Die „Jobrevolution“ und die Diskussion um „Extra-Urlaub für Gewerkschafter“ in der Chemieindustrie haben in den letzten Tagen viel Aufmerksamkeit erregt. Was steckt hinter diesen Schlagzeilen und wäre eine solche Ungleichbehandlung überhaupt rechtlich zulässig?
Der Tarifabschluss für die Chemieindustrie sieht keine jährlichen Sonderurlaube für Gewerkschaftsmitglieder vor. Stattdessen sollen die Beschäftigten ab September 2024 eine Gehaltserhöhung von zwei Prozent erhalten, gefolgt von einem weiteren Anstieg um 4,85 Prozent im April 2025. Aktive Gewerkschaftsmitglieder können jedoch einen Tag Zeitausgleich pro Jahr beantragen und an Mitgliedsjubiläen ebenfalls einen zusätzlichen freien Tag erhalten. Doch ist es überhaupt zulässig, in einem Tarifvertrag spezielle Vorteile für Gewerkschafter zu vereinbaren?
Gemäß dem Tarifvertragsgesetz gelten Tarifverträge nur unmittelbar für die Arbeitnehmer, die selbst Mitglied der Gewerkschaft sind. Mitarbeiter in Betrieben mit arbeitgeberseitiger Tarifbindung haben keinen Anspruch auf die Leistungen aus dem Tarifvertrag. Dennoch wenden tarifgebundene Arbeitgeber die Tarifverträge oft auf die gesamte Belegschaft an, ohne zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Nicht-Mitgliedern zu differenzieren.
Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln ermöglichen es Arbeitgebern, Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden, ohne explizit zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Nicht-Mitgliedern zu unterscheiden. Dennoch haben solche Klauseln auch eine andere Wirkung: Sie könnten einen Anreiz für Arbeitnehmer schaffen, einer Gewerkschaft beizutreten, um von den tarifvertraglichen Vorteilen zu profitieren.
Damit solche Anreize nur tatsächlichen Gewerkschaftsmitgliedern zugutekommen, könnten Differenzierungsklauseln im Tarifvertrag eingesetzt werden. Diese Klauseln könnten den Arbeitgeber dazu verpflichten, Gewerkschaftsmitgliedern zusätzliche Vergünstigungen zu gewähren. Allerdings müssen solche Regelungen im Einklang mit der negativen Koalitionsfreiheit stehen, die es Arbeitnehmern erlaubt, sich gegen den Zwang zum Gewerkschaftsbeitritt zu wehren.
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil festgestellt, dass einfache Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen, die die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft als Voraussetzung für bestimmte Leistungen vorsehen, grundsätzlich zulässig sind. Diese Klauseln verletzen die negative Koalitionsfreiheit nicht, solange sie keinen unzulässigen Druck zum Gewerkschaftsbeitritt ausüben. Auch das Bundesverfassungsgericht hat 2018 bestätigt, dass die Differenzierung zwischen Gewerkschaftern und Nicht-Mitgliedern in einem Tarifvertrag keine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit darstellt.
Somit wäre es rechtlich möglich, im Tarifvertrag der Chemieindustrie Sonderurlaub für Gewerkschaftsmitglieder vorzusehen. Allerdings könnten Arbeitgeber durch Anpassung ihrer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln diese Leistung auch an Nicht-Gewerkschaftsmitglieder weitergeben. Letztendlich könnte dies dazu führen, dass die besonderen Vorteile der Gewerkschaftsmitgliedschaft weniger attraktiv werden, da sie auch für Nicht-Mitglieder zugänglich sind.