilige Rechtsschutz bei tatsächlich oder rechtlich komplizierten Sachen an seine Grenzen stoßen kann, trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass im einstweiligen Rechtsschutz nur eine summarische Prüfung der Rechtslage auf der Grundlage des von den Parteien beizubringenden Tatsachenstoffes erfolgt, und die Tatsachenfeststellung durch das mindere Beweismaß aus § 294 ZPO erleichtert wird. Die daraus entstehenden strukturellen Nachteile für den Verfügungsbeklagten werden dadurch ausgeglichen, dass die Entscheidung im Verfügungsverfahren nicht in materielle Rechtskraft erwächst und jederzeit angegriffen werden kann (vgl. §§ 926, 927 ZPO).

Dass hier ganz besondere Umstände des Einzelfalles vorlägen, welche dem Erlass einer einstweiligen Verfügung im Wege stünden, zeigt der Verfügungsbeklagte nicht auf. Insbesondere lässt sein Vortrag nicht ansatzweise erkennen, dass ihn das beantragte Verbot bis zu einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren in seiner wirtschaftlichen Existenz bedrohen könnte. Die Frage, ob ihm gegenüber eine verfassungskonforme, einschränkende Auslegung erforderlich sein könnte, stellt sich somit nicht.